Aktuelles
Die Nachprüfungsinstanzen haben sich in letzter Zeit immer wieder mit der Frage beschäftigt, welche Wertungsmethoden vergaberechtlich zulässig sind.
Die Vergabekammer Lüneburg hatte es dabei noch leicht: Sie hatte sich in ihrem Beschluss vom 5. September 2023 (VgK-20/2023) mit der sog. „Einfachen Richtwertmethode“ gem. UfAB auseinanderzusetzen. In dem dortigen Nachprüfungsverfahren hatte ein Bieter beanstandet, dass neben dem Preis auch verschiedene Qualitätskriterien als Zuschlagskriterien festgelegt worden waren, eine Angabe der Gewichtung von Preis und Leistung zueinander jedoch nicht ausdrücklich erfolgte. Hierzu hatte die Vergabekammer festgestellt, dass diese Methode mathematisch zwangsläufig dazu führe, dass die Kosten mit 50 Prozent und die Summe der Qualitätspunkte mit 50 Prozent gewichtet werden. Der Auftraggeber sei zwar verpflichtet, die Gewichtung der Zuschlagskriterien sowohl in der Bekanntmachung als auch in den Vergabeunterlagen anzugeben, dies sei vorliegend unterblieben. Die Festlegung auf die „Einfache Richtwertmethode“ lasse aber den zwingenden Schluss zu, dass Kosten und Qualität mit je 50 Prozent gewichtet werden. Diese Wertungsmethode sei im Übrigen allgemein anerkannt, um Kosten und die Summe der Qualitätspunkte zueinander ins Verhältnis zu setzen.
Die „Einfache Richtwertmethode“ kann insofern nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine gleichrangige Gewichtung von Preis und Leistung vorgesehen ist. Andere Gewichtungen, die in der Praxis häufig vorkommen und gewünscht sind, lassen sich damit nicht abbilden. Dementsprechend haben sich eine Vielzahl von Wertungsmethoden und Ansätzen herausgebildet, die in Literatur und Rechtsprechung immer wieder kritisch beleuchtet werden. Zuletzt hat sich die Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 6. November 2023 – VK 1-77/23) mit der sog. „Medianmethode“ befasst und diese nunmehr – unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung – für vergaberechtswidrig erklärt.
Die Auftraggeberin führte ein europaweites offenes Verfahren zur Vergabe eines Dienstleistungsvertrages über Gebäude- und Glasreinigung durch. Neben einem Jahrespreis und Stundensätzen für Personal verschiedener Kategorien wurde bei der Preiswertung vor allem der sog. „produktive Arbeitseinsatz“ mit einem Gewicht von 48 Prozent bewertet. Dieser „produktive Arbeitseinsatz“ beinhaltet die von den Bietern kalkulierten produktiven Stunden für die Reinigung der Objekte in den jeweiligen Bereichen. Er hat erfahrungsgemäß bei der Vergabe von Reinigungsleistungen regelmäßig eine erhebliche Bedeutung und wird dementsprechend meistens in erheblichem Umfang als Teil der Preiswertung gewichtet.
In den Vergabeunterlagen fanden sich folgende „Hinweise für die Bewertung des produktiven Arbeitseinsatzes“:
Die Punkte für den produktiven Arbeitseinsatz mit 48 % (maximal 48 Punkte) werden wie folgt ermittelt:
Der Arbeitseinsatz setzt sich aus den für alle Objekte/Gebäude kalkulierten produktiven Stunden je Los der Reinigungsleistungen zusammen. Diese Stunden sind in der entsprechenden Zeile des Preisblattes einzutragen.
Aus den Angeboten derjenigen Bieter, die in die Wertung kommen, wird als Durchschnittswert der Medianwert für den produktiven Arbeitseinsatz in Stunden gebildet. Dieser dient als Grundlage für die Bewertung. Die maximale Punktzahl erhält ein Bieter, wenn sein produktiver Arbeitseinsatz +/- kleiner 5 % um den Medianwert liegt. Die weiteren Angebote werden ausgehend vom Medianwert um 5 %, dann abgestuft 10 %, 15 %, 20 %, 25 % und 30 % bewertet.
Abweichung vom Medianwert in beide Richtungen (+/-)
Abweichung % Punktzahl
0 % – < 5 % 48 Punkte
5 % – < 10 % 40 Punkte
[…]
Ab einer Abweichung vom Median von 30 Prozent und mehr wurden 0 Punkte für den produktiven Arbeitseinsatz vergeben.
Der unterlegene Bieter rügte u. a., dass die für die Bepunktung vorgesehene Medianmethode nicht zulässig sei, da eine Medianmethode ungeeignet sei, ein korrektes Preis-Leistungs-Verhältnis abzubilden. § 58 VgV gebe jedoch vor, dass die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses erfolge.
