OLG Celle, Beschluss vom 29. Juni 2017 – Az. 13 Verg 1/17
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Vergabe von Sanierungsträgerleistungen im Zusammenhang mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen im Stadtgebiet der Auftraggeberin.
OLG Celle, Beschluss vom 29. Juni 2017 – Az. 13 Verg 1/17
Die Parteien streiten um die Vergabe von Sanierungsträgerleistungen im Zusammenhang mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen im Stadtgebiet der Auftraggeberin. Die Auftraggeberin plant städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen im Gebiet ihrer Altstadt mit einem Volumen von über EUR 4 Mio. Die Sanierungsträgerleistungen (u.a. Leistungen des Projektmanagements) belaufen sich auf EUR 313.080 (brutto) bei einer angenommenen Gesamtlaufzeit von zehn Jahren. Dieser Betrag entspricht der (üblichen) Kappungsgrenze in Höhe von 6% des Gesamtvolumens und im Ergebnis den maximal förderfähigen Kosten. Der Wert des Dienstleistungsauftrags wird von dem Auftraggeber gemäß § 3 Abs. 11 VgV allerdings nach dem 48-fachen Monatswert geschätzt. Dafür hat die Auftraggeberin den sich aus der geschätzten Verfahrensdauer von zehn Jahren ergebenden mittleren Monatswert errechnet, mit 48 multipliziert und daraus einen Auftragswert in Höhe von unter EUR 150.000 (netto) ermittelt. Die Auftraggeberin schreibt die Sanierungsträgerleistungen dementsprechend national aus.
Der Antragsteller rügt das Unterbleiben einer europaweiten Ausschreibung und legt nach Zurückweisung der Rüge einen Nachprüfungsantrag ein. Der Antragsteller argumentiert im Wesentlichen, dass der Auftragswert den EU-Schwellenwert überschreite, da auf den Betrag der Kappungsgrenze als mögliches Maximalhonorar abzustellen sei.
Die Vergabekammer widerspricht der Argumentation des Antragstellers und weist den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurück. Der Auftragswert überschreite nicht den maßgeblichen Schwellenwert gem. § 106 GWB. Das Vergabeverfahren sei daher einer Überprüfung durch die Vergabekammer nicht zugänglich. Bei Aufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben werde, sei in Abweichung zu § 3 Abs. 1 VgV gemäß § 3 Abs. 11 VgV der 48-fache Monatswert Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert. Der Antragsteller legt dagegen sofortige Beschwerde ein.
Ohne Erfolg! Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig. Der in Rede stehende Auftragswert liegt unterhalb des für das Eingreifen des Vergaberechtsregimes hier maßgeblichen Schwellenwerts (§ 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB).
Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer, mithin dem Nettobetrag, auszugehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 VgV). Etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen sind zu berücksichtigen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VgV), ebenso vom Auftraggeber vorgesehene Prämien oder Zahlungen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 VgV). Bei Aufträgen über Liefer- und Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben wird, ist gemäß § 3 Abs. 11 VgV Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert bei zeitlich begrenzten Aufträgen mit einer Laufzeit von bis zu 48 Monaten der Gesamtwert für die Laufzeit dieser Aufträge (Nr. 1), und bei Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit oder einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten der 48-fache Monatswert (Nr. 2).
Der Auftraggeber muss eine ernsthafte Prognose über den voraussichtlichen Auftragswert nach objektiven Kriterien erstellen oder erstellen lassen. Die Prognose zielt darauf ab, festzustellen, zu welchem Preis die in den Vergabeunterlagen beschriebene Leistung voraussichtlich unter Wettbewerbsbedingungen beschafft werden kann. Der Wert darf nicht in der Absicht geschätzt oder aufgeteilt werden, den Auftrag der Anwendung der Vergabebestimmungen zu entziehen (vgl. § 3 Abs. 2 VgV). Im Nachprüfungsverfahren trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast für die Frage, ob der Schwellenwert erreicht oder überschritten ist; entscheidend ist die Sicht ex-ante. Hält sich der Auftraggeber innerhalb dieses Rahmens, steht ihm ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Nachprüfungsinstanzen beachtet werden muss. Wegen der Bedeutung des Schwellenwertes ist es erforderlich, dass die Vergabestelle die ordnungsgemäße Ermittlung des geschätzten Auftragswerts in einem Aktenvermerk festhält, wobei die Anforderungen an die Genauigkeit der Wertermittlung und der Dokumentation steigen, je mehr sich der Auftragswert dem Schwellenwert annähert.
Dem pflichtgemäß geschätzten Auftragswert liegt der Wert zugrunde, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegmentes und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen bzw. Leistungen veranschlagen würde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung ist der Tag der Absendung der Auftragsbekanntmachung oder Einleitung des Vergabeverfahrens auf sonstige Weise (§ 3 Abs. 3 VgV).
Der Auftraggeber durfte den Auftragswert in zulässiger Weise unter Rückgriff auf den 48-fachen Monatswert der in Rede stehenden Sanierungsträgerleistungen berechnen. Der Auftraggeber hat sein Unvermögen, einen Gesamtpreis anzugeben, nachvollziehbar damit begründet, dass im Zeitpunkt der Ausschreibung nicht abzuschätzen war, welchen Umfang und welche Dauer die zu vergebende Leistung haben würde. Im Zeitpunkt der Ausschreibung war nicht abzuschätzen, welchen Umfang und welche Dauer die zu vergebende Leistung haben würde, womit die von den Bietern lediglich abgefragten Stundensätze und die noch nicht abschließend festgelegte nur pauschal beschriebene Aufgabenstellung korrelieren. Der Auftragsumfang war mithin nicht abschließend festgelegt und Änderungen denkbar. Gegen die Möglichkeit, einen bestimmten Auftragswert zu benennen, spricht ferner die ungewisse Dauer der Maßnahme.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Kosten- und Finanzübersicht. Aus dem dort aufgeführten Betrag in Höhe von EUR 313.080 (brutto) lassen sich keine belastbaren Schlussfolgerungen für den in Rede stehenden Auftragswert für die Vergabe der Sanierungstreuhänderleistungen ziehen. Dieser Betrag entspricht lediglich dem maximal förderfähigen Betrag für die Sanierungsträgerleistungen (6% vom Gesamtbetrag ohne Grunderwerb), er kann nicht mit dem Auftragswert gleichgesetzt werden. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften des Baugesetzbuchs über den Ablauf von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen (§§ 136 ff. BauGB; siehe dazu ausführlich die Ausführungen des OLG Celle unter den Ziffer 61 ff. des Beschlusses).
Unerheblich war im Ergebnis, dass die Auftraggeberin (zunächst) keine ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswerts in den Vergabeakten dokumentiert hatte. Sie hat diese durch die Übergabe von Dokumenten in der mündlichen Verhandlung (!) während des Nachprüfungsverfahrens nachgeholt und damit den Dokumentationsfehler geheilt.
Die Entscheidung ist richtig.
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