Beschluss vom 28.06.2021 (VK 2-77/21)
In ihrem aktuellen Beschluss vom 28.06.2021 (VK 2-77/21, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) hat sich die VK Bund zu der äußerst praxisrelevanten und nicht ganz unumstrittenen Frage geäußert, ob sich eine rechnerisch an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag ablaufende Stillhaltefrist im Sinne von § 134 Abs. 2 GWB gemäß § 193 BGB bzw. Art. 3 Abs. 4 der Verordnung (VO) (EWG) Nr. 1182/71 auf den nächstfolgenden Werktag verschiebt oder nicht. Wäre diese Frage zