BayObLG, Beschluss vom 26. Mai 2023 (Verg 2/23)
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem Beschluss vom 26. Mai 2023 (Verg 2/23) entschieden, dass einer objektiv fehlerhaften Eigenerklärung auch kein Beweiswert zukommen könne und das Angebot des Bieters, der aufgrund dessen seine Eignung nicht nachweisen könne, zwingend auszuschließen ist. Eine geltungserhaltende Reduktion seiner vorgelegten Erklärung, d. h. eine Beschränkung des Erklärungsinhalts auf den fehlerfreien Teil, komme ebenfalls nicht in Betracht.
Der im Verfahren als Antragsgegner auftretende öffentliche Auftraggeber, ein Landkreis, hatte im Februar 2022 im offenen Verfahren verschiedene abfallwirtschaftliche Dienstleistungen ausgeschrieben. Das streitgegenständliche Los 1 betraf die „Einsammlung von Hausmüll und Bioabfall“.
Alle Lose (insgesamt 14) enthielten über ihre jeweilige Bezeichnung die Angabe diverser CPV-Codes (u. a. Abholung von Siedlungsabfällen, Transport von Haushaltsabfällen, Einsammeln von Hausmüll, Einsammeln von kommunalem Müll, Müllsammlung, Altpapiersammlung).
Los 1 wurde näher als Transport von Rest- und Bioabfall beschrieben. Zum Nachweis der Eignung sollten Angaben zum Gesamtumsatz des Unternehmens sowie zum Umsatz „im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ erfolgen. Ein Mindestumsatz wurde nicht vorgeschrieben. Weiter wurden Referenzen über ausgeführte vergleichbare Leistungen aus den letzten drei Jahren abgefragt.
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben jeweils ein Angebot ab. Dem Angebot der Beigeladenen war eine Referenzliste mit vier Aufträgen beigefügt, welche die Sammlung von Bio- und Restmüll in vier Städten zum Inhalt hatten. Der Umfang dieser Referenzaufträge war hinsichtlich des Restmüllanteils jeweils deutlich geringer als die im streitgegenständlichen Auftrag zu erbringende Leistung (max. ein Fünftel des Umfangs).
Mit Schreiben vom 10. März 2022 forderte der öffentliche Auftraggeber die Beigeladene auf, angesichts des geringen Umfangs der Einzelreferenzen zu diesen Stellung zu nehmen und die Leistungsfähigkeit ihres Unternehmens zu erläutern. Zudem solle sie darstellen, wie die im Angebot angegebenen, wesentlich höheren Umsätze für vergleichbare Leistungen und die benannten Referenzen in Beziehung stünden.
Die Beigeladene erläuterte, dass sie nur eine Auswahl ihrer Referenzen angegeben habe, die sich auf die behältergestützte Hausmüll- und Biomüllsammlung bezögen. Diese stellten aber nicht die einzigen vergleichbaren Leistungen ihres Unternehmens dar. Bei der Angabe des Umsatzes für vergleichbare Leistungen habe sie weitere Aufträge einbezogen, nämlich die behältergestützte Papiersammlung über die Blaue Tonne in einem Sammlungsgebiet mit etwa 300.000 Einwohnern sowie die behältergestützte Sammlung des Gelben Sacks in einem Landkreis mit etwa 200.000 Einwohnern. Diese machten etwa 50 Prozent der angegebenen Umsätze aus. Entsprechend sei sie auch leistungsfähig in Bezug auf den ausgeschriebenen Auftrag.
Nachdem die Antragstellerin des Verfahrens am 13. Mai 2022 gemäß § 134 GWB darüber informiert worden war, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, rügte sie mit Schreiben vom 16. und 19. Mai 2022 vor allem, dass die Beigeladene nach den aufgestellten Eignungskriterien ungeeignet sei. Die Beigeladene sei nur mit der Einsammlung von Abfällen in kleineren kreisangehörigen Kommunen beauftragt gewesen. Soweit diese Leistungen die tonnengestützte Sammlung von Haus- oder Biomüll beträfen, seien sie nicht mit den ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar. Auch die Abfuhr von Papiertonnen sei mit der Einsammlung von Haus- oder Biomüll nicht vergleichbar.
Nach erfolgloser Rüge erhob die Antragstellerin am 19. Mai 2022 einen Nachprüfungsantrag.
Die Vergabekammer Südbayern wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück und erläuterte, dass die vom öffentlichen Auftraggeber vorgenommene Bewertung der Vergleichbarkeit der Referenzen der Beigeladenen nicht zu beanstanden sei. Die Vorgaben in den Vergabeunterlagen seien durch die Angabe der vielfältigen CPV-Codes auch nicht eindeutig gewesen, insbesondere gehe daraus nicht hervor, welche Leistungen in die Umsatzangaben hätten aufgenommen werden dürfen.
Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 26. Januar 2023. Insbesondere machte sie geltend, die Vorgabe „Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ sei eindeutig, die Umsätze, die die Beigeladene daher durch die Einsammlung von Papier erzielt hätte, seien nicht vergleichbar mit der ausgeschriebenen Leistung. Das Angebot der Beigeladenen müsse daher ausgeschlossen werden, weil eine Prüfung der Eignung auf der Grundlage der von der Beigeladenen benannten fehlerhaften Umsätze nicht möglich gewesen sei.
Das Gericht hob den Beschluss der Vergabekammer auf und verpflichtete den öffentlichen Auftraggeber, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen. Insbesondere sei das Angebot der Beigeladenen mangels Nachweises ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit zwingend auszuschließen.
