Vergabekammer Südbayern
Die Vergabekammer Südbayern hat mit Beschluss vom 5. Juni 2023 die Direktvergabe eines öffentlichen Auftraggebers (Antragsgegner) für unwirksam erklärt. Nach Auffassung der Vergabekammer waren die dokumentierten Gründe für diese Entscheidung nicht ausreichend, insbesondere konnte der Auftraggeber ein objektives Fehlen von Wettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV aufgrund der Alleinstellung des gewünschten Unternehmens (Beigeladene) nicht stichhaltig belegen. Zudem sei vorab keine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgt. Der von einem Wettbewerber (Antragstellerin) erhobene Nachprüfungsantrag war insofern erfolgreich.
Der Auftraggeber benötigt für die Durchführung wissenschaftlicher Versuche ein 3D-Laserlithographiesystem, das in der Lage ist, Details hochpräzise mit Submikrometer-Auflösung zu drucken. Dabei legte er sich auf ein bestimmtes Gerät fest.
Zur Begründung der Gerätewahl und zur Kompatibilität mit dem bereits bestehenden System führte der Auftraggeber im Vergabevermerk folgende Begründung an:
„Wie bereits eingangs erwähnt, verwenden wir derzeit sehr erfolgreich die Geräte der Fa. (…) zur Bearbeitung unserer „Nanoprint-Projekte“, wobei über die Jahre ein großer Erfahrungsschatz (…) gesammelt werden konnte. Zur Vergrößerung unseres Geräteparks wurde daher aus Kompatibilitätsgründen das Nachfolgemodell (…) ins Auge gefasst. Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang der Erfahrungsschatz der Mitarbeiter, der in den vergangenen Jahren einen erheblichen Umfang angenommen hat und damit auch einen großen wirtschaftlichen Wert darstellt. Ein Umstieg auf einen anderen Anbieter bedeutet die Einführung neuer Hard- und Softwarestrukturen, wodurch wieder Schulungsaufwand mit nicht unerheblichen Folgekosten generiert wird. Das Nachfolgemodell (…) hingegen arbeitet mit modernisierten Versionen der bekannten Software, die vom Personal sofort eingesetzt werden können.“
Als Fazit zog er auf Seite 5 seines Vergabevermerks:
„Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das (…) der Fa. (…) für uns die einzige sinnvolle Wahl darstellt. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die technischen Notwendigkeiten zur Bearbeitung unserer Projekte, die nur bei diesem Gerät in vollem Umfang erfüllt werden. Ein erleichterter Einstieg durch bereits geschulte Mitarbeiter und die sichergestellte Kompatibilität mit bereits erzeugten Druckstrategien (Zeit- und Geldersparnis) kommen als Vorteile noch dazu.“
Ab April 2022 zog der Auftraggeber zudem auf diversen Wegen Erkundigungen über geeignete Produkte ein. Zu diesem Zeitpunkt besaß er bereits zwei Drucker aus der Produktpalette der Beigeladenen und hatte eine ihrer Messevorführungen besucht. Anlässlich der geplanten Beschaffung tauschte er sich mit ihr schriftlich über einzelne Aspekte und Leistungsmerkmale des beschafften Systems aus. Bei der Antragstellerin überprüfte der Auftraggeber, ob die auf ihrer Internetseite angebotenen Produkte zu seinem Bedarf passen würden.
Der Auftraggeber forderte im Ergebnis nur die Beigeladene auf, ein Angebot über ihre Systemlösung abzugeben und schloss mit ihr im September 2022 einen Vertrag über die Lieferung eines Laserlithographiesystems mit Zubehör. Den Vertragsschluss machte der Auftraggeber im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt. Als Grund für die Auftragsvergabe ohne vorherige Bekanntmachung eines Aufrufs zum Wettbewerb im Amtsblatt der Europäischen Union berief er sich auf technische Alleinstellungsmerkmale und gab an, dass die Lieferung aufgrund des Schutzes von ausschließlichen Rechten, einschließlich Rechten des geistigen Eigentums, nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer, der Beigeladenen, ausgeführt werden könne.
Die Antragstellerin rügte die Vergabeentscheidung des Auftraggebers als vergaberechtswidrig. Sie begründete dies damit, dass die Begründung bereits nicht nachvollziehbar sei, ferner dass keine europaweite Markterkundung stattgefunden habe und sie so keine Gelegenheit erhalten habe, ihre Produkte vorzustellen oder sich mit einem Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen. Zudem erlaubten technische Alleinstellungsmerkmale nur dann ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gäbe. Nach Zurückweisung der Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag.
In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Antragsgegner, dass es ihm nicht um die Anschaffung eines Neugeräts, sondern um die Erweiterung des bestehenden Geräteparks gegangen sei. Die Markterkundung habe diesem Zweck gedient. Aus seiner Sicht habe es zum Zeitpunkt der Beschaffung keinen entsprechenden Markt für ein vergleichbares Gerät gegeben.
Die Vergabekammer Südbayern gab dem Nachprüfungsantrag statt. Insbesondere liege keine gesetzliche Gestattung vor, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der europäischen Union zu vergeben.
Die im Rahmen des Vergabevermerks gemachten Begründungen des Antragsgegners für die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV ließen bereits nicht ausreichend erkennen, welcher konkrete Beschaffungsbedarf bestehe. Aufgrund der unzureichenden Markterkundung sei der Antragsgegner auch von teilweise unzutreffenden Funktionsumfängen möglicher Alternativprodukte ausgegangen.
