BGH
Bei Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte ist die E-Vergabe noch immer keine Pflicht. Stattdessen legt der Auftraggeber nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 1. Abschnitt, fest, in welcher Form die Angebote einzureichen sind. Wird ein Angebot nicht formgerecht eingereicht, ist es gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A vom Verfahren auszuschließen. Aber umfasst die vom Auftraggeber vorzugebende „Form“ der Angebote, deren Nichteinhaltung den Angebotsausschluss nach sich zieht, im Falle der E-Vergabe auch die Vorgabe bestimmter Datei-Formate? Mit dieser spannenden Frage hat sich der BGH in seinem Urteil vom 16.05.2023 (XIII ZR 14/21, abrufbar unter folgendem Link), befasst. An seinen interessanten Erwägungen wollen wir Sie im Folgenden ebenso teilhaben lassen wie an Überlegungen zur Übertragbarkeit der Entscheidung auf oberschwellige Bauvergaben sowie die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen…
Was war passiert?
Im Februar 2019 machte der Beklagte eine Öffentliche Ausschreibung nach der VOB/A, 1. Abschnitt, in der Fassung von 2016 bekannt. In der Bekanntmachung hieß es:
Gemäß der Aufforderung zur Angebotsabgabe war unter anderem ein Angebotsschreiben einzureichen, wie folgt:
In Ziffer 7 der Angebotsaufforderung war unter der Überschrift „Angebote können abgegeben werden:[…]“ angekreuzt „elektronisch in Textform“.
Die Klägerin gab fristgerecht das preisgünstigste Angebot ab, wobei sie die Angebotsunterlagen jedenfalls im PDF-Format vollständig einreichte. Ob sie das Angebot auch in Form einer GAEB-Datei übermittelt hat, blieb zwischen den Parteien streitig.
Der Beklagte schloss das Angebot der Klägerin von der Prüfung aus, weil es nicht als GAEB-Datei eingereicht worden sei. Daraufhin hob er die Ausschreibung auf. Ohne die Klägerin zu beteiligen, schrieb er die Leistungen im formlosen Verhandlungsverfahren neu aus und beauftragte schließlich im April 2019 einen Drittunternehmer.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Schadensersatz für den ihr entgangenen Auftrag. Das LG Aachen wies die Klage erstinstanzlich mit Urteil vom 28.07.2020 (12 O 423/19) ab. In der Berufung hatte die Klägerin sodann jedoch Erfolg. Mit Urteil vom 15.08.2021 (11 U 118/20) änderte das OLG Köln das Urteil des LG Aachen ab und erklärte die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt. Hierzu führte das OLG im Wesentlichen aus:
Durch die Teilnahme der Klägerin an der Ausschreibung sei ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet worden. Der Beklagte habe durch den Ausschluss des Angebots der Klägerin eine ihr gegenüber bestehende Rücksichtnahmepflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt. Denn das Angebot der Klägerin habe nicht nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2016 ausgeschlossen werden dürfen. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 lege der Auftraggeber fest, in welcher Form die Angebote einzureichen seien. Elektronische Angebote seien dabei nach Wahl des Auftraggebers in Textform oder mit einer bestimmten Signatur zu übermitteln. Im Streitfall habe das Angebot der Klägerin den entsprechenden Festlegungen des Beklagten (Angebotsabgabe in Textform) entsprochen. Ob die Klägerin das Leistungsverzeichnis als GAEB-Datei eingereicht habe, sei demgegenüber unerheblich. Die diesbezügliche Vorgabe des Beklagten sei keine Festlegung im Sinn von § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016. Eine Befugnis, bestimmte Dateiformate vorzugeben, lasse sich der Regelung nicht entnehmen. Der Beklagte habe deshalb die angeblich fehlende Datei jedenfalls nach § 16a Satz 1 VOB/A 2016 nachfordern müssen, was nicht geschehen sei. Infolge der Pflichtverletzung könne die Klägerin Ersatz des Gewinns verlangen, den sie mit der Ausführung des Auftrags erzielt hätte.
Gegen diese Entscheidung des OLG Köln legte der Beklagte Revision ein. (Zunächst) Mit Erfolg!
