BayObLG, Beschluss vom 20. Januar 2023 – Verg 17/22
Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hatte sich in vorgenannter Entscheidung unter anderem mit der Frage nach einer Erstreckung der Wirkung des Zuschlagsverbots gem. § 169 Abs. 1 GWB auf sonstige Verfahrenshandlungen zu befassen. Der Vergabesenat nahm das Verfahren zum Anlass zu folgender Klarstellung:
„Der öffentliche Auftraggeber darf bis zum Ablauf der Beschwerdefrist den Zuschlag nicht erteilen, nachdem er von der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag unterrichtet worden ist. Alle sonstigen Maßnahmen zur Durchführung des Vergabeverfahrens bleiben dagegen erlaubt. Deshalb kann der Auftraggeber auch nach Eintritt des Zuschlagsverbots etwa die Prüfung und Wertung der Angebote vornehmen.“
(Leitsatz 1 der Entscheidung)
Die Antragsgegnerin beabsichtigte Leistungen der Tragwerksplanung gem. § 51 HOAI für den Neubau eines Schulzentrums im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb zu vergeben.
Für den Fall, dass im Teilnahmewettbewerb mehrere Bewerber gleichermaßen die Anforderungen erfüllen und dass die Bewerberzahl zu hoch wäre, legte die Antragsgegnerin fest, dass im Wege des Losentscheids entschieden würde, welche maximal fünf Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert würden.
Im Rahmen der Forderung von Eignungsnachweisen begrenzte die Antragsgegnerin die Zahl, der durch die Bewerber vorzulegenden Referenzen, auf maximal drei.
Diesen letzten Aspekt rügte die Antragstellerin und hielt diese Rüge, nach Mitteilung der Nichtabhilfe durch die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren und in der Beschwerdeinstanz aufrecht. Des Weiteren rügte die Antragstellerin diverse Aspekte der konkreten Ausgestaltung des Planervertrags.
Im Teilnahmewettbewerb gingen 28 Teilnahmeanträge ein, von denen 24 Teilnahmeanträge – inklusive des Teilnahmeantrags der Antragstellerin – nach der bekanntgemachten Wertungsmethodik dem ersten Rang zugeordnet wurden. Die Antragsgegnerin führte deshalb (nach zwischenzeitlicher Zustellung des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin) den angekündigten Losentscheid durch; die Antragstellerin wurde nicht als eine der Bewerberinnen ausgelost, die zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden.
In Ansehung des erfolgten Losentscheids, welcher für die Antragstellerin nach Auffassung der Antragsgegnerin jegliche Zuschlagschance ausschloss, beantragte die Antragsgegnerin, das Nachprüfungsverfahren einzustellen, da sich das Verfahren für die Antragstellerin erledigt habe.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit der Argumentation, dass ein Wegfall der – nach Ihrer Auffassung unzulässigen Beschränkung der Zahl der Referenzen – gegebenenfalls zu einem besseren Rang der Antragstellerin im Teilnahmewettbewerb geführt hätte, sodass Sie entweder ohne Losentscheid oder aber mit Losentscheid gegen weniger Konkurrenten hätte berücksichtigt werden müssen. Von einer Erledigung sei nicht auszugehen, da ihr ansonsten jegliche Möglichkeit des vergaberechtlichen Primärrechtschutzes aufgrund einer nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens vorgenommenen Handlung der Antragsgegnerin versperrt würde.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück.
Die vertraglichen Aspekte könnten für Bewerber, welche bereits im Teilnahmewettbewerb ausschieden, keine Rechtsverletzungen darstellen. Die Begrenzung auf drei vorzulegende Referenzen habe sich zudem nicht auf die Zuschlagschance der Antragstellerin ausgewirkt, da alle vorgelegten Referenzen mit der vollen Punktzahl gewürdigt wurden, sodass die Antragstellerin im Teilnahmewettbewerb die maximale Eignungspunktzahl erzielte. Die Vorlage weiterer Referenzen hätte sich insoweit nicht auswirken können.
