VK Bund, Beschluss vom 4. Januar 2023 - VK 1 1-105/22; nicht bestandskräftig; Beschwerde: OLG Düsseldorf – Verg 1/23
Die Vergabekammer des Bundes hatte sich in vorgenannter Entscheidung mit einer streiterheblichen Rechtsfrage zum § 16 EU Nr. 2 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A zu befassen:
Wann ist von einer relevanten, den Angebotsausschluss bedingenden Änderung der Vergabeunterlagen auszugehen?
Die Frage hat die Vergabekammer in seinen Leitsätzen zum Beschluss wie folgt beantwortet:
1. „ Ändert das Angebot des Bieters die Vergabeunterlagen ab, ist es zwingend auszuschließen. Eine solche Änderung an den Vergabeunterlagen liegt z. B. vor, wenn der Bieter durch handschriftliche Ergänzungen weitere Unterlagen zum Vertragsinhalt erklärt als der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen vorgesehen hat.
2. Auch wenn Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen – jedenfalls wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt -, gilt dies nur dann, wenn das Angebot durch bloßes Streichen der von den ausgeschriebenen Vorgaben abweichenden Bieterangaben auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen „zurückgeführt“ werden kann.
3. Bei „manipulativen Eingriffen“ in die Vergabeunterlagen, also in den Fällen, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweicht und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt, wenn man die Abweichungen des Bieters hinwegdenkt, ist das Angebot auszuschließen.“
Die Antragsgegnerin schrieb im Jahr 2022 unter dem Titel „Ersatzneubau der Ufereinfassungen […]“ in einem offenen Verfahren Bauleistungen aus.
In den Vergabeunterlagen verwendete die Antragsgegnerin Standardformulare für die Aufforderung zur Angebotsabgabe sowie für das Angebotsschreiben. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe machte die Antragsgegnerin diverse Vorgaben dazu, wann im Verfahren welche Unterlagen, welche Relevanz haben. In dem vorgegebenen Formblatt für das Angebotsschreiben oblag es jedoch den Bietern des Verfahrens – so auch der Antragstellerin – durch das Setzen von Kreuzen zu bestimmen, welche Angebotsunterlagen zum verbindlichen Angebotsbestandteil würden. In dem Angebotsschreiben waren vier mögliche Angebotsunterlagen zum Ankreuzen vorgegeben. Zudem fanden sich weitere „Kästchen“ zum Ankreuzen neben Leerzeilen.
Die Antragstellerin kreuzte aus der Liste vorgegebener Unterlagen eines an und ergänzte handschriftlich neun weitere Unterlagen, welche sie hierdurch ebenfalls als Angebotsbestandteil deklarierte, u.a. ein „Gerätekonzept“.
Überdies machte die Antragsgegnerin in ihrem Leistungsverzeichnis unter anderem Vorgaben zu „Stundenlohnarbeiten durch schwimmende Fahrzeuge oder Geräte auf Anordnung des AG“. So definierte sie, dass die „max. Liege- / Arbeitsbreite der schwimmenden Geräte in der Wasserstraße für die Durchführung der Arbeiten (…) 9,00 m“ betragen durfte.
Im Leistungsverzeichnis benannte die Antragstellerin – an vorgesehener Stelle – betreffend die im Rahmen der Stundenlohnarbeiten eingesetzten Betriebsmittel ein „Ponton 16“ und bei der zugehörigen Fahrzeuggröße eine Breite von 9,50 m. Im Gerätekonzept (und einer weiteren Anlage zum Angebot) hielt die Antragstellerin dagegen fest, dass ein „DreistelzenPonton 31“, mit einer Breite von 8,00 m eingesetzt würde.
Der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 17. November 2022 mitgeteilt, dass sie trotz des niedrigsten Angebotspreises nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe und das deshalb der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden sollte.
Die Antragstellerin rügte die Wertung ihres Angebots betreffend die Qualitätskriterien und stellte nach mitgeteilter Nichtabhilfe einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Erst auf Hinweis der Vergabekammer des Bundes in der mündlichen Verhandlung wurde die Frage einer Änderung der Vergabeunterlagen und einem hieraus ggf. folgenden Ausschlussgrund erörtert.
Der Nachprüfungsantrag, welcher aktuell mit einer Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf weiterverfolgt wird, blieb zunächst ohne Erfolg!
