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In der Praxis greifen öffentliche Auftraggeber (AG) zur Bewertung qualitativer Angebotsanforderungen (z. B. Konzepte) häufig auf ein Auswahl- und Bewertungsgremium zurück. Dieses besteht zumeist aus mehreren internen und ggf. externen Personen, die über eine entsprechende Fachkompetenz verfügen, um konzeptionelle Vorschläge der Bieter fachgerecht zu bewerten und zu dokumentieren. Hierdurch soll die qualitative Bewertung nicht zuletzt auch unangreifbar gemacht werden, da die Vergabenachprüfungsinstanzen in ständiger Rechtsprechung einen Beurteilungsspielraum des AG bei der Bewertung anerkennen. Ausgehend von diesem richtigen Ansatz gibt es in der praktischen Umsetzung jedoch Fallstricke, wie einige aktuelle Entscheidungen der Vergabenachprüfungsinstanzen aus den vergangenen Jahren belegen. Nachfolgend möchten wir auf einige praxisrelevante Fragen beim Einsatz eines Auswahlgremiums ein Schlaglicht werfen:
1. Auslagerung der Auswahlentscheidung auf ein Auswahlgremium?
Gemäß § 127 Abs. 1 S. 2 GWB muss die Erfüllung der Zuschlagskriterien „durch den AG“ bewertet werden. Die Vergabenachprüfungsinstanzen folgern daraus, dass der AG stets „Herr des Verfahrens“ bleiben muss. Er allein muss also die wesentlichen Entscheidungen treffen. Eine vollständige Übertragung der Verantwortung auf Dritte ist mithin nicht zulässig (VK Berlin, Beschluss vom 14. März 2022 – VK B 2-40/20).
So weit, so (vermeintlich) klar, kann der Grad, wann ein AG selbst entscheidet, schmal sein. Nach Auffassung der VK Nordbayern sind die Grenzen einer zulässigen Übertragung jedenfalls dann gewahrt, wenn der AG die Wertung des Gremiums durch einen Prüfungsvermerk mit verantwortlicher Unterschrift billigt, dieser bei Verhandlungsgesprächen anwesend und die Vergabestelle mit „eigenen“ Schreiben gegenüber den Bietern aufgetreten ist (VK Nordbayern, Beschluss vom 18. Juni 2020 – RMF – SG 21-394-5-7). Demgegenüber reiche ein bloßes „Abnicken“ der Wertungsentscheidung nicht aus. Von diesem Erfordernis, dass der AG selbst die wesentlichen Entscheidungen treffen muss, geht auch eine aktuelle Entscheidung der VK Berlin aus dem Frühjahr dieses Jahres aus (VK Berlin, Beschluss vom 14. März 2022 – VK B 2-40/2). Hiernach muss aus der Vergabedokumentation ersichtlich sein, dass der AG seinen Bewertungsspielraum erkannt und ausgeübt hat. Hier ist somit Vorsicht bei den gewählten Formulierungen angesagt. Bei den vom AG in diesem Fall in den Vergabeunterlagen verwendeten Formulierungen wie „einstimmiger Entscheidung des Auswahlgremiums“ und „Bewertung durch das Auswahlgremium“ war eine eigenständige Wertungsentscheidung aus Sicht der Vergabekammer jedenfalls fraglich. Auch die Einlassung vor der Vergabekammer, dass die von dem Gremium getroffene Ermessensentscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung unterliege und von dem AG nicht zu begründen oder zu kommentieren sei, war nicht hilfreich und deutete die Vergabekammer dahin, dass dem AG die Pflicht zur eigenständigen Wertungsentscheidung schon überhaupt nicht bewusst gewesen sei.
2. Anforderungen an die Dokumentation von Gremienentscheidungen
Ob der AG die wesentlichen Entscheidungen selbst getroffen hat, wird von den Vergabekammern anhand der Dokumentation des Vergabeverfahrens geprüft. Auch in jüngster Zeit musste sich die Rechtsprechung mit den an die Dokumentation zu stellenden Anforderungen auseinandersetzen.
Das OLG Düsseldorf hatte Ende 2019 darüber zu entscheiden, ob Bewertungsvorschläge einzelner Gremienmitglieder, welche auf Missverständnissen über die Bewertungsmatrix beruhten und die im Laufe des Verfahrens korrigiert wurden, zwingend zu dokumentieren sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – Verg 6/19). Nach seiner Auffassung bestünde keine rechtliche Verpflichtung zu einer solchen Dokumentation. Die internen Wertungsvorschläge dienen als Diskussionsgrundlage und der Vorbereitung der Entscheidung, die durch das Gremium erst noch zu treffen war, und gehen damit über das rechtlich erforderliche Maß hinaus.