Der Median beinhalte aber als rein quantitatives Kriterium nicht das bestmögliche Leistungsversprechen. Da die vom Auftraggeber bewerteten Abweichungen vom Median zudem nicht linear interpoliert würden, sondern sprunghaft seien, führe dies zu einer Verzerrung des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Unklar sei zudem, wie sich die Arbeitsstunden, die Bieter selbst festzulegen haben, tatsächlich ermittelten und wie eine Prüfung des in Zeit vergüteten Leistungsversprechens erfolge. Es fehle an einem Referenzwert, einer zeitlichen Vorgabe, anhand derer die Angemessenheit der berücksichtigten Angebote geprüft werden könne. Der Median sei zudem keine geeignete Wertungsgrundlage, wenn nicht auskömmliche Angebote in die Wertung einbezogen würden. Die Auftraggeberin verteidigte die von ihr regelmäßig angewandte Medianmethode und hielt den Nachprüfungsantrag mangels Rüge im Verfahren schon für unzulässig. Ohne Erfolg, der Bieter bekam Recht!
Zunächst stellte die Vergabekammer fest, dass der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig sei, was die Beanstandung hinsichtlich der Medianmethode für die Bewertung des produktiven Arbeitseinsatzes betraf. Die Antragstellerin, die im Zuge des Verfahrens keine Rüge gegen die Wertungsmethodik erhoben hatte, sei damit nicht gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB präkludiert. Sie habe den Vergabeverstoß nicht bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe als vergaberechtswidrig rügen müssen, denn dieser war für sie nicht erkennbar im Sinne der vorgenannten Norm. „Erkennbar“ seien nur solche Verstöße, die laienhaft und ohne Anwendung juristischen Sachverstands ins Auge fallen. Unabhängig von einer Erkennbarkeit der tatsächlichen Umstände des geltend gemachten Vergabeverstoßes sei jedenfalls eine Erkennbarkeit in rechtlicher Hinsicht für die Antragstellerin nicht gegeben gewesen. Denn es handele sich hier nicht um einen auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden auftragsbezogenen Rechtsverstoß im Sinne der Rechtsprechung. Eine Bewertung des produktiven Arbeitsansatzes nach der Medianmethode sei weder in der vergaberechtlichen Rechtsprechung noch in der vergaberechtlichen Literatur bisher thematisiert worden; der erkennenden Kammer sei diese Methode ebenfalls bisher nicht bekannt gewesen.
Auch in der Sache hatte die Antragstellerin Erfolg. Die Vergabekammer stellte fest, dass die angewandte „Medianmethode“ nicht mit den rechtlichen Vorgaben der § 127 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB und § 58 Abs. 1 VgV vereinbar sei. Die vorgenannten Normen postulierten eine Angebotswertung mit dem Ziel des Zuschlages auf das wirtschaftlichste Angebot, wobei sich das wirtschaftlichste Angebot nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimme. Zur Ermittlung des Angebots mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis sei eine Relation des für die zu beschaffende Leistung zu zahlenden Preises bzw. der durch sie entstehenden Kosten mit dem Grad der Erfüllung der durch den öffentlichen Auftraggeber festgelegten qualitativen Zuschlagskriterien vorzunehmen. Die Wertung durch den Auftraggeber sei nicht in seine Beliebigkeit gestellt, sondern habe sich an die im Vorhinein festgelegten und bekanntgemachten Zuschlagskriterien und deren Gewichtung zu halten.
Bei der hier verwendeten Medianmethode hänge der Erfolg eines Angebots allerdings nicht von solchen objektiven Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit ab, sondern letztlich vom Angebotsverhalten der Mitbieter, die ihre Angebote gleichermaßen in Unkenntnis objektiver Kriterien abgäben. So bestehe z. B. die Möglichkeit, dass ein auskömmliches Angebot mit einer hohen Produktivität nicht den Zuschlag erhalte, weil andere Bieter weniger produktiv anboten und dadurch den Median zu Lasten eigentlich auskömmlicher Angebote beeinflussten. Gleichermaßen könne auch ein eigentlich unauskömmliches Angebot den Median zu Lasten auskömmlicher Angebote beeinflussen. Entgegen der Auffassung der Auftraggeberin ergebe sich die Zulässigkeit der Medianmethode auch nicht aus dem von ihr zitierten Vergabehandbuch der RAL Gütegemeinschaft Gebäudereinigung e.V., wonach ein Mittelwert das realistische Optimum darstelle. Zugrunde gelegt wurde den Ausführungen dort nämlich ein zuvor – zur Vorbereitung der Ausschreibung – beispielhaft ermittelter Zeitaufwand für die jeweiligen Leistungen/Raumgruppen, der der Wertung als Mittelwert zugrunde gelegt werde. Dies sei allerdings vorliegend nicht erfolgt. Vielmehr habe die Auftraggeberin einen erst auf Basis der eingegangenen Angebote entstehenden, also „volatilen Median“ zugrunde gelegt.
Aus den vorgenannten Erwägungen verstoße die vorliegend gewählte Medianmethode zudem gegen § 127 Abs. 4 S. 1 GWB, da sie keinen wirksamen Wettbewerb der Angebote gewährleiste und damit die Gefahr einer willkürlichen Erteilung des Zuschlages bestehe.