Die Vergabekammer kam zu der Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag zulässig, jedoch unbegründet war. Auf die Wertung der Qualitätskriterien kam es nach Auffassung der Vergabekammer nicht an:
„Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet, weil das Angebot der Antragstellerin wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 EU Nr. 2 i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A zwingend auszuschließen ist (dazu unter a)). Auf die von der Antragstellerin geltend gemachten Fehler hinsichtlich der Wertung der Angebote kommt es daher nicht an.“
Die Vergabekammer meint, dass die handschriftlichen Ergänzungen von Angebotsanlagen in dem vorgegebenen Formblatt für das Angebotsschreiben (sogleich unter a)) ebenso wie die Benennung eines Pontons mit einer Breite von 9,50 m im Leistungsverzeichnis (sogleich unter b)), als Änderungen der
Vergabeunterlagen zu würdigen seien und den zwingenden Ausschluss des Angebots bedingen.
a) Das Formblatt für das Angebotsschreiben enthalte zwar den Hinweis, dass die Liste der Anlagen „vom Bieter anzukreuzen und beizufügen“ seien, dies sei aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts der potentiellen Bieter dahingehend zu verstehen, dass lediglich Kreuze zu machen waren; die Möglichkeit der Ergänzung weiterer Anlagen in den Freizeilen sei dagegen nicht eröffnet. Dies stützte die Vergabekammer unter anderem darauf, dass es sich um ein offenes Verfahren handelte, in welchem Bieter – im Gegensatz zum Verhandlungsverfahren – keinen Spielraum für eigene Vorschläge hätten.
b) Zudem sei auch die Angabe einer Pontonbreite von mehr als 9 m als Änderung an den Vergabeunterlagen zu würdigen, welche zum zwingenden Ausschluss des Angebots der Antragstellerin führen müsse. Die Vergabekammer kam insoweit zu der Auffassung, dass trotz der Benennung eines schmaleren Pontons im Gerätekonzept von einer eindeutigen Angabe im Leistungsverzeichnis auszugehen sei, welche deshalb keiner Auslegung oder Aufklärung durch die Antragsgegnerin zugänglich gewesen sei.
Zum Maßstab ihrer Würdigung führt die Vergabekammer wie folgt aus:
„Auch wenn die Auffassung vertreten wird, dass Angebote nicht unnötig aus formalen Gründen ausgeschlossen werden sollen, jedenfalls wenn es sich um an sich vermeidbare, nicht gravierende formale Mängel handelt, gilt dies auch nach der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des BGH vom 18. Juni 2019 (Az. X ZR 86/17) nur dann, wenn das Angebot durch bloßes Streichen der von den ausgeschriebenen Vorgaben abweichenden Bieterangaben auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen „zurückgeführt“ werden kann (s. BGH, a.a.O., Rz. 26). Bei „manipulativen Eingriffen“ in die Vergabeunterlagen, also in den Fällen, in denen ein Angebot inhaltlich von den ausgeschriebenen Vorgaben abweicht und kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt, wenn man die Abweichungen des Bieters hinwegdenkt, ist das Angebot jedoch auch nach dieser Auffassung auszuschließen (s. BGH, a.a.O.; Gröning, NZBau 2020, 275, 277 f.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Oktober 2021 – Verg 24/21; OLG Schleswig, Beschlüsse vom 28. April 2021, 54 Verg 2/21 und vom 12. November 2020, 54 Verg 2/20).“
Die Entscheidung ist mit Vorsicht zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn das Ergebnis vertretbar ist, enthält die Entscheidung Würdigungen, welche nach hiesiger Auffassung auch abweichend vertreten werden könnten.
So ist dem Sachverhalt der Entscheidung nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin sich die Auffassung der Vergabekammer betreffend den Ausschluss zu eigen gemacht hätte; der Ausschluss wurde – soweit ersichtlich – nie erklärt. Dann hätte die Entscheidung auf Ebene der Begründetheit wohl nicht auf den Ausschluss gestützt werden dürfen.
Zudem kann der Frage der Eindeutigkeit Auslegung der Vorgaben im Angebotsanschreiben wohl auch anders begegnet werden. Unklarheiten in den Vergabeunterlagen dürften dann nicht zum Nachteil eines Bieters berücksichtigt
werden.
Schließlich ist kritisch zu hinterfragen, ob und inwieweit hier tatsächlich im Einklang mit der – erkannten – BGH-Rechtsprechung von einer Änderung der Vergabeunterlagen auszugehen ist; ob hier nicht nach dem Grundsatz des Vorrangs der „Aufklärung vor dem Ausschluss“ hätte verfahren werden müssen.
Die Entscheidung ist nicht bestandskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie das OLG Düsseldorf die zugrundeliegende Sach- und Rechtslage würdigen wird.
Ungeachtet dessen gilt aus Bietersicht; dass eher eine Bieterfrage mehr als weniger gestellt werden sollte, um sich nicht der Gefahr einer missverstandenen Vorgabe der Vergabeunterlagen auszusetzen.
Aus Sicht öffentlicher Auftraggeber sorgt die Entscheidung bedauerlicherweise für neuerliche Unklarheiten im Umgang mit Angeboten, welche nicht ausschließlich die vorgegebenen Angebotsunterlagen beinhalten.
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