VK Thüringen, Beschluss vom 8. März 2017 – Az. 250-4003-1772/2017-N-005-G
Sachverhalt
Ein Auftraggeber („Ag“) schreibt Sicherheitsdienstleistungen nach den Bestimmungen der VOL/A aus.
VK Thüringen, Beschluss vom 8. März 2017 – Az. 250-4003-1772/2017-N-005-G
Sachverhalt
Ein Auftraggeber („Ag“) schreibt Sicherheitsdienstleistungen nach den Bestimmungen der VOL/A aus. Die spätere Beschwerdeführerin („B“) gibt bis zum Ablauf der Angebotsfrist am 20. Januar 2017 ein Angebot ab. Darüber hinaus gehen zwei weitere Angebote ein.
Nach Öffnung der Angebote fordert der Ag die B dazu auf, die detaillierte Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes für die Pos. 1.10 und die Kosten- struktur ihres Angebotes zu erläutern, um Zweifel an der Auskömmlichkeit ihres Angebotes auszuräumen.
Die B legt daraufhin fristgerecht ihre Kalkulation für den Stundenverrechnungssatz in der Pos. 1.10, eine Aufstellung der Berechnungsgrundlagen zur Berechnung der angesetzten Krankheits-, Urlaubs- und Freistellungstage sowie die Unbedenklich- keitsbescheinigung des Finanzamtes, die Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Krankenkassen als Nachweis über die Zahlung der Sozialabgaben und ein Konzept zur Arbeitszeitregelung und Pausenvertretung vor. Weiterhin legt sie eine Kostenaufstellung zur Berechnung der Kosten für Technik und Bekleidung vor.
Gleichwohl teilt der Ag der B mit, dass ihr Angebot wegen des nicht widerlegten Verdachts der Unauskömmlichkeit von der Wertung auszuschließen sei. Ein Teil der vorgelegten Berechnungen zur Kalkulation des Stundeverrechnungssatzes sei fehlerhaft und rechnerisch nicht nachvollziehbar. Nach erfolgloser Rüge der B wird der Vorgang der Vergabekammer vorgelegt.
Entscheidung
Die Vergabekammer, die aufgrund landesvergaberechtlicher Bestimmungen in Thüringen auch für dieses unterschwellige Vergabeverfahren zuständig ist, kommt zu dem Ergebnis, dass die Prüfung der Angemessenheit des Angebotspreises der B durch den Ag nicht vergaberechtskonform durchgeführt wurde. Es liegt – so die Vergabekammer – unter anderem ein Verstoß des Ag gegen die Verpflichtung des § 16 Abs. 6 VOL/A vor. Das Vergabeverfahren ist aus diesem Grund rechtswidrig.
Gemäß § 16 Abs. 6 VOL/A verlangt der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung, soweit ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Auf Angebote, deren Preise in offenbarem Missverhältnis zur Leistung stehen, darf der Zuschlag nicht erteilt werden. Ein Auftraggeber muss in rechtskonformer Anwendung dieser Vorschriften eigenständig im Rahmen der Wertung der Angebote die erforderlichen Aufklärungen vornehmen und prüfen, ob der Gesamtangebotspreis eines Bieters angemessen ist. Im Ergebnis muss er die weitgehende Sicherheit erlangen, dass die Leistung durch den für die Vergabe favorisierten Bieter ohne wirtschaftliche Schwierigkeiten und daraus unter Umständen resultierenden Unterbrechungen und unter Einhaltung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung erfüllt werden kann. Dabei ist dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum eröffnet, dessen Einhaltung durch eine zuständige Nachprüfungsinstanz nur eingeschränkt prüfbar ist.
Der Beurteilungsspielraum ist dann überschritten, wenn ein vorgeschriebenes Verfahren nicht eingehalten wird, nicht von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wird, sachwidrige Erwägungen in die Wertung einbezogen werden oder der sich im Rahmen der Beurteilungs- ermächtigung haltende Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wird. Erst eine Überschreitung des ihm dabei eröffneten Beurteilungsspielraumes rechtfertigt einen entsprechenden Eingriff der Nachprüfungsinstanz in das Vergabeverfahren.
Einem Auftraggeber obliegt es, den Bieter durch gezielte positions- bzw. titelbezogene Anfragen Gelegenheit zu einer Aufklärung der von ihm benannten auffälligen Positionen oder Titel zu geben. Eine lediglich pauschale Aufforderung zur Erklärung der Kalkulation genügt nicht den Erfordernissen einer sachgerechten Aufklärung. Der Bieter bleibt ansonsten im Unklaren darüber, in welchen Positionen oder Titeln der Auftraggeber entsprechende Auffälligkeiten festgestellt hat, die nach seiner Meinung einer Aufklärung bedürfen. Ohne konkrete Anfragen ist der Bieter, der sein Angebot unter Ausnutzung der ihm zustehenden Kalkulationsfreiheit erstellt hat, nicht in der Lage, die betreffenden Positionen oder Titel zu erkennen und entsprechende Erklärungen, gegebenenfalls in Textform, abzugeben.
Im vorliegenden Sachverhalt wurde der dem Ag eröffnete Beurteilungsspielraum nicht ordnungsgemäß angewandt, da das vorgeschriebene Verfahren – so die Vergabekammer – nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Durch den Ag wurde die Aufklärung nicht entsprechend den vergaberechtlichen Erfordernissen in § 16 Abs. 6 VOL/A vollumfänglich vorgenommen. Der Auftraggeber hat zwar im Schreiben vom 02.02.2017 darauf hingewiesen, dass der Stundenverrechnungs- satz und die kalkulierten Zuschläge aufgrund der geforderten Ausstattung zu gering erscheinen, um den Auftrag in der geforderten Qualität und im geforderten Umfang durchzuführen. Diese Aussagen stellen jedoch zunächst allein seine Vermutung dar. Gezielte, positionsbezogene Nachfragen wurden dagegen nicht an die B gerichtet.
Ein Bieter, der naturgemäß selbst von der Richtigkeit seiner Kalkulation ausgeht und bei einer Ausschreibung nach der VOL/A keine Kenntnis vom Angebotspreis der anderen Bieter hat, ist nur dann in die Lage versetzt, die Angemessenheit seines Angebotspreises gegenüber den Angebotspreisen der Wettbewerber nachvollziehbar zu begründen, wenn er weiß, worauf die Zweifel des Auftraggebers an seinem Angebotspreis beruhen. Diese Unkenntnis des Bieters muss der Auftraggeber durch gezielte, positionsbezogene Nachfragen oder ein konkret formuliertes Aufklärungsersuchen ausgleichen. Dieser Verpflichtung hat der Auftraggeber nach Einschätzung der Vergabekammer nicht entsprochen.
Praxishinweis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass öffentliche Auftraggeber bei Zweifeln an der Angemessenheit der angebotenen Preise bei den Bietern gezielt nachfragen müssen und gegenüber den Bietern konkret ausführen müssen, worauf die Zweifel beruhen. Nur so können die Bieter in die Lage versetzt werden, die Zweifel aus- zuräumen. Ein pauschales Aufklärungsverlangen ist deshalb nicht ausreichend.
Die vorstehend diskutierte Aufklärungspflicht findet sich im Übrigen nicht nur in § 16 Abs. 6 VOL/A. Beispielsweise ist auch in der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), die in Kürze die VOL/A (Abschnitt1) ersetzen wird, eine solche Aufklärungspflicht vorgesehen, vgl. § 44 UVgO. Ebenso ergibt sich für ober- schwellige Vergabeverfahren zur Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen aus § 60 VgV eine Aufklärungspflicht bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten.
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