Die Entscheidung überzeugt in ihrer knappen Klarheit. Sie markiert damit den vorläufigen Endpunkt einer längeren Entwicklung der Rechtsprechung. Noch in ihrem Beschluss vom 26. Juni 2018
(VK 2-46/18) hielt die VK Bund die auch als „Durchschnittsmethode“ bezeichnete Wertungsmethode für eine geeignete Methode zur Bewertung des Preises. Ein gewisser „Flipping-Effekt“ sei dabei nach Aussage der VK Bund hinzunehmen. In dem damals entschiedenen Fall wurde ebenfalls bei der Vergabe von Punkten zur Bewertung von Lizenzkosten die Preisberechnungsmethode der „prozentualen Abweichung“ genutzt. Dabei wurde die Abweichung des jeweiligen Preises vom Durchschnittspreis der eingereichten Angebote berechnet. Dieses Verhältnis wurde in die Bewertung gespiegelt. In einem ersten Schritt wurde also ein Durchschnittspreis gebildet, dann wurde berechnet, wie weit die jeweiligen Preise der einzelnen Angebote von diesem Durchschnitt prozentual entfernt lagen und entsprechende Punkte vergeben. Damals vermochte die Vergabekammer noch nicht zu erkennen, dass die Wahl dieser Durchschnittsmethode, d. h. eine Bewertung des Preises des zu betrachtenden Bieters in Abhängigkeit der Abweichung zum Durchschnittswert der insgesamt angebotenen Preise, vergaberechtlich beanstandet werden könne. Sie hielt die Methode noch für mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs vereinbar. Die Angebote seien bei der Wertung eben gerade in Relation zueinander zu betrachten, es sei also ein Quervergleich der Angebote anzustellen. Daher war damals aus Sicht der Vergabekammer auch der sog. „Flipping-Effekt“, also die Einflussnahme anderer Angebote auf die Wertung, nicht zu beanstanden.
Außer Acht gelassen wurde dabei aber, worauf die Vergabekammer nunmehr tragend abgestellt hat, nämlich dass es dann bei der Bewertung der Preisangebote nicht mehr zumindest auch auf objektive Kriterien ankommt, sondern nur noch auf den Vergleich zu den anderen Bietern. Dies verleitet Bieter, die die Methode durchdrungen haben, faktisch dazu, nicht etwa das wirtschaftlichste Angebot abzugeben, sondern ein Angebot, das sich nur noch an einem vermuteten Verhalten der anderen Bieter orientiert. Die Bieter dürften nämlich alle versuchen, einen antizipierten Mittelwert anzubieten, um die meisten Punkte zu erzielen, und ihren Angebotsinhalt damit nicht mehr unbedingt an den Leistungsanforderungen orientieren, sondern am Verhalten der anderen. Das ist – unabhängig von vergaberechtlichen Erwägungen – auch strategisch für die Auftraggeber nicht wünschenswert. Auch wird damit das Ziel verfehlt, dass der Median nur das vermeintliche Optimum darstellen soll, der sich aus der Gesamtbetrachtung derart gestalteter Angebote ergibt.
Die Entscheidung ist – soweit ersichtlich – die erste, die nicht nur Bedenken äußert (wie etwa schon VK Sachsen, vgl. Beschluss vom 10. April 2017, 1/SVK/004-17), sondern die Unzulässigkeit dieser Wertungsmethode feststellt. Sie ist rechtskräftig. Daher ist bei der Anwendung der Medianmethode künftig mindestens erhöhte Vorsicht geboten, sie sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Ggf. erscheint es denkbar, etwaige Verzerrungen des Mittelwerts nach unten durch eine besonders kritische Betrachtung der Auskömmlichkeit der Angebote, die überhaupt in die Wertung einbezogen werden, auszugleichen. Hierfür müssen Auftraggeber umfassend von den Instrumenten des § 60 VgV Gebrauch machen, die bei nicht zufriedenstellender Aufklärung von nicht auskömmlich erscheinenden Preisen auch den Ausschluss eines Angebots ermöglichen (§ 60 Abs. 3 VgV). So könnten Ausreißer nach unten ausgeschaltet und eine Verzerrung des Medians vermieden werden. Die strategischen Bedenken gegen die Angebotskalkulation werden dadurch aber nicht beseitigt, sodass in jedem Fall gut abgewogen werden sollte, ob es nicht andere Möglichkeiten gibt. Denkbar und vergaberechtlich wie strategisch unbedenklich wäre z. B. die auch in dem genannten Handbuch der RAL Gütegemeinschaft Gebäudereinigung e.V. vorgeschlagene Lösung, bereits vorab objektive Mittelwerte zu bestimmen und dann die Abweichung von diesen zu bewerten. Dies erfordert allerdings große Sachkenntnis bzw. die Einbeziehung entsprechender Fachberater bei der Gestaltung des Verfahrens und der Festlegung der Wertungskriterien.
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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