Beschluss vom 17. Mai 2024, VK 3 - 9/24
Dass der Auftraggeber vor Beginn eines Vergabeverfahrens die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung festlegen und den Bietern bekannt geben muss, gehört zum Basiswissen jeder Vergabestelle. Weitaus weniger bekannt ist hingegen, dass diese strengen Maßstäbe auch für Unterkriterien gelten – auch deswegen, weil hier gefühlt der Rahmen mit den Hauptzuschlagskriterien bereits gesetzt ist und die Abgrenzung zur bloßen Überprüfung der Erfüllung von Anforderungen aus der Leistungsbeschreibung und damit der Subsumtion unter den Hauptkriterien nicht immer klar ist. Eine aktuelle Entscheidung der Vergabekammer Westfalen (Beschluss vom 17. Mai 2024, VK 3 – 9/24) zeigt dies anschaulich auf und führt die Tragweite der Nichtbeachtung vor Augen.
Der Auftraggeber schrieb Softwareentwicklungsleistungen EU-weit aus. Zuschlagskriterien waren der Preis (30 Prozent) und die Qualität (70 Prozent), die sich in die mit 30 Prozent gewichtete „persönliche Erfahrung des Projektteams“ und das mit 40 Prozent gewichtete Ausführungskonzept unterteilte.
Um die persönliche Erfahrung jedes Mitglieds des Projektteams evaluieren zu können, mussten die Bieter pro Teammitglied ein Referenzprojekt angeben. Die Bewertung sollte sich nach den Vergabeunterlagen aus der Vergleichbarkeit zum ausgeschriebenen Projekt und der daraus gewonnenen persönlichen Erfahrung für die gegenständliche Leistung ergeben. Die Bieter sollten hierzu Angaben über das Projekt, zu den von dem jeweiligen Mitglied selbst geleisteten Personentagen und den selbst erbrachten Leistungen sowie die dabei gewonnene persönliche Erfahrung aufführen. Insgesamt konnten pro Referenzprojekt maximal 5 Punkte erreicht werden. Unterkriterien waren nicht angelegt, die Bewertung sollte gem. Vergabeleitfaden „in der Gesamtschau“ erfolgen.
Im Rahmen der Angebotswertung unterteilte der Auftraggeber die zu diesem Kriterium zu erreichende Gesamtpunktzahl dann aber wie folgt weiter, ohne dass dies den Bietern mitgeteilt worden war:
Die Antragstellerin erhielt im Folgenden keinen Zuschlag. Nach erfolgloser Rüge gegen die Anwendung eines vorher nicht bekannt gemachten Punktesystems stellte sie einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer.
Die Vergabekammer Westfalen gab dem Antrag statt. Der Auftraggeber habe den Anspruch der Antragstellerin auf ein transparent durchgeführtes Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB dadurch verletzt, dass er die Bewertung der Projektteammitglieder weiter untergliedert habe, ohne dies im Vorfeld bekannt gemacht zu haben.
Das vergaberechtliche Transparenzgebot verpflichte öffentliche Auftraggeber, entsprechend § 127 Abs. 5 GWB die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufzuführen. Denn nur so habe der Bieter die Möglichkeit, seine Erfolgschancen abschätzen zu können. Von den zuvor festgelegten Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung dürfe der Auftraggeber nachträglich nicht ohne Änderungsbekanntmachung abweichen.
Dies gelte auch auf der Ebene der Unterkriterien, da diese eine weitere Untergliederung eines Zuschlags(haupt)kriteriums darstellten. Hauptkriterien definierten die Anforderung an die Qualität einer zu vergebenden Leistung. Zuschlagsunterkriterien ihrerseits präzisierten eben jene Hauptkriterien selbst und mit diesem ebenfalls die Leistung.
Ein Unterkriterium zeichne sich insbesondere dadurch aus, dass dieses nicht nur die Leistung und insbesondere deren Qualität definiere, sondern darüber hinaus unmittelbar Einfluss auf das Wertungsergebnis habe. Stellt der Auftraggeber bestimmte Aspekte besonders heraus und ordnet dem Kriterium im Rahmen der Bewertung einen konkreten Punktwert von einer definierten Höchstpunktzahl zu, welcher rechnerisch nachvollziehbar in die Gesamtwertung einfließt, liege damit ein Unterkriterium vor. Dies sei hier der Fall. Ausweislich der Vergabeunterlagen war keine Gewichtung hinsichtlich der Referenzprojekte erkennbar. In der vom Auftraggeber genutzten, den Bietern nicht bekannten Wertungsübersicht sei hingegen zwei Mal eine (Maximal)Punktzahl von zwei Punkten für die Projektbeschreibung als auch die erbrachten Leistungen und gewonnenen Erfahrungen bestimmt und ein Punkt als maximal zu erreichende Punktzahl für die Personentage festgelegt. Damit lägen Unterkriterien vor.