Grundsätzlich könne der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 VgV vergeben. Vorliegend berufe sich der Antragsgegner auf die Ausnahmevorschrift des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV. Danach ist ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, weil aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Darüber hinaus gelten nach § 14 Abs. 6 VgV die Voraussetzungen des Abs. 4 Nr. 2 lit b) für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.
§ 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Die Ausnahme sollte sich auf Fälle beschränken, in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsbedingungen führen würde, nicht zuletzt, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen.
Der vom Auftraggeber zu führende und nachvollziehbar zu dokumentierende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb müsse durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen. Die hierfür zu stellenden Anforderungen seien hoch und verlangten „ernsthafte Nachforschungen auf europäischer Ebene“ (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2009, Rs. C-275/08).
Die Markterkundung des hiesigen Antragsgegners habe sich hingegen auf Recherchen im Internet beschränkt. Dies sei zwar nicht per se unzureichend, allerdings stellten weder die Beigeladene noch die Antragstellerin alle Möglichkeiten ihrer Geräte in allen Einzelheiten frei verfügbar auf ihrer Internetpräsenz vor. Die reine Auswertung der Internetpräsenz sei für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen werden. Dies gelte umso mehr, wenn sich dem öffentlichen Auftraggeber schon aufdrängen müsse, dass im entsprechenden Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich seien. Dies sei vorliegend auch der Fall gewesen, denn der Antragsgegner habe explizit mit der Beigeladenen im Vorfeld schriftlich über Funktionen und Möglichkeiten ihrer Geräte kommuniziert. Dies hätte er entsprechend auch bei anderen Herstellern tun müssen, anstatt ausschließlich die Angaben auf den Webseiten der Hersteller heranzuziehen.
Entsprechend sei die durchgeführte Markterkundung bereits fehlerhaft und reiche nicht aus, um festzustellen, ob Alternativen oder Ersatzlösungen für das Produkt der Beigeladenen vorlägen.
Führe ferner die Bestimmung des Auftragsgegenstands dazu, dass im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden kann, so greife das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV ein, wonach die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nur dann gelten, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gebe und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Eine Leistungsbestimmung, die zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führe, bedürfe daher größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation führe.
Die vorliegende Dokumentation des Auftraggebers genüge diesen Erfordernissen nicht. Keine der genannten technischen Besonderheiten führe dazu, dass das Gerät der Antragstellerin nicht als vernünftige Alternative in Betracht käme. Der Antragsgegner habe nicht darlegen können, dass das Gerät der Antragstellerin nicht sämtlichen Anforderungen genüge. Insbesondere genügten hierfür keine Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftliche Vorteile im Falle der Leistungserbringung durch ein bestimmtes Unternehmen. Die Einschätzung des Auftraggebers, dass ein bestimmter Anbieter die Leistungen am besten erfüllen könne, genüge ebenfalls nicht, um die Anwendung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu begründen. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob der Bedarf des Auftraggebers nur von dem ausgewählten Unternehmen erbracht werden könne. Diese habe der Antragsgegner vorliegend aber nicht belegen können.
Auch sei die Kompatibilitätsproblematik mit dem bestehenden System nicht ausreichend nachgewiesen und dokumentiert worden, um eine Direktvergabe zu rechtfertigen. Der Vergabevermerk weise der Kompatibilitätsproblematik nur untergeordnete Bedeutung zu, weshalb sich der Antragsgegner nun nicht darauf berufen könne, ohne eine vollständig neue Prüfung der Sachlage durchzuführen. Eine Heilung dieses Dokumentationsmangels im Nachprüfungsverfahren lehnte die Vergabekammer ab.
Es genüge auch nicht, im Vergabevermerk das Vorhandensein technischer Gründe nur vage zu behaupten. Hier habe sich der Auftraggeber darauf gestützt, dass die Kompatibilität des neuen Geräts mit den Bestandsgeräten für eine unbestimmte Anzahl zukünftiger Forschungsvorhaben unerlässlich sei, diese allerdings nicht näher spezifiziert. Aus den Ausführungen sei insbesondere nicht ersichtlich, dass das Gerät eines anderen Herstellers gerade wegen fehlender Kompatibilität keine vernünftige Alternative mehr darstellen würde. Dies genüge den Erfordernissen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV aber nicht.
Der Beschluss bewegt sich im Rahmen der überwiegenden Linie der Vergabenachprüfungsinstanzen, an die Alleinstellung eines Unternehmens hohe Anforderungen zu setzen. Die Vergabekammer erläutert eingehend die verschiedenen Rechtfertigungsansätze und stellt heraus, dass diese einen erheblichen Substantiierungsgrad erfordern. Im Bereich der Direktvergabe ist – anders als nach überwiegender Auffassung bei einer lediglich produktspezifischen Ausschreibung – auch eine, ggf. europaweite, Markterkundung vorab erforderlich.
Trotz dieser Hürden kann in der Praxis – gerade bei IT-Leistungen – der Bedarf bestehen, den Weg einer Direktvergabe zu wählen, um Schnittstellenrisiken zu senken. Dann muss der Vergabevermerk jedoch eine Begründungstiefe aufweisen, die sich nicht allein in Zweckmäßigkeitsüberlegungen oder rein wirtschaftlichen Vorteilen erschöpft, sondern anhand von Drittquellen belegt, dass der Bedarf des Auftraggebers nur von dem ausgewählten Unternehmen erbracht werden kann. Sofern der Auftraggeber diese Vorarbeiten nicht mit eigenen Ressourcen erbringen kann, kann die Einbeziehung externer fachlicher Unterstützung das Angriffsrisiko minimieren.
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