Entscheidung des BGH: Zumindest auf Grundlage der Feststellungen des OLG Köln kann nicht angenommen werden, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch zusteht.
Das OLG Köln habe, so hält es der BGH einleitend fest, auf der festgestellten Tatsachengrundlage nicht annehmen dürfen, dass der Beklagte durch den Ausschluss des Angebots der Klägerin eine ihr gegenüber bestehende Rücksichtnahmepflicht verletzt habe. Denn das Gericht habe offengelassen, ob die Klägerin das Angebot auch als GAEB-Datei eingereicht habe. Da dazu keine Feststellungen getroffen seien, sei aber zugunsten der Revision zu unterstellen, dass eine GAEB-Datei nicht eingereicht worden sei. Dann aber sei der Ausschluss des Angebots gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2016 zu Recht erfolgt. Denn entgegen der Ansicht des OLG Köln könne der Auftraggeber gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 durchaus festlegen, welche elektronischen Mittel bei der Einreichung von elektronischen Angeboten zu verwenden seien.
Der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 verwendete Begriff der „Form“ lasse eine Auslegung zu, nach der er auch die bei der Angebotseinreichung zu verwendenden elektronischen Mittel umfasse. So bezeichne die „Form“ einer Erklärung die Anforderungen an die Art und Weise ihrer Verkörperung und Abgabe und somit auch an die bei der Abgabe eines Angebots verwendeten elektronischen Mittel. Zwar enthielten die §§ 11, 11a VOB/A 2016 für den Unterschwellenbereich keine Definition des Begriffs der elektronischen Mittel. Allerdings könne insoweit die in § 11 Abs. 1 VOB/A-EU 2016 enthaltene Definition herangezogen werden. Danach seien elektronische Mittel „Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung“ (§ 11 Abs. 1 VOB/A-EU 2016). Eine gleichlautende Definition enthalte § 9 Abs. 1 VgV. Schon nach dem Wortlaut umfasse der Begriff der elektronischen Mittel danach auch Softwareprogramme, die der elektronischen Datenübermittlung dienten. Gleiches ergebe sich aber auch aus einer richtlinienkonformen Auslegung unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 52 und 53 sowie von Art. 2 Abs. 1 Nr. 13, Nr. 19 und Art. 22 der EU-Vergaberichtlinie, deren Umsetzung § 11 VOB/A-EU und § 9 Abs. 1 VgV dienten.
Die Auslegung, wonach der Auftraggeber gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A 2016 die bei der Abgabe des Angebots zu verwendenden elektronischen Mittel festlegen dürfe, entspreche auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. So solle § 13 VOB/A 2016 den ordnungsgemäßen Wettbewerb im Vergabeverfahren sichern, Chancengleichheit und Transparenz gewährleisten und insbesondere der Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Angebote für die Wertungsphase dienen. Die Verwendung einheitlicher Dateiformate durch alle Bieter stelle eine (auch elektronische) Vergleichbarkeit sicher und verhindere beim Auftraggeber zusätzlichen Aufwand, der sonst durch die gegebenenfalls erforderliche Umwandlung und Überprüfung von Angeboten anfalle. §§ 11, 11a VOB/A 2016 könnten ihren Sinn und Zweck, wonach der Auftraggeber die Kommunikationsmittel im Interesse der Effizienz und Transparenz festlege, daher nicht erfüllen, wenn eine Verletzung entsprechender Vorgaben keinen Ausschluss des Angebots zur Folge habe.
Nun aber zurück zum konkreten Fall:
Der Beklagte habe, so der BGH, in den Vergabeunterlagen festgelegt, dass das Leistungsverzeichnis unter Verwendung des dort genannten Softwareprogramms (WinGAEB) einzureichen sei. Etwas anderes folge nicht daraus, dass die Bekanntmachung und Ziffer 7 der Angebotsaufforderung die elektronische Abgabe des Angebots in Textform vorsähen. Die Vergabeunterlagen seien nach dem objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, auf den bei der Auslegung abzustellen sei, eindeutig dahin zu verstehen, dass das Leistungsverzeichnis als GAEB-Datei im Format d.84 oder x.84 eingereicht werden müsse.
