VK Bund
Vorauftrag mangelhaft: Wann kann ein Ausschluss aus dem Vergabeverfahren erfolgen?
Die Vergabekammer des Bundes hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 29. Februar 2024, VK 1-12/24) mit dem Ausschluss eines Bieters gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB wegen mangelhafter Erfüllung wesentlicher vertraglicher Anforderungen bei Ausführung eines früheren Auftrags beschäftigt. Die Anwendung der Ausschlussnorm des 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sorgt in der Praxis wegen der Vielzahl der darin enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe immer wieder für Unsicherheit. Die Entscheidung der VK Bund bringt nun erneut etwas mehr Klarheit, insbesondere mit Blick auf die Erheblichkeit der vorausgesetzten Vertragspflichtverletzung. Die Kammer bestätigte, dass der Ausschluss des Bieters durch die Auftraggeberin ordnungsgemäß und im Rahmen des Ermessensspielraums erfolgt war.
Die Auftraggeberin führte ein europaweites Vergabeverfahren für technische Wärmedämmung durch, bei dem die Antragstellerin fristgerecht ein Angebot abgab. Am 10. Januar 2024 wurde die Antragstellerin informiert, dass sie wegen mangelhafter Erfüllung wesentlicher vertraglicher Verpflichtungen bei der Ausführung eines früheren Auftrags gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Verfahren ausgeschlossen werde. Dem vorangegangen war die Kündigung des vorigen Auftragsverhältnisses, dem die Antragstellerin bis zum 10. Januar 2024 auch nicht widersprochen hatte. Trotz einer Stellungnahme der Antragstellerin am 15. Januar 2024, in der sie „Selbstreinigungsmaßnahmen“ im Sinne von § 125 GWB und Schadensersatz anbot, entschied die Auftraggeberin am 16. Januar 2024 endgültig über den Ausschluss und vergab den Auftrag an eine andere Bieterin.
Die Antragstellerin beantragte am 25. Januar 2024 ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer des Bundes (VK Bund) und bestritt die Vorwürfe der mangelhaften Leistungserbringung, wobei sie die Kündigung als unwirksam darstellte. Die Auftraggeberin blieb jedoch bei ihrer Entscheidung und begründete diese mit fortdauernden Vertragspflichtverletzungen der Antragstellerin im vorherigen Projekt. Insbesondere führte sie aus:
„Die Eingehung einer erneuten Vertragsbeziehung ist der […] infolge der vorangegangenen einschneidenden Erfahrungen mit Ihrem Unternehmen in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht nicht zumutbar.“
Die Antragstellerin begründete den Nachprüfungsantrag u. a. damit, dass die vorzeitige Vertragsbeendigung aufgrund mangelnder Dokumentation und Nachweise nicht rechtmäßig sei. Die ihr gegenüber am 13. April 2023 ausgesprochene Kündigung sei kein Indiz für die von der Auftraggeberin behauptete Schlechterfüllung und entfalte keine Wirksamkeit. Darüber hinaus rügte sie, dass die Grenze der Unzumutbarkeit den Vertrag fortzusetzen, nicht überschritten gewesen sei.
Die VK Bund wies den Nachprüfungsantrag der Bieterin als zulässig, jedoch unbegründet zurück. Die Entscheidung der Auftraggeberin, die Antragstellerin vom Vergabeverfahren gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB wegen aus ihrer Sicht mangelhafter Erfüllung wesentlicher vertraglicher Anforderungen in dem seit 2021 mit der Antragstellerin bestehenden und am 13. April 2023 gekündigten Vertragsverhältnis auszuschließen, sei nicht zu beanstanden.
Die Auftraggeberin habe zu Recht angenommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB erfüllt sind. Eine erhebliche oder fortdauernd mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung sei von der Auftraggeberin im Rahmen der Anhörung der Antragstellerin vom 10. Januar 2024 vorgetragen worden. Ferner sei es zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge gekommen. Die Auftraggeberin habe ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines Ausschlusses der Antragstellerin nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB genügt.
Eine erhebliche Vertragspflichtverletzung liege dann vor, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belaste. Die Antragstellerin habe ihre vertraglichen Pflichten mangelhaft erfüllt und dies durch ihr Verhalten sowohl nach der unwidersprochenen Kündigung als auch im Vorfeld des Vergabeverfahrens durch angekündigte „Selbstreinigungsmaßnahmen“ auch zugestanden. Insbesondere habe die Antragstellerin vertragliche Pflichten wie die Besetzung der Baustelle, die Teilnahme an vereinbarten Besprechungen und die Aufrechterhaltung der Arbeitsabläufe mangelhaft erfüllt. Diese Mängel umfassten sowohl Haupt- als auch Nebenpflichtverletzungen. Sie unterfielen damit dem Begriff der „wesentlichen“ Anforderungen; die Vergabekammer stellt dabei auch klar, dass auch ein Verstoß gegen wesentliche Nebenleistungspflichten, z. B. im Bereich von Vertraulichkeitsverpflichtungen oder Sicherheitsauflagen, ausreiche.
