(OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.08.2022 – Az. 5 LB 9/20)
Ein Zuwendungsbescheid kann ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Bescheid eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht erfüllt hat.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessenspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheids in Betracht kommt.
Der Rückforderungsbescheid ist dann rechtswidrig, wenn die Beklagte übersieht, dass ihr ein Ermessen zusteht und sie versäumt, dieses Ermessen auszuüben.
Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das ihre Klage abgewiesen hat.
Die Klägerin ist eine kleine Gemeinde, welche eine freiwillige Feuerwehr betreibt. Im Jahr 2007 bewilligte ihr der Beklagte eine Zuwendung aus Mitteln der Feuerschutzsteuer für die Beschaffung eines Feuerwehrlöschfahrzeugs in Höhe von 48.277,46 EUR. Im Bewilligungsbescheid behielt sich die Beklagte vor, die Zuwendung bei Nichteinhaltung der Vergabevorschriften, deren Einhaltung im Wege des Verweises auf die ANBest-K auferlegt wurde, zurückzufordern.
Der Beklagte zahlte den Betrag in drei Raten in den Jahren 2010 und 2011 an die Klägerin aus. Im Jahr 2012 führte das Rechnungs- und Gemeindeprüfungsamt des Kreises (GPA) eine Ordnungsprüfung durch, in deren Verlauf das GPA zur Auffassung gelangte, dass die Klägerin bei dem Beschaffungsvorgang des Feuerwehrfahrzeuges verbindliche Vorgaben des Vergaberechts mehrfach und teils schwerwiegend missachtet habe.
Aufgrund dieser Erkenntnisse und nach Anhörung der Klägerin widerrief die Beklagte im September 2015 den Bewilligungsbescheid und forderte die Klägerin zur Erstattung des ausgezahlten Betrages nebst Zinsen bis Oktober 2015 auf. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Widerruf erfolge aufgrund der Verstöße gegen zwingende Vergabevorschriften. Zudem habe sich ihr Ermessen zu einem intendierten Ermessen verdichtet; im Hinblick auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit könne regelmäßig nur der Widerruf – nicht das Absehen hiervon – ermessensfehlerfrei sein, wenn eine Auflage des Zuwendungsbescheides nicht erfüllt werde; Ein Ermessen betreffend die Höhe der Rückforderung stehe dem Beklagten nicht zu.
Gegen den Widerrufsbescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Sie führt aus, ihr seien allenfalls unerhebliche – im Einzelnen benannte – Bagatellfehler bei der Beschaffung unterlaufen.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, denn sie sei unzutreffend von einem intendierten Ermessen ausgegangen. Die Ermessenausübung sei bei einem Verstoß gegen Auflagen nicht intendiert, da die Zuwendung zweckgebunden verwendet worden sei. Auch betreffend die Höhe einer Rückforderung habe der Beklagte ein Ermessen. Von diesem Ermessen habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Die Klägerin sei zudem eine kleine Gemeinde und die Rückforderung der Gesamtsumme bedeute eine unverhältnismäßige Härte.
Der Beklagte meint, die Mängel des Vergabeverfahrens rechtfertigten im Regelfall den Widerruf einer Zuwendung und indizierten die Unwirtschaftlichkeit. Auf die Intensität eines Verstoßes gegen das Vergaberecht komme es indessen nicht an; im Zuwendungsrecht sei allein maßgeblich, ob objektive Rechtsverstöße vorlägen. Ungeachtet dessen handele es sich im Wesentlichen um schwerwiegende Verstöße gegen das Vergaberecht.
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg!
Der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides war rechtswidrig. Die Klägerin hat die mit dem Zuwendungsbescheid verbundene Auflage zwar nicht erfüllt, jedoch hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Die Klägerin hat vielfältig und zum Teil schwerwiegend gegen das Vergaberecht verstoßen. Die Verstöße identifiziert das Oberverwaltungsgericht detailliert und zutreffend.
Trotz dessen scheiterte die Rechtmäßigkeit des Widerrufs an der fehlerhaften Ermessensausübung des Beklagten.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessenspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides zulässig und geboten ist.
Eine solche Ermessenserwägung hat der Beklagte nicht angestellt. Der Beklagte hat verkannt, dass ihm nicht nur betreffend des „ob“ des Widerrufs („Ausübungsermessen“), sondern auch hinsichtlich der Höhe der Rückforderung („Gestaltungsermessen“) ein Ermessensspielraum zusteht. Er hätte – ungeachtet eines etwaigen intendierten Ermessens – Ermessenserwägungen tätigen müssen, weil die Klägerin mehrfach und zum Teil schwerwiegend gegen das Vergaberecht verstoßen hat, sodass jedenfalls eine Abweichung vom Regelfall des intendierten Ermessens anzunehmen war. Der Beklagte hätte bewerten müssen, wie sich die Verstöße im Einzelnen auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auswirkten. Auch die Tatsache, dass Rückforderung für die Klägerin eine erhebliche finanzielle Belastung bedeutet, bietet Anlass, von einer vom Regelfall abweichenden Sachlage eines Widerrufs auszugehen, welche eine andere Entscheidung als den vollständigen Widerruf rechtfertigen kann.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes zeigt die Relevanz der zweckentsprechenden und auflagengemäßen Verwendung von Zuwendungsmitteln auf.