Vor diesem Hintergrund sei– den Vortrag der Beklagten, wie revisionsrechtlich geboten, als richtig unterstellt – das Angebot der Klägerin gemäß §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2016 auszuschließen gewesen. Eine Nachforderung der GAEB-Datei als „fehlende Unterlage“ komme nicht in Betracht, da. nach § 16a Satz 1 VOB/A 2016 die Möglichkeit zur Nachforderung fehlender Unterlagen stets voraussetze, dass kein Ausschluss nach § 16 Abs. 1 oder Abs. 2 VOB/A 2016 erfolgt sei.
Im Ergebnis könne das Berufungsurteil daher keinen Bestand haben. Die Sache sei zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG Köln zurückzuverweisen.
Fazit und Praxishinweise
Aus der Entscheidung des BGH folgt, dass der Auftraggeber nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VOB/A 2016 nicht nur festlegen darf, ob Angebote in Schrift- oder elektronischer Form und elektronische Angebote in Textform oder mit einer bestimmten Signatur einzureichen sind. Vielmehr kommt ihm auch die darüber hinausgehende Befugnis zu, die Verwendung von bestimmten Dateiformaten vorzugeben.
Die Entscheidung des BGH ist zur VOB/A, 1. Abschnitt, in der Fassung aus 2016 ergangen. Da aber der Wortlaut von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 1. Abschnitt, in der Fassung 2019 unverändert geblieben ist, lässt sich das Urteil unzweifelhaft auf die VOB/A 2019 übertragen.
Ebenso lässt sich die Entscheidung aber auch auf den Oberschwellenbereich übertragen. Denn der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 2. Abschnitt, ist – mit Ausnahme des darin zusätzlich enthaltenen klarstellenden Verweises auf die Grundsätze der Informationsübermittlung in § 11 VOB/A, 2. Abschnitt, identisch mit demjenigen im 1. Abschnitt. Außerdem hat der BGH, wie gezeigt, in seiner Entscheidung explizit auch auf die Definitionen in §§ 11, 11a VOB/A, 2. Abschnitt, sowie vor allem die dahinterstehenden Regelungen und Erwägungsgründe in der EU-Vergaberichtlinie abgestellt.
Damit bleibt noch die Frage nach einer Übertragbarkeit der BGH-Entscheidung auch auf Vergaben gemäß den Vorgaben der VgV bzw. UVgO. Zwar finden sich in der VgV bzw. der UVgO jeweils keine mit § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VOB/A vom Wortlaut her vergleichbaren Vorschriften. Allerdings legen die Vorschriften in den §§ 9 bis 12 VgV jeweils die Anforderungen an die elektronischen Mittel fest, die vom Auftraggeber für den Empfang von Teilnahmeanträgen und Angeboten verwendet werden (können/dürfen). Umgekehrt haben dann die Unternehmen ihre Teilnahmeanträge und Angebote gemäß § 53 Abs. 1 VgV mithilfe (entsprechender) elektronischer Mittel abzugeben. Damit setzen die Regelungen – denklogisch und stillschweigend – voraus, dass der Auftraggeber die konkreten elektronischen Mittel, die die Teilnahmeanträge und Angebote der Bewerber bzw. Bieter erfüllen müssen, im Rahmen der Anforderungen bzw. Grenzen der §§ 9 bis 12 VgV festlegt. Vergleichbar stellt sich die Situation in der UVgO unter Beachtung der Regelungen in § 7 UVgO i. V. m. §§ 10 bis 12 VgV sowie § 38 UVgO dar. Vor diesem Hintergrund spricht Vieles dafür, dass die auch wesentlich an die Legaldefinition von „elektronischen Mitteln“ in § 9 Abs. 1 VgV bzw. § 7 Abs. 1 UVgO bzw. die dahinter stehenden Regelungen und Erwägungsgründe in der EU-Vergaberichtlinie anknüpfende Argumentation des BGH und schlussendlich das Ergebnis, dass über die Vorgabe der zu verwendenden elektronischen Mittel auch die Verwendung bestimmter Dateiformate möglich ist, auch auf den Bereich der Vergaben von Liefer- und Dienstleistungsbereich transferiert werden kann bzw. muss.
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