VK Hessen, Beschluss vom 26. Juni 2023 – 96 e 01.02/23-2023
Die Vergabekammer des Landes Hessen entschied, dass die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zwar nicht zu hoch angesetzt werden dürfen, ein Mindestmaß an Substantiierung aber einzuhalten ist. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus. Insofern ist auch die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Darlegung weiterer Anhaltspunkte oder Indizien, aus denen er diese Erkenntnis ableitet, nicht ausreichend für eine ordnungsgemäße Rüge.
Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren die Durchführung von Unterhaltsreinigung sowie von Sonderreinigungsarbeiten aus. Die Antragstellerin bewarb sich mit einem Angebot auf die o.g. Ausschreibung. Nach Information der Vergabestelle, dass ihr Angebot aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt werden könne, wendet sich die Antragstellerin an die Vergabestelle und erläutert, dass sie die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt habe, der Bestbieter die Vorgaben jedoch „ganz offensichtlich nicht erfüllt“ habe. Dies müsse dazu führen, dass das Angebot des Bestbieters ausgeschlossen wird.
Hierauf erwiderte die Vergabestelle, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde. Die Ausführungen der Antragstellerin seien nicht geeignet, ihre Rüge ausreichend substantiiert zu begründen, da sie einer tatsächlichen Grundlage entbehrten. Der Vortrag der Antragstellerin sei als Rüge ins Blaue hinein unbeachtlich. Die Antragstellerin müsse vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vortragen, welche einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen.
Hierauf stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer und erläuterte u.a., dass es sich nicht um „eine Rüge ins Blaue hinein“ handele, da sie keinerlei Wissens- und Informationsstand bezüglich des Angebots der Bestbieterin habe, da sie dies schlichtweg nicht kenne. Ihr stünden auch keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung.
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer erachtete den Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig und übermittelte diesen nicht an die Vergabestelle. Die Antragstellerin sei bereits nicht antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB.
Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Die Antragstellerin genüge ihrer hieraus resultierenden Darlegungspflicht nicht. Sowohl in ihrer Rüge als auch in ihrem Nachprüfungsantrag stelle die Antragstellerin schlichtweg lediglich die Behauptung auf, die Bestbieterin erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen. Anhaltspunkte oder Indizien, aus denen sie diese Erkenntnis nehme, legte die Antragstellerin hingegen nicht dar.
Der Antragstellerin sei zwar insoweit zuzugestehen, dass sie selbstverständlich keinen Einblick in das Angebot der Bestbieterin sowie insbesondere in dessen Preiskalkulation haben kann. Insoweit könnten die Anforderungen an die Darlegung eine Vergaberechtsverletzung bzw. einen die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substantiierung sei jedoch einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichten nicht aus.
Die Antragstellerin versäume es vollständig, darzulegen, wie sie zu ihrer Schlussfolgerung, die Angebotskalkulation der Bestbieterin sei fehlerhaft, kommt. Sie stelle lediglich die Behauptung in den Raum, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters – im Gegensatz zur Antragstellerin selbst – nicht erfüllt habe. Auch wenn die Antragstellerin die Kalkulation der Bestbieterin nicht kennen könne, schließe sie lediglich aus der Tatsache, dass das Angebot der Bestbieterin offenbar preisgünstiger war, den Rückschluss, dass diese die Vorgaben hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt.
Ungeachtet dieser Behauptung, die jegliche tatsächliche Anhaltspunkte vermissen lässt, erläuterte die Vergabestelle in ihrer Rügezurückweisung nicht nur, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters eben doch erfüllte, sie unternahm daraufhin sogar eine Aufklärung hinsichtlich der in der Rüge aufgestellten Behauptung und kam zu dem Ergebnis, dass keine Zweifel an der Erfüllung der Anforderungen der Ausschreibung durch die Bestbieterin bestünden.
Die Entscheidung ist zutreffend und verdeutlicht Folgendes aus Bieter- und Auftraggebersicht:
Bieter können sich nicht darauf beschränken, pauschal dem erstplatzierten Bieter die Ordnungsgemäßheit der Kalkulation oder des eingereichten Angebots abzusprechen, ohne hierzu weitergehende Anhaltspunkte vorzutragen. Ein solch pauschaler und unsubstantiierter Vortrag erfüllt nicht die Anforderungen an eine Rüge. Zugegebenermaßen ist es für den Bieter häufig mehr oder weniger unmöglich „Schwächen“ des Angebots des Bestbieters „zu kennen“. Trotzdem gilt hier, dass der rügende Bieter zumindest tatsächliche Anhaltspunkte benennen muss, welche gegen die Ordnungsgemäßheit des Angebots des Bestbieters sprechen. Ist er dazu nicht in der Lage, weil ihm schlichtweg keinerlei Kenntnisse hierzu bekannt sind, kann er eine vermeintliche Vergaberechtsverletzung nicht mit Erfolg zum Gegenstand einer Rüge machen.
Ungeachtet dessen belegt auch die vorliegende Entscheidung, dass eine „Rüge ins Blaue hinein“ Wirkungen entfalten kann und daher im Einzelfall trotzdem zielführen sein kann. Denn der Auftraggeber hat ungeachtet der Nichterfüllung der Rügeanforderungen bei dem Bestbieter nachgefasst und die (vom rügenden Bieter benannten) Vorhaltungen betreffend den Objektleiter aufgeklärt. Hätte der Bestbieter hier keine zufriedenstellende Rückmeldung betreffend die Erfüllung der aufgestellten Anforderungen abgegeben, hätte die Rüge ins Blaue hinein gleichwohl Erfolg haben können.
Auftraggeber tun gut daran, Rügen ins Blaue hinein als unzureichend und unzulässig zurückzuweisen, gleichwohl etwaigen Behauptungen nachzugehen und ggf. Aufklärung beim Bestbieter zu betreiben, um sich für die spätere Auftragsausführung abzusichern. Es wäre sehr unschön, wenn, um beim vorliegenden Fall zu bleiben, die Rüge/ der Nachprüfungsantrag ohne Erfolg bleibt, der Auftraggeber mithin obsiegt, sich aber später herausstellt, dass die Rüge sprichwörtlich zufällig ins Schwarze getroffen hat und der Bestbieter und spätere Auftragnehmer dann die Anforderungen an den Objektleiter nicht erfüllt.
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