Damit folgt das OLG Düsseldorf dem OLG München, welches bereits 2014 entschied, dass die Handzettel, auf denen die Einzelbewertungen niedergeschrieben wurden, nicht notwendigerweise zu den Vergabeakten zu nehmen sind (OLG München, Beschluss vom 25. September 2014 – Verg 9/14). Sofern keine Widersprüche zwischen Einzelwertungen und Gesamtergebnis vorlägen, sei allein die Dokumentation des Endergebnisses ausreichend. Alles andere würde insbesondere bei komplexen Wertungsverfahren zu einem nicht mehr handhabbaren Verfahren führen mit der Folge, dass die Pflicht des AG zur ordnungsgemäßen Dokumentation überspannt werden würde.
Aber Vorsicht: Eine dediziert strengere Auffassung vertritt die Vergabekammer des Bundes. Nach der VK Bund müssen inhaltliche Details der Wertungsabstimmung (wer, wann, aufgrund welcher Erwägungen, hinsichtlich welcher Wertungskriterien etc.) substantiiert dargelegt werden (VK Bund, Beschluss vom 11. November 2020 – VK 1-84/20). Neben der Dokumentation der individuellen Punkteverteilung (VK Brandenburg, Beschluss vom 12. November 2008 – VK 35/08) müssen somit auch die konkreten Erwägungen, warum eine Bewertung nicht stattgefunden hatte, nachvollziehbar sein. So kann es in der Praxis vorkommen, dass manche Zuschlagskriterien nur von bestimmten Mitgliedern des Auswahlgremiums bewertet werden. Hier ist es nach der VK Bund nicht ausreichend zu dokumentieren, dass eine „Bewertung nicht möglich“ sei, sondern es muss ersichtlich sein, ob einzelne Mitglieder des Gremiums aus sachlichen objektiven Gründen (z. B. Verzicht auf Bewertung aufgrund des Zuständigkeitsbereichs oder der fachlichen Kompetenz der Mitglieder) nicht mitbewertet haben.
Darüber hinaus besteht eine Dokumentationspflicht auch hinsichtlich der Wertungsmethodik. Das Gremium darf nur die vom AG für wertungsrelevant bekannt gegebenen Aspekte bei der Wertung berücksichtigen. Eine Selbstbindung besteht auch, wenn sich der AG in den Vergabeunterlagen auf eine Bewertung mit vollen Punktzahlen festlegt; das Wertungsgremium darf dann keine abweichende Systematik (z. B. halbe Punkte) anwenden. Die Entscheidung, ob die Einzelbewertungen der Gremiumsmitglieder gerundet werden oder diese sich gemeinschaftlich auf eine volle Punktzahl festlegen, müsse jedenfalls aus der Vergabedokumentation erkennbar sein (KG Berlin, Beschluss vom 27. Juni 2022 – Verg 4/22).
3. Fazit / Praxishinweise
Die Entscheidungen zeigen potenzielle Fallstricke beim Einsatz eines Auswahlgremiums zur Angebotsbewertung auf. Zunächst muss sich der AG vor Augen führen, welche Aufgaben ihn selbst treffen, damit die zulässigen Grenzen einer Übertragung nicht überschritten werden. Als Mindestanforderung wird die Billigung der Gremienentscheidung durch einen Prüfungsvermerk mit verantwortlicher Unterschrift ausreichend sein.
Des Weiteren muss der AG die Mitglieder des Auswahlgremiums – die regelmäßig nicht an den internen Überlegungen zum Aufstellen der Kriterien beteiligt waren – nicht nur mit der bekannt gegebenen Wertungssystematik kundig machen, sondern auch darüber in Kenntnis setzen, welche Erwägungen im Rahmen ihrer Wertung zwingend zu verschriftlichen sind. Nach unserer Erfahrung beruht eine unzureichende Dokumentation einer Gremienentscheidung nicht zuletzt oft auf einem unzureichenden „Briefing“ der Gremiumsmitglieder, nach welchen sachgerechten Erwägungen die konzeptionellen Leistungen der Bieter zu bewerten sind. Der AG sollte bei seiner Entscheidung für oder gegen ein Auswahlgremium daher auch den internen Aufwand berücksichtigen, den ein solches Gremium nach sich ziehen kann. Im Zweifel muss er das Auswahlgremium „nachsitzen lassen“, wenn die Dokumentation den strengen Anforderungen der Rechtsprechung nicht entspricht.
Somit empfehlen wir, dass sich der AG jedenfalls vorab zu folgenden Punkten Gedanken macht und diese in der Vergabeakte dokumentiert („Checkliste“):
Die vorgenannten Überlegungen ordnet die Rechtsprechung der Organisationsbefugnis des AG zu. Der AG ist also frei, wie er sein Auswahlgremium organisiert, er muss sich aber festlegen und dies im Zweifel für die Nachprüfungsinstanzen nachvollziehbar dokumentieren!
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