Die streitgegenständliche Zuwendung wurde bereits im Jahr 2007 bewilligt und unterlag erst mehr als 10 Jahre später der gerichtlichen Kontrolle und hatte eine erhebliche finanzielle Unsicherheit im Haushalt der Klägerin zur Folge. Ein erheblicher Zeitablauf bietet allein keinen Schutz vor einem Widerruf des Bewilligungsbescheids.
Das Oberverwaltungsgericht hat die vielfältigen Verstöße der Klägerin gegen das Vergaberecht zutreffend erkannt und hierzu festgehalten, dass es sich mitunter um schwerwiegende Vergabeverstöße Verwendung der Zuwendungen handelte.
Ungeachtet dessen konnte der Senat – zutreffend – keine Rechtfertigung für einen vollständigen Widerruf erkennen. Naturgemäß genügte im Streitfall bereits die Feststellung des – explizit eingeräumten – Ermessenausfalls für das Obsiegen der Klägerin. Der Senat bezog jedoch zusätzlich Stellung zu den von dem Beklagten im Einzelnen vorgebrachten Argumenten, die für den vollständigen Widerruf streiten sollten. Insbesondere die vermeintliche Zweckverfehlung der Zuwendung, welche seitens des Beklagten unter Verweis auf den Zweck der Beachtung von Auflagen (hier zur Einhaltung des Vergaberechts) vorgetragen wurde, lehnte der entscheidende Senat mit überzeugender Begründung ab. Die Einhaltung des Vergaberechts ist nicht Zweck einer Zuwendung, sondern hat lediglich dienende Funktion!
Die Entscheidung verdeutlicht gleichermaßen, dass der Zuwendungsempfänger erhebliche Sorgfalt bei der Mittelverwendung walten lassen muss, dass jedoch auch der Zuwendungsgeber bei der Rückforderung die zu Grunde liegende Sach- und Rechtslage sorgfältig beurteilen muss.
Für Zuwendungsempfänger – insbesondere solche, welche anders als die hier als Klägerin auftretende Gemeinde, nicht qua Rechtsstellung bei allen Beschaffungen an das Vergaberecht gebunden sind – besteht seit jeher Unsicherheit bei der Einhaltung der im Zuwendungsbescheid regelmäßig enthaltenen Auflage zur Einhaltung komplexer vergaberechtlicher Bestimmungen. Dieses Problem – des Mangels an Erfahrung im Vergaberecht – wird durch die hiesige Entscheidung nicht gelöst.
Die besprochene Entscheidung, welche vordergründig zugunsten des Zuwendungsempfängers ausging, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Zukunft höchste Sorgfalt bei der Durchführung von Vergabeverfahren zum Zwecke der Fördermittelverwendung angezeigt ist. Auch wenn der Senat hier nicht der Auffassung des Beklagten folgte, dass die Intensität von Vergabeverstößen auch für die Ermessensausübung irrelevant sei, weil es lediglich auf das Vorliegen objektiver Rechtsverstöße ankomme, steckt in der Auffassung des Beklagten ein Kern von Wahrheit. Für den Tatbestand der Widerrufsprüfung ist die Aussage zutreffend; objektive Rechtsverstöße begründen regelmäßig (intendiert) einen Widerruf. Lediglich bei Abwägung des behördlichen Ausübungs- und Gestaltungsermessens (Ausübung: Ob des Widerrufs; Gestaltung: In welcher anteiligen Höhe wird widerrufen) spielt neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch die Intensität der Verstöße eine Rolle.
Für Zuwendungsgeber gibt der Senat einige Hinweise, welche in Rahmen von Verwendungsnachweisprüfungen dringend beachtet werden sollten, um rechtssicheres und verbindliches Verwaltungshandeln herbeizuführen. Insbesondere sollte stets – und zwar unabhängig vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Widerruf – eine Kontrollüberlegung erfolgen, ob im betreffenden Einzelfall Umstände zu erkennen sind, welche ein Abweichen vom intendierten Ermessensausgang rechtfertigen bzw. rechtfertigen könnten. Selbst wenn dies abzulehnen ist, führt die Dokumentation entsprechender Überlegungen in jedem Falle zu einer höheren Rechtssicherheit des Verwaltungshandelns.
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