VK Rheinland-Pfalz Beschluss vom 16. Dezember 2022 (VK 1-4/22)
Die VK Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 16. Dezember 2022 (VK 1-4/22) einem auf Unwirksamkeit eines Direktauftrags gerichteten Nachprüfungsantrag stattgegeben, da die hohen Anforderungen an eine vorherige Analyse des Marktes mit Blick auf Alternativlösungen nicht erfüllt worden waren.
Die Auftraggeberin (eine Körperschaft öffentlichen Rechts, die verschiedene Forschungsprojekte durchführt), vergab einen Auftrag über die Beschaffung, Lieferung, Installation und Inbetriebnahme einer Laserlithographieanlage (3-D-Drucker) ohne Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens im Wege eines Direktauftrags nach Verhandlungen ausschließlich mit der Beigeladenen. In der Vergabeakte wurde ausgeführt, dass vergleichbare Fabrikate und Ausführungen zwar auf dem Markt seien, aber nicht in Betracht kommen würden, so dass eine Bestellung direkt bei der Beigeladenen erfolge. Die Beschaffung sei zur Durchführung des Dienst-, Lehr- und Forschungsbetriebs der Auftraggeberin unbedingt notwendig. Weiterhin wurden eine Reihe von Alleinstellungsmerkmalen benannt, die nur das Gerät der Beigeladenen erfülle und kein anderer Anbieter im Portfolio habe, zumal die Beigeladene daran die Patente halte. Diese Merkmale seien für die Arbeiten der Auftraggeberin essenziell. Zur Markterkundung war in der Vergabeakte dokumentiert, dass man im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit der Auftraggeberin die wissenschaftlichen Arbeiten im Umfeld der Antragstellerin und auch die kommerziell verfügbaren Anlagen aller bekannten Anbieter verfolgt und Erkundigungen zu den Leistungsständen der Anlagen eingeholt habe. Hierfür seien Webseiten und Messen besucht und auch persönliche Kontaktaufnahmen zu involvierten Wissenschaftlern durchgeführt worden.
Die Vergabe wurde mit einer Ex-post-Bekanntmachung im Amtsblatt der EU europaweit bekannt gemacht, in der als Begründung für die Direktvergabe die identifizierten Alleinstellungsmerkmale des Produkts der Beigeladenen angeführt wurden.
Die Vergabe wurde von der Antragstellerin gerügt, da die angeführten Alleinstellungsmerkmale nicht vorlägen. Der Rüge wurde nicht abgeholfen, so dass die Antragstellerin Nachprüfung beantragte, gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit des Auftrags von Anfang an gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
Die Vergabekammer gab dem Antrag statt.
Sie stellte zunächst im Zuge der Zulässigkeitsprüfung fest, dass die Antragstellerin durch den Nachprüfungsantrag ihr Interesse am Auftrag hinreichend bekundet habe und die Verletzung ihrer Rechte durch die behauptete Verletzung von Vergaberechtsvorschriften hinreichend möglich erscheine. Die Antragstellerin habe insbesondere vorgetragen, dass sie bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ihre Chance in einem vergaberechtskonformen Wettbewerb suchen werde, und sie habe auch hinreichend dargelegt, dass ihr im Sinne von § 160 Abs. 2 S. 2 GWB durch den beanstandeten Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstehe bzw. zu entstehen drohe. Der Schaden bestehe darin, dass ihre Aussichten auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können. Es genüge insoweit der Vortrag, dass ihr durch die Nichtdurchführung eines wettbewerblichen Verfahrens die Chance genommen worden sei, ein Angebot abzugeben und den Zuschlag zu erhalten. Es sei weiterhin auch nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin im Zeitpunkt einer Angebotsabgabe ein wettbewerbsfähiges Angebot hätte abgeben können, auch wenn sie während der Dauer des Nachprüfungsverfahrens noch kein entsprechendes Gerät auf den Markt gebracht habe.
Schließlich war auch die Frist des § 135 Abs. 2 S. 2 GWB von 30 Kalendertagen nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union gewahrt.
Der Nachprüfungsantrag war nach Ansicht der Vergabekammer auch begründet, da die Auftraggeberin das Vorliegen der Voraussetzungen für die Direktbeauftragung nicht nachweisen konnte. Sie hatte sich bei der Direktvergabe auf den Ausnahmetatbestand des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV gestützt, wonach ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb dann zulässig ist, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Nach § 14
Abs. 6 VgV gelten die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 2 b) nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter durch den Auftraggeber ist.