Vorliegend habe der öffentliche Auftraggeber als materielles Eignungskriterium Angaben zu den Gesamtumsätzen der Bieter abgefragt sowie zu den Umsätzen im „Bereich der ausgeschriebenen Leistung“. Dieser Zusatz beziehe sich auf Tätigkeiten, die auch Gegenstand des ausgeschriebenen Loses seien und umfasse im Bereich der Einsammlung von Haus- und Bioabfall nicht auch Umsätze aus der tonnengestützten Altpapiersammlung. Diese seien bereits hinsichtlich ihrer Anforderungen an Disposition, Verwertung und Tourenplanung nicht miteinander vergleichbar. Auch könne Altpapier noch gewinnbringend an eine Papierfabrik veräußert werden, was sich ebenfalls in den Umsatzzahlen niederschlagen würde, die Erlöse aber nicht aussagekräftig in Bezug auf die Einsammlung von Haus- und Bioabfall seien.
Daran ändere auch die Angabe unterschiedlicher CPV-Codes nichts, da diesen keine weitere Aussagekraft für das streitgegenständliche Los zukomme. Die Angabe „zum Umsatz im Bereich der ausgeschriebenen Leistung“ spreche auch nicht dafür, dass allgemein die Erbringung abfallwirtschaftlicher Leistungen gemeint sei. Da hier auch keine Mindestumsätze gefordert wurden, sei diese Eignungsanforderung auch nicht wettbewerbseinschränkend gewesen.
Indem die Beigeladene auch Umsätze angegeben hat, die sie mit der gewerblichen Altpapiersammlung erwirtschaftet hat, ist ihre Eigenerklärung im Bereich der ausgeschriebenen Leistung daher objektiv unzutreffend und als Nachweis ihrer Eignung unzutreffend.
Die Beigeladene erfülle daher das von dem Auftraggeber aufgestellte Eignungskriterium nicht. Der öffentliche Auftraggeber sei zugleich auch an die einmal vorgegebenen Eignungskriterien gebunden. Die Angaben der Beigeladenen entsprächen inhaltlich nicht den Vorgaben und wiesen daher nicht nur formale Mängel auf, die es rechtfertigen könnten, sie als „fehlende“ Unterlagen zu qualifizieren. Ihre Erläuterungen zu den Umsatzangaben im Rahmen der Aufklärung stellten vielmehr eine Korrektur ihrer Angaben dar und seien keine zulässige Erläuterung, sondern eine inhaltliche Änderung ihrer Angaben. Eine Nachbesserung komme daher nicht in Betracht, da eine solche Korrekturmöglichkeit ein unzulässiges Nachverhandeln sei. Auch komme nicht in Betracht, eine Reduzierung der berücksichtigungsfähigen Umsätze vorzunehmen. Ein „Hinwegdenken“ bzw. „Herausrechnen“ der Umsätze der Beigeladenen im Bereich der Einsammlung von Altpapier aus den angegebenen Umsätzen scheide aus, da dies zu einem unvollständigen Angebot führen würde.
Die Beigeladene hätte vielmehr ihre tatsächlich im Bereich der Einsammlung von Haus- und Bioabfall erwirtschafteten Umsätze angeben müssen, um den Auftraggeber in die Lage zu versetzen, ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit zu beurteilen.
Die Entscheidung fasst die aktuelle Rechtsprechung zur Eignungsprüfung und den Grenzen der Nachforderung von Eignungsnachweisen zusammen und verdeutlicht, welche Relevanz die genaue Formulierung und Auslegung vergaberechtlicher Eignungskriterien hat. Da der öffentliche Auftraggeber im vorliegenden Fall keinen Mindestumsatz gefordert hatte und zugleich einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Prognose der Leistungsfähigkeit der Bieter besitzt, hätte die Beigeladene den Auftraggeber vermutlich auch dann von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugen können, wenn diese in ihrer Eigenerklärung angegeben hätte, dass sie bislang nur kleinere – mit dem Auftragsgegenstand vergleichbare – Aufträge erbracht hat. Beim Stichwort „vergleichbar mit dem Auftragsgegenstand“ liegt aber das eigentliche Problem des Sachverhalts. Viele Auftraggeber bedienen sich an dieser Stelle zu häufig Standardfloskeln, ohne sich Gedanken zu machen und zu definieren, was der „Tätigkeitsbereich des Auftrags“ (bei Umsatzkennzahlen, vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VgV, oder Mitarbeiterkennzahlen) oder eine „mit dem Auftragsgegenstand vergleichbare“ Referenz (vgl. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV) ist. Bieterunternehmen nehmen es oft mit der geforderten Vergleichbarkeit nicht allzu genau und definieren – wenn es der Auftraggeber offenlässt – diverse angrenzende Tätigkeiten in die Bereichsumsätze oder die Referenzen hinein. Aus der Entscheidung des BayObLG lernen wir, dass ein bloßer Verweis auf CPV-Codes i. d. R. nicht ausreicht, sondern stets eine nähere Definition des Vergleichbarkeitsmaßstabs durch den Auftraggeber angezeigt ist. Bieterunternehmen sollten in Zweifelsfällen eine Bieterfrage stellen, um dem Risiko zu entgehen, wegen einer zu weit gefassten Umsatz- oder Referenzdefinition und einer dann fehlerhaften Eigenerklärung gänzlich aus dem Verfahren ausgeschlossen werden zu müssen.
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