Die mangelhafte Erfüllung betreffe auch eine erhebliche und fortdauernde Vertragspflichtverletzung, die zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrags geführt hat. Insbesondere sei die Auftraggeberin durch Verzögerungen im Bauablauf auch in tatsächlicher Hinsicht belastet gewesen; infolge der Kündigung und der darauffolgenden Ersatzvornahme seien weitere Verzögerungen im Gesamtbauvorhaben und finanzielle Belastungen entstanden.
Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt, eröffnet § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessen. Die Auftraggeberin habe im Rahmen ihres Ermessens gehandelt und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Sie habe die Ankündigung der Antragstellerin zu Selbstreinigungsmaßnahmen berücksichtigt, aber aufgrund der noch ausstehenden Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen durch einen externen Berater, die seitens der Antragstellerin erst für Ende 2024 geplant ist, keine ausreichende Sicherheit für zukünftige Auftragsdurchführungen gesehen. Aus der diesbezüglichen Ankündigung der Antragstellerin habe die Auftraggeberin nachvollziehbar abgeleitet, dass die Eignung der Maßnahmen für die beabsichtigte Selbstreinigung für sie noch nicht absehbar sei.
Die Prognoseentscheidung der Auftraggeberin, dass zukünftig eine sorgfältige, ordnungsgemäße und gesetzestreue Auftragsdurchführung durch die Antragstellerin nicht zu erwarten sei, sei durch die festgestellten Vertragsverletzungen gestützt worden. Die Auftraggeberin habe somit in Übereinstimmung mit den Vorgaben des 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gehandelt und ihre Ermessensentscheidung nachvollziehbar begründet.
Die Entscheidung der VK Bund bringt einige nützliche Hilfestellungen für die Anwendung der aufgrund der Vielzahl der unbestimmten Rechtsbegriffe („wesentlich“, „erheblich“, „fortdauernd“, usw.) schwer greifbaren Ausschlussnorm in der Vergabepraxis mit sich.
U. a. wird klargestellt, dass die vorausgesetzte Verletzung einer „wesentlichen“ Anforderung bei der Ausführung des früheren Auftrags neben Hauptleistungspflichten wie beispielsweise einem kompletten Lieferungs- oder Leistungsausfall auch wichtige Nebenleistungspflichten betreffen kann. Es lassen sich auch wichtige Praxisbeispiele ablesen, die nicht nur für den vorliegend betroffenen Baubereich, sondern auch für Dienstleistungsvergaben, z. B. bei größeren IT-Projekten, Anwendung finden können. So können z. B. auch das Fernbleiben von Jour-Fixen, das Fernbleiben von Monteuren (oder bspw. Wartungs-/Servicepersonal) oder die Nichteinhaltung von Sicherheitsbestimmungen oder Vertraulichkeitsregelungen in früheren Aufträgen „wesentliche“ Anforderungen i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sein. Sicherlich wird man hier eine gewisse Stetigkeit der (Neben-)Pflichtverletzung wie das mehrfache Versäumen von Jour-Fixen o. Ä. fordern müssen; es kommt stets auf den Einzelfall an. Daher ist die sorgfältige Dokumentation derartiger Pflichtverletzungen wichtig.
Im Hinblick auf die „Erheblichkeit“ der Vertragspflichtverletzungen, bei der von der bisherigen Rechtsprechung eine „deutliche“ Belastung des Auftraggebers in tatsächlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht gefordert wird, greift die Entscheidung den typischen Fall einer Verzögerung im Gesamtbauvorhaben (oder allgemeiner im Projekt) als tatsächliche Belastung und die Folgekosten durch eine Ersatzvornahme als wirtschaftliche Belastung auf. Diese Ausführungen gelten insbesondere auch dann, wenn die mangelhaften Leistungen des (früheren) Auftragnehmers nur ein Teillos oder Gewerk betreffen, die tatsächlichen oder wirtschaftlichen Auswirkungen sich aber im Hinblick auf das Gesamtbauvorhaben oder das Gesamtprojekt zeigen (z. B. Terminverzögerungen im gesamten Bauprojekt). Die Entscheidung kommt an allen relevanten Tatbestandsmerkmalen und Aspekten der Ermessensausübung vorbei, fasst den Stand der vergaberechtlichen Diskussion in der Rechtsprechung und Literatur in gebotener Kürze zusammen und ist daher auch über den Einzelfall hinaus lesenswert.
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