Die Vergabekammer stellte zunächst im Einklang mit EuGH und ständiger nationaler Rechtsprechung klar, dass sämtliche Ausnahmen von der vorrangigen Durchführung offener und nicht offener Verfahren eng auszulegen seien. Dies gelte erst recht, wenn mit nur einem einzigen Unternehmen verhandelt, also überhaupt kein Wettbewerb durchgeführt werde. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen trage der Auftraggeber.
Anschließend arbeitete sie heraus, dass das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers, der grundsätzlich selbst festlegen darf, ob und was beschafft werden soll, gerade bei der Direktbeauftragung engeren Grenzen als sonst unterliege, nämlich denjenigen des § 14 Abs. 6 VgV, wonach es keine vernünftigen Alternativen oder Ersatzlösungen geben und die Einschränkung des Wettbewerbs nicht künstlich herbeigeführt worden sein dürfe.
Um das Vorliegen eines solchen objektiv fehlenden Wettbewerbs nachzuweisen, bedürfe es einer umfassenden Marktanalyse des Auftraggebers auf europäischer Ebene, und zwar vor der Entscheidung über die Wahl der Verfahrensart. Die Anforderungen an die Ermittlungen, die ein Auftraggeber in diesem Zusammenhang anzustellen hat, seien konsequenterweise ebenfalls hoch, bevor ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Verfahren verzichtet werden dürfe. Die Rechtsprechung verlange insoweit „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“. Nach dem 50. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU müsse der Auftraggeber darlegen und beweisen, dass es für andere „Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen“. Es müsse daher auch ausgeschlossen sein, dass für die Auftragsdurchführung weitere Unternehmen in Frage kommen, die die für den Auftrag notwendigen Fähigkeiten und Ausstattungen noch rechtzeitig erwerben können. Reine Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder wirtschaftliche Vorteile reichten hingegen für die Begründung der Direktvergabe ebenso wenig aus wie die Einschätzung des Auftraggebers, dass ein bestimmter Anbieter die Leistung am besten erfüllen könne.
Die Dokumentation der Auftraggeberin ließ vorliegend nach Ansicht der Vergabekammer zunächst Angaben dazu vermissen, weshalb die identifizierten Alleinstellungsmerkmale für die Auftraggeberin essenziell waren, welche Arbeiten nur damit möglich sind und warum gerade diese technischen Spezifikationen, aus welchen die Auftraggeberin die Alleinstellungsmerkmale der Beigeladenen abgeleitet hat, überhaupt gefordert wurden. Auch fehle es an einer Auseinandersetzung mit den am Markt vorhandenen Alternativen. Es sei gerade nicht ausreichend für die Anwendung des Ausnahmetatbestands, dass sich ein Auftraggeber von einem bestimmten Produkt die beste Leistungserfüllung erhoffe. Weiterhin ließ die Dokumentation in der Vergabeakte nicht erkennen, wer wann welche Recherchen zu welcher Alternative durchgeführt hatte, etwa welche Internetseiten wann in Augenschein genommen wurden. Auch Kontakte mit den Unternehmen waren nicht belegt. Ein kurzes Gespräch mit der Antragstellerin habe zwar auf einer Messe stattgefunden, aber erst nach der Auftragserteilung an die Beigeladene, so dass das Gespräch nicht als Beleg für die Marktrecherche herangezogen werden könne. Letztlich fehlten der Vergabekammer stichhaltige Beweise dafür, dass eine Marktrecherche ein objektives Fehlen von Wettbewerb ergeben hatte. Dazu, ob andere Unternehmen noch rechtzeitig entsprechende Fähigkeiten und Ausstattungen für die Auftragsdurchführung hätten erwerben können, fand sich in der Dokumentation der Marktanalyse ebenfalls nichts.
Eine Heilung dieses Vergaberechtsverstoßes kam vorliegend nicht in Betracht, da es sich insbesondere nicht nur um einen Dokumentationsmangel gehandelt habe, sondern um eine fehlende Markterkundung, die nicht im Wege einer nachträglichen Dokumentation nachgeholt werden könne.
