VK Saarland, Beschluss vom 7. Februar 2018 – Az. 3 VK 04/17
Sachverhalt
Der Auftraggeber (AG) schreibt Erd-, Mauer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten (als Los 1) für den Neubau eines 6-geschossigen Büro- und Verwaltungsgebäudes (BGF: 11.303 qm, NF: 9.495,23) in Saarbrücken im Wege eines offenen Verfahrens aus.
VK Saarland, Beschluss vom 7. Februar 2018 – Az. 3 VK 04/17
Der Auftraggeber (AG) schreibt Erd-, Mauer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten (als Los 1) für den Neubau eines 6-geschossigen Büro- und Verwaltungsgebäudes (BGF: 11.303 qm, NF: 9.495,23) in Saarbrücken im Wege eines offenen Verfahrens aus. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. In der Bekanntmachung verweist der AG auf einen Link für einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang zu den Vergabeunterlagen. Bestandteil der Vergabeunterlagen waren auch die im Rahmen der Teilnahmebedingungen genannten Vordrucke (aus dem VHB Bau). Die Teilnahmebedingungen (Eignungsnachweise) in der Bekanntmachung waren u.a. wie folgt formuliert:
„III.1.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit
Auflistung und kurze Beschreibung der Eignungskriterien:
Eintrag in das Präqualifikationsverzeichnis oder Präqualifikationsregister. Nicht präqualifizierte Bieter haben den Vordruck EFB 124 „Eigenerklärung zur Eignung“ mit dem Angebot der Vergabestelle vollständig ausgefüllt und rechtsverbindlich unterschrieben einzureichen. Bei Angeboten von Arbeits- bzw. Bietergemeinschaften ist die gesamtschuldnerische Haftung sämtlicher Mitglieder der Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft zu bestätigen und ein bevollmächtigter Vertreter für die Bieter- oder Arbeitsgemeinschaft zu benennen (Vordruck EFB 234). Auf Verlangen der Vergabestelle hat der Bieter die Vordrucke EFB 221 Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation, EFB 222 Preisermittlung bei Kalkulation über die Endsumme sowie EFB 223 Aufgliederung der Einheitspreise der Vergabestelle innerhalb von 6 Kalendertagen nach Zugang der Aufforderung vollständig ausgefüllt und rechtsverbindlich unterschrieben einzureichen.
III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit
Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen“
Explizite Mindestanforderungen oder Mindeststandards an die Eignung der Bieter waren mit der Bekanntmachung nicht veröffentlicht worden. Der nicht präqualifizierte Bieter B reicht den – halbwegs vollständig – ausgefüllten Vordruck EFB 124 ein.
Nach Angebotseingang steht fest, dass der Bieter B das günstigste Angebot abgegeben hat.
Der AG schließt das Angebot des Bieters B jedoch wegen mangelnder Eignung von der Wertung aus. Unter anderem sei das Angebot formal unvollständig, da Bieter B lediglich den Jahresumsatz eines Jahres anstatt wie gefordert der letzten drei Geschäftsjahre angegeben habe.
Bieter B rügt die Entscheidung und trägt vor, dass Mindestanforderungen hinsichtlich Bauzeit und der Größenordnung der anzugebenden Referenzen nicht gestellt worden seien. Zudem gebe es auch (überhaupt) keine Mindestvoraussetzung an die Bietereignung, wonach er bei Abgabe des Angebots bereits mindestens drei Jahre auf dem einschlägigen Markt tätig gewesen sein muss.
Im Laufe des eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens legt Bieter B sodann (unaufgefordert) umfangreiche Unterlagen und Nachweise zum Beleg seiner Eignung vor. Zum für den Bauauftrag erforderlichen Personaleinsatz trägt Bieter B u.a. Folgendes vor:
„Das Personal müsse auch nicht zu Beginn der Arbeiten bereits in voller Stärke zur Verfügung stehen. Das benötigte Personal könne die Antragstellerin sich ohne Probleme am Arbeitsmarkt beschaffen, denn es handele sich hierbei nicht um absolute Spezialisten, sondern „nur“ um erfahrene Betonbauer, die durchaus am Markt verfügbar seien.
Bei der Antragstellerin handele es sich um ein stark expandierendes Unternehmen. Neben den ausgewiesenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestünden auch noch Arbeitsverhältnisse auf 450-Euro-Basis und es sei vorgesehen, mehrere Mitarbeiter des Unternehmens des Schwiegervaters der Geschäftsführerin der Antragstellerin zu übernehmen. Außerdem seien Vorverträge mit xx weiteren Personen abgeschlossen worden, die bereits bei einem weiteren befreundeten Unternehmen in Deutschland fest angestellt seien und im Auftragsfall zur Antragstellerin wechseln würden. Die Vorverträge seien arbeitsrechtlich auch nicht zu beanstanden.
Darüber hinaus stehe auch ein erfahrener Bauleiter als freier Mitarbeiter zur Verfügung und zur Not könnten auch noch Leiharbeitnehmer eingesetzt werden.“
Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung äußerte sich die Vergabekammer dahingehend, dass sie dazu neige, die Sache an die Antragsgegnerin zurückzuverweisen. Die Vorsitzende der Vergabekammer hatte sich auch mit der Frage an die Antragsgegnerin gewandt, ob es denkbar sei, dass die Antragstellerin durch das Einreichen weiterer Unterlagen ihre Eignung im Sinne einer Angebotsaufklärung noch nachweisen könne.