Diese nachträgliche Einführung von Unterkriterien verstoße gegen § 127 Abs. 5 GWB. Denn nach obergerichtlicher Rechtsprechung sei der Auftraggeber verpflichtet, nicht nur Zuschlags(haupt-)kriterien, sondern auch solche Unterkriterien bekannt zu geben, welche geeignet sind, die Angebotsgestaltung potenziell zu beeinflussen. Für die Bieter habe sich dieses Vorgehen des Auftraggebers auch nicht an den Vergabeunterlagen erkennen lassen. Zwar seien im Rahmen der Darstellung der Referenzen individuelle Angaben zu den Aspekten gefordert gewesen, die jetzt die streitgegenständlichen Unterkriterien darstellten. Diese seien aber als solche nicht angelegt gewesen; zudem habe der Auftraggeber eine Bewertung „in der Gesamtschau“ angekündigt. Daraus erschließe sich aus Sicht eines verständigen Bieters weder, dass die thematische Trennung drei Unterkriterien darstellen solle, noch wie die insgesamt fünf je Teammitglied zu verteilenden Bewertungspunkte auf die einzeln zu bewertenden Aspekte verteilt würden.
Die Vergabekammer untersagte die Zuschlagserteilung und tenorierte, dass bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Verfahren in den Zustand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen sei.
Das hier zu Tage getretene Vorgehen des Auftraggebers erlebt man in der Vergabepraxis immer wieder: nach Festlegung der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung möchte sich der Auftraggeber insbesondere bei der Bewertung innerhalb der leistungs- bzw. qualitätsbezogenen Zuschlagskriterien eine gewisse „Beinfreiheit“ bewahren und verzichtet insofern auf weitergehende, ihn (scheinbar) einengende Unter- und Unterunterkriterien. Spätestens dann, wenn die Angebote vorliegen und es gilt, einen einheitlichen, objektiven und sachbezogenen Maßstab für deren Bewertung anzuwenden, sehnt sich der Auftraggeber dann nach „Leitplanken“, die ihm dies leichter ermöglichen. In dieser Situation nachträglich Kriterien und Maßstäbe einzuführen, ist – wie die Entscheidung zeigt – fatal.
Der EuGH hat bereits 2008 festgestellt, dass das spätere Nachschieben von zuvor nicht bekannt gemachten Zuschlagskriterien rechtswidrig ist (Urteil vom 24. Januar 2008, C-532/06). Gleiches gilt für Zuschlagskriterien, die zwar vom Auftraggeber von Anbeginn festgelegt sind, den Bietern aber nicht bekannt gemacht werden. Im Sinne des Transparenzgebots soll die Pflicht zur Bekanntgabe festgelegter Kriterien (und deren grundsätzliche Unveränderbarkeit) die Bieter in zweierlei Richtung schützen: zum einen im Sinne einer bestmöglichen Ausrichtung des Angebots auf die vom Auftraggeber gewünschten Zielsetzungen und Anforderungen und zum anderen zum Schutz vor einer Manipulation des Ergebnisses durch nachträgliche Einführung oder Änderung von Kriterien.
Festzuhalten ist zwar auch, dass es dem Auftraggeber nicht verwehrt ist, auf Unterkriterien zu verzichten. Dann ist dies allerdings der Maßstab für die Transparenz, der nachträglich nicht mehr verändert oder konkretisiert werden darf. Mithin muss der Auftraggeber in dieser Situation eine „gesamthafte“ Bewertung bzw. eine Bewertung „in der Gesamtschau“ vornehmen, die mangels vorhandener Leitplanken weitaus anspruchsvoller (da freier) und insofern auch mehr angreifbar ist und letztlich höhere Anforderungen an die Dokumentation in Gestalt der Begründung für die jeweilige Bewertung der einzelnen Angebote verlangt.
Auftraggeber sind insofern gut beraten, sich vorab sorgfältig über die Konsequenzen einer Entscheidung für oder gegen Unterkriterien klar zu werden – und dann an der festgelegten Strategie festzuhalten.
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