Die Antragstellerin legte hiergegen die sofortige Beschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht ein und beantragte hierbei die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über dieselbe.
Sie ergänzte ihre bisherige Argumentation in der Sache darum, dass für die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung spätestens der Zeitpunkt der Aussprache des Zuschlagsverbots, nicht der Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer maßgeblich sei. Die Losentscheidung habe nicht mehr erfolgen dürfen, nachdem das Zuschlagsverbot ausgesprochen war.
Der Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde blieb ohne Erfolg!
Der Vergabesenat führt zur Begründung aus, dass das öffentliche Interesse an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben der Antragsgegnerin vorliegend etwaig geschädigte Interessen der Antragstellerin überwiege, weil die sofortige Beschwerde aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben würde.
Die Argumentation der Antragstellerin betreffend die Konsequenzen der Begrenzung der Zahl der Referenzen für ihre Zuschlagschance sei nicht stichhaltig. Unter Zugrundelegung der bekanntgemachten (und im Nachprüfungsverfahren nicht angegriffenen) Kriterien zur Wertung der Referenzen sei ausgeschlossen, dass die Vorlage weiterer Referenzen in einem abweichenden Rangverhältnis der Bewerbereignung resultiert hätte. Schließlich hätte die Antragstellerin (und die
Mitbewerber auf dem ersten Eignungsrang) jeweils die maximale Eignungspunktzahl erzielt. Die Vorlage weiterer Referenzen hätte nach der bekanntgemachten Methodik nicht zu mehr Eignungspunkten führen können.
Eine Rechtsverletzung folge auch nicht daraus, dass der Losentscheid erst nach Aussprache des Zuschlagsverbots durchgeführt wurde. Der Wortlaut des § 169 Abs. 1 GWB verbiete nach dem unmissverständlichen Wortlaut lediglich die Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren, während sämtliche sonstigen Verfahrensschritte, wie z.B. die Prüfung und Wertung von Angeboten ungeachtet des Zuschlagsverbots fortgesetzt bzw. vorgenommen werden dürften. Zwar könne die Durchführung eines Losentscheids zur Überholung einzelner Rügen aus dem Teilnahmewettbewerb führen, dies schaffe jedoch „– anders als der wirksame Zuschlag nach der gesetzlichen Wertung des § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB – nicht zwingend im Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren irreversible Tatsachen.“
Die Entscheidung ist zutreffend und ihrer klaren Formulierungen zu begrüßen.
Der Wortlaut des § 169 Abs.1 GWB ließ ein abweichendes Ergebnis nicht zu. Es muss dem öffentlichen Auftraggeber offenstehen, das nach seiner Auffassung rechtskonform durchgeführte Verfahren fortzusetzen. Lediglich eine wirksame Zuschlagserteilung kann eine nachträgliche Korrektur von Rechtsverstößen, welche die Zuschlagschancen von Verfahrensteilnehmer mindern, endgültig verhindern.
Auch im vorliegenden Verfahren hätten Rechtsverstöße, welche sich nicht spätestens durch den erfolgten Losentscheid erübrigt hätten, weil sie z.B. eine Rückversetzung des Verfahrens in den Zeitpunkt vor der Stellung von Teilnahmeanträgen erfordert hätten, durch eine entsprechende Rückversetzung korrigiert werden können.
Der hier zugrunde liegende Sachverhalt gibt ein höchst relevantes Beispiel für den Sinn und Zweck der Festlegung eines Zuschlagsverbots in Abgrenzung zu einem generellen „Verfahrensstopp“:
Würde der Nachprüfungsantrag dem Auftraggeber jegliche weitere Verfahrenshandlung untersagen, hätte die Antragsgegnerin hier ca. neun Monate ohne weiteren Verfahrensfortschritt zugewartet, obschon Vergabeverstöße, welche sich auf die Zuschlagschance der Antragstellerin ausgewirkt hätten, reversibel geblieben wären. Dieser Zeitverlust wäre schlichtweg nicht zu rechtfertigen und stünde dem öffentlichen Interesse an einer wirtschaftlichen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben eklatant entgegen.
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