Schließlich beanstandete die Vergabekammer auch, dass bereits vor der Festlegung der Anforderungen an das zu beschaffende Gerät ein Angebot der Beigeladenen vorlag, so dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Erkenntnisse über das Gerät der Beigeladenen die Verneinung von Alternativen und Ersatzlösungen beeinflusst hat. Auch war aus Sicht der Vergabekammer nicht auszuschließen, dass die Auftraggeberin bei ordnungsgemäßer Markterforschung andere Leistungsanforderungen aufgestellt hätte.
Damit wurde der Direktauftrag für von Anfang an unwirksam erklärt. Die Vergabekammer wies abschließend darauf hin, dass bereits erbrachte Leistungen nach §§ 812 ff BGB rückabzuwickeln sind. Selbst bei vollständiger Leistungserfüllung durch die Beigeladene werde keine Erledigung in der Hauptsache eintreten, da eine Rückabwicklung „in natura“ denkbar sei, da das Gerät jederzeit wieder entfernt werden könnte.
Die Möglichkeit der Beauftragung eines bestimmten Unternehmens im Wege eines Direktauftrags nach Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen wird in der Praxis regelmäßig von Auftraggebern erwogen. Gerade in Bezug auf Lieferleistungen haben Bedarfsträger häufig bestimmte Produkte eines Herstellers im Blick, mit welchen sie entweder selbst bereits gute Erfahrungen gemacht haben oder die aus anderen Gründen gegenüber anderen Produkten am Markt vorzugswürdig oder gar allein geeignet erscheinen. Dies muss stets jedoch äußerst kritisch hinterfragt werden.
Die Durchführung einer ordnungsgemäßen Markterkundung zum Nachweis des objektiv fehlenden Wettbewerbs ist in solchen Fällen stets zwingend notwendige Voraussetzung dafür, dass eine solche Direktbeauftragung überhaupt in Betracht gezogen werden kann. Der Auftraggeber ist im Streitfalle dafür beweispflichtig und es werden hohe Anforderungen an die Analyse selbst und deren Dokumentation gestellt, die häufig unterschätzt werden. Folgende Aspekte sind besonders relevant:
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine Marktrecherche, die geeignet ist, die Anforderungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV „gerichtsfest“ zu beweisen, erheblichen Aufwand fordert, der zeitlich und finanziell oft sogar die Durchführung eines straffen wettbewerblichen Verfahrens (etwa in Form eines offenen Verfahrens) übersteigt. Die Einschätzung, welche Unternehmen EU-weit am Markt tätig sind und befragt werden müssen, die Entwicklung eines geeigneten Fragenkatalogs und die entsprechende Dokumentation setzen große Fachkenntnis voraus und binden Ressourcen. Nicht selten müssen Fachberater dafür hinzugezogen werden, um überhaupt die nötige Marktübersicht zu gewinnen. Daher ist stets sorgfältig abzuwägen, ob die Anwendung des Ausnahmetatbestands mittels entsprechender Marktrecherche abgesichert werden soll oder eher ein wettbewerbliches Verfahren durchgeführt wird, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ein (wenn auch vielleicht sehr kleiner) Markt in der EU vorhanden ist.
Abschließend sei noch auf zwei Risiken der unzulässigen Direktbeauftragung hingewiesen:
Zum einen sind, wenn (wie hier) die Unwirksamkeit des Direktauftrags festgestellt wird, alle bereits erbrachten Leistungen rückabzuwickeln. Gerade bei Lieferleistungen bedeutet dies in aller Regel, dass die gelieferten Gegenstände zurückzugeben sind und die Vergütung zurückzuzahlen ist. Damit besteht ein erhebliches Risiko, dass im Falle der erfolgreichen Beanstandung nicht nur doch noch ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen ist, sondern der Auftraggeber nach der Rückabwicklung auch tatsächlich in den Stand vor der Direktvergabe zurückgeworfen wird. Dies trifft ihn dann in der Regel zur Unzeit mitten in einem Projekt oder beeinträchtigt einen Prozess, der bereits unter Nutzung des Beschaffungsgegenstands etabliert ist. Auch dieses Risiko spricht für eine sehr sorgfältige Abwägung einer Direktvergabe.
Zum anderen stellt eine unzulässige Direktvergabe einen ganz klassischen Grund für die Rückforderung von Zuwendungen dar. Daher ist bei Aufträgen, für die Fördermittel zum Einsatz kommen, ganz besondere Vorsicht geboten, da im schlechtesten Falle die beschaffte Leistung und die Mittel dafür verloren gehen.
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