OLG Frankfurt
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 21. Dezember 2023, 11 Verg 4/23) im Rahmen eines Vergabeverfahrens über Sicherheitsdienstleistungen für Einrichtungen für Geflüchtete eingehend mit dem regelmäßig praxisrelevantesten Eignungskriterium und -nachweis befasst: den Referenzen.
Zunächst stellt der Senat klar, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigt ist, von den Bietern einzelfallbezogene Informationen zu den Referenzen abzufordern, vorliegend in Form der Angabe von Leistungsorten, welche über die ausdrücklich in § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV genannten Angaben hinausgehen.
Zugleich gibt der Senat hilfreiche Hinweise zur Prüfungstiefe bei den vorgelegten Referenzen und kommt zu dem richtigen Ergebnis, dass im Gesamtzusammenhang offensichtlich unplausible Bieterangaben, welche die gesetzten Mindestanforderungen an den Referenznachweis nicht erfüllen, nicht zu einer positiven Eignungsprüfung führen dürfen.
Die Auftraggeberin schrieb die Durchführung von Sicherheitsdienstleistungen EU-weit aus und stellte in der Bekanntmachung Anforderungen an die Referenzen der Bieter, welche Angaben zur Art der Leistung, deren Umfang, Empfänger, Ansprechpartner, Erbringungszeitraum sowie dem Leistungsort umfassen sollten. Zudem musste die Referenzangabe das Auftragsvolumen der zu leistenden Gesamtjahresstunden des jeweiligen Loses abdecken, also dem jeweils geforderten Leistungsumfang der Höhe nach entsprechen. Dabei war es möglich, die zu leistenden Gesamtjahresstunden des jeweiligen Loses zu erreichen, indem bis zu sechs Referenzangaben aus demselben Leistungszeitraum addiert werden konnten. Sollte von einem Bieter auf mehr als ein Los angeboten werden, war gefordert, dass durch die vorgelegten Referenzangaben nachgewiesen werden konnte, dass hinsichtlich des Umfangs der Gesamtjahresstunden die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen vergleichbar mit dem Leistungsumfang der Lose waren. Nach mehreren Änderungsbekanntmachungen legte sich die Auftraggeberin auf eine Gesamtstundenzahl in Höhe von 1.812.396 Stunden über alle Lose fest.
Die Antragstellerin gab ein Angebot auf alle vier verbleibenden Lose ab und gab hinsichtlich der Referenzen für Los 1, welche inhaltsgleich mit denen für die restlichen Lose waren, an, dass der Umfang des Auftrags mit „Jahresstunden: ca. 1,5 Mio.” beziffert werden könne.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2023 teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot hinsichtlich aller vier Lose ausgeschlossen wurde, da die Summe der Jahresstunden für alle vier Lose insgesamt 1.812.396 hätte betragen müssen und somit dem Angebot 312.396 Stunden gefehlt hätten.
Die Antragstellerin legte mit Schriftsatz vom 4. April 2023 den streitgegenständlichen Nachprüfungsantrag mit der Begründung ein, sie erfülle die Referenzanforderungen. Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück.
Gegen den Ausschluss vom Vergabeverfahren reichte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein. Zudem begehrte die Antragstellerin hilfsweise eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens, da auch die Beigeladene, die den Zuschlag für den Auftrag erhalten sollte, auszuschließen sei, weil sie eine unmögliche Leistung in ihren Referenzen angegeben habe, wenn man das dort ausgewiesene Stundenvolumen mit der angegebenen Mitarbeiterzahl ins Verhältnis setze.
Der Vergabesenat des OLG Frankfurt stellte fest, dass die sofortige Beschwerde zulässig und hinsichtlich des Hilfsantrags begründet sei. Demnach wird die Antragsgegnerin verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht den Bietern die Gelegenheit zur erneuten Angebotsabgabe zu geben („zweite Chance”).
Die anderen Anträge seien unbegründet, da die Antragstellerin zu Recht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sei. Dabei stehe der Antragsgegnerin bei der Prüfung der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ein weiter Beurteilungsspielraum zu, welcher der Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen weitgehend entzogen ist. Außerdem stellte das OLG fest, dass auch Bieter, die auf mehrere Lose anbieten, Referenzen für vergleichbare Leistungen einreichen müssen, die im Gesamtumfang den in der Bekanntmachung ausgeschriebenen Leistungsumfang abdecken.
Das OLG entschied entgegen den Ausführungen der Antragstellerin, dass die zulässigerweise zu fordernden Angaben bezüglich der Referenzen nicht abschließend durch § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV vorgegeben werden. Aus diesem Grund sei es zulässig, Angaben zum Leistungsort zu fordern, welche die Ortskenntnisse und Logistik des Bieters sicherstellen sollen.