Daraufhin teilte der AG mit, dass er anhand der weiteren vorgelegten Erklärungen und Nachweise eine erneute Angebotsprüfung und -wertung vorgenommen habe und das Angebot des Bieters B nunmehr nicht mehr mangels Eignung ausgeschlossen werden muss. Der AG erteilt – nach Ablauf der Wartefrist gemäß § 134 GWB – den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B.
Die Vergabekammer stellt das Nachprüfungsverfahren als erledigt ein. Eine Entscheidung ergeht nur noch hinsichtlich der Kosten.
Die Vergabekammer weist darauf hin, dass ein Ausschluss des Bieters B mangels Eignung nicht vergaberechtskonform gewesen sei. Der Bieter B habe die Eigenerklärung EFB 124 wahrheitsgemäß ausgefüllt, „mehr war nicht verlangt.“ Zur Begründung führt die Vergabekammer Folgendes aus:
Durch die im Verfahren eingereichten Unterlagen hatte Bieter B sein Angebot konkretisiert. Der AG musste die Eignungsprüfung wiederholen, da die zuvor zugrunde gelegten Umstände mangels ausreichend ermittelten Sachverhalts keine zuverlässige Eignungsprognose zuließen. Der AG ist durch die nun erfolgte Wertung des Angebotes des nunmehr geeigneten Bieters B dem ursprünglichen Nachprüfungsantrag des Bieters gefolgt, sodass der AG dem Bieter B seine Aufwendungen gem. § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten hat.
Die Entscheidung erscheint zweifelhaft. Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Durchführung der Eignungsprüfung und Erstellung der Eignungsprognose derjenige der rechtswirksamen Zuschlagserteilung ist. Diese Auffassung dürfte unzutreffend sein, weil im Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung die (positive) Eignungsprognose bereits abgeschlossen sein muss. Um festzustellen, ob ein Bieter geeignet ist, hat der öffentliche Auftraggeber vielmehr auf der Grundlage der ihm zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung verfügbaren Informationen eine in die Zukunft auf die mögliche Auftragsausführung gerichtete Prognose vorzunehmen. Hierbei kommt dem öffentlichen Auftraggeber eine Einschätzungsprärogative zu, die von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahin überprüfbar ist, ob die Entscheidungsfindung im Hinblick auf die Prognose fehlerfrei erfolgt ist. Dazu gehört die Prüfung, ob der Auftraggeber den für die Prognose entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und die von ihm bekanntgemachten Nachweise, hier im Hinblick auf die als Mindeststandards geforderten Referenzen, beachtet hat (insoweit jüngst zutreffend die VK Bund, Beschluss vom 28. März 2018 – Az. VK 2-20/18).
Gleichwohl ist ein Auftraggeber an die einmal bejahte Eignung eines Bewerbers bzw. Bieters nicht gebunden. Bei nachträglichem Bekanntwerden weiterer Informationen kann der Auftraggeber die Eignung unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Information zu einem späteren Zeitpunkt verneinen (OLG Naumburg, Beschluss vom 22. September 2014 – Az. 2 Verg 2/13). Ebenso kann eine einmal verneinte Eignung ggf. später – im Verlauf eines Nachprüfungsverfahrens oder sonstiger Verfahrensverzögerungen – wieder bejaht werden. Fraglich ist allerdings, ob es einem Bieter nach Ablauf der Angebotsfrist gestattet ist, unaufgefordert, d.h. außerhalb einer durch den Auftraggeber initiierten Angebotsaufklärung, einer Aufforderung zur Nachreichung von „verlangten“ Unterlagen (vgl. § 50 Abs. 2 VgV im Zusammenhang mit der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung) oder einer klassischen Nachforderung von unternehmensbezogenen Unterlagen (vgl. §§ 56 Abs. 2 Satz 1 VgV, 16a EU VOB/A) weitere Unterlagen, Informationen etc. zum Beleg der Eignung vorzulegen bzw. vorzutragen. Die Vergabekammer hat dies in der vorliegenden Entscheidung ohne weiteres bejaht und sich in der mündlichen Verhandlung am 14. November 2017 mit der Frage an den Auftraggeber gewandt, „ob es denkbar sei, dass die Antragstellerin durch das Einreichen weiterer Unterlagen ihre Eignung im Sinne einer Angebotsaufklärung noch nachweisen könne.“ Diese Auffassung ist jedenfalls diskussionswürdig. Zum einen verliert der Auftraggeber dadurch teilweise die Verfahrensherrschaft, zum anderen widerspricht diese Möglichkeit der Systematik des Vergaberechts. Danach hat der Bieter die verlangten Unterlagen vollständig bis zum Ablauf der vorgegebenen Angebots- oder Teilnahmefrist vorzulegen. Dies dürfte erst recht dann gelten, wenn es sich um ein Verfahren mit Teilnahmewettbewerb handelt. Fehlen Unterlagen oder sind solche fehlerhaft, greift das Nachforderungsregime mit den freilich unterschiedlichen Ausprägungen im Bau- bzw. Liefer- und Dienstleistungsbereich.
Auftraggebern ist dringend anzuraten, die verlangten Eignungsnachweise vollständig und eindeutig bereits in der Bekanntmachung anzugeben und von pauschalen Verweisen auf (auch allseits bekannte) Formblätter oder Regelungen in den Vergabeunterlagen abzusehen. In der Praxis wird hiergegen häufig verstoßen, weil der Bekanntmachung nicht die Bedeutung beigemessen wird, welche das Vergaberecht an sie stellt.
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