Das OLG gab der Antragstellerin allerdings auf deren Hilfsantrag insoweit Recht, dass die Antragsgegnerin die Beigeladene zu Unrecht als geeignet eingestuft habe. Wie von der Antragstellerin zurecht gerügt, seien die aufgeführten Angaben der Beigeladenen zu den geleisteten Gesamtstunden und dem eingesetzten Personal nicht nachvollziehbar. Denn rechnet man die angegebene Anzahl der eingesetzten Personen auf den angegebenen Leistungszeitraum hoch, so führt dies – jedenfalls bei Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften – nicht zu den von der Beigeladenen behaupteten Einsatzstunden, sondern zu einer Anzahl an Einsatzstunden, die unter der Mindestanforderung zurückbleiben. Dieser Prüfungs- und Rechenschritt ist dem öffentlichen Auftraggeber zumutbar. Wäre er seiner Prüfpflicht nachgekommen, hätte ihm auffallen müssen, dass die Angaben der Beigeladenen nicht plausibel sind. Somit sei diese Referenz zum Nachweis der Leistungsfähigkeit nicht geeignet, sodass sie von der Bewertung ausgeschlossen wird und die Beigeladene letztlich kein der ausgeschriebenen Leistung vergleichbares Stundenvolumen nachweisen konnte.
Auch das Vorbringen der Antragsgegnerin, dass bei telefonischer Nachfrage bei der Referenzgeberin von dieser nachträglich eine höhere Zahl an Mitarbeitern angegeben wurde als die Beigeladene selbst im Referenznachweis angab, wies das OLG zurück. Es könnten nur fehlende Angaben nachgefordert, nicht aber möglicherweise fehlerhafte Angaben zugunsten eines Bieters nachträglich korrigiert werden.
Weiterhin verwarf der Vergabesenat die Ausführungen der Antragsgegnerin, dass die Angaben zur Mitarbeiterzahl allein für die Frage des Verstoßes gegen arbeitsrechtliche Vorschriften, nicht aber für die Erfüllung der Anforderungen an die vorzulegenden Referenzen im Vergabeverfahren, Bedeutung erhalten sollten. Vergabeunterlagen sind aus der Sicht eines objektiven Dritten zu verstehen. Wenn der Auftraggeber bestimmte Angaben zu den Referenzen fordert, erfolgt dies gerade um die Erfüllung der vom Auftraggeber gesetzten (Mindest-)Anforderungen – auch dahingehend, ob die Bieterangaben plausibel sind – überprüfen zu können.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist zu begrüßen.
Zunächst entspricht es dem praktischen Bedürfnis, die Referenzangaben nicht nur auf die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV explizit genannten Informationen (Wert, Liefer- bzw. Erbringungszeitpunkt sowie Angaben zum öffentlichen oder privaten Auftraggeber) zu beschränken. Insbesondere im Fall einer Bewerberauswahl (§ 51 VgV) im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb ist es aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers regelmäßig erforderlich, weitere Angaben zu den Referenzen abzufordern, um effektiv die Referenzen bewerten und damit den geeignetsten Bewerber ermitteln zu können.
Auch die Ausführungen des Vergabesenats zur Prüfpflicht des öffentlichen Auftraggebers können überzeugen. Entscheidet sich der Auftraggeber zur Forderung bestimmter Angaben und Informationen, ist er auch verpflichtet, die von den Bietern getätigten Angaben insgesamt auf ihre Plausibilität zu prüfen. Die Grundlage für diese Prüfung ergibt sich unmittelbar aus den ausgefüllten Eigenerklärungen und ist daher vom Umfang dem Auftraggeber zuzumuten. Führen die Angaben des Bieters zu einem nicht nachvollziehbaren Ergebnis, welches die Nichterfüllung der gesetzten Eignungsanforderungen nahelegt, führt dies (nach erfolgter Aufklärung) dazu, dass die Referenz nicht berücksichtigt werden darf. Im entschiedenen Fall konnten weder die Beigeladene noch die Antragsgegnerin die fehlende Plausibilität der Angaben ausräumen.
Für Bieter lässt sich aus der Entscheidung ableiten, dass vom Auftraggeber geforderte Referenzangaben umfassend und sorgfältig anzugeben sind sowie in sich plausibel sein müssen. Ansonsten droht ein (vermeidbarer) Ausschluss des Angebots. Für öffentliche Auftraggeber zeigt sich, dass Bieterangaben nicht „blind” zu akzeptieren sind, sondern bei offensichtlichen Widersprüchen auch die vergaberechtlichen Konsequenzen bis zum Ausschluss eines Bieters zu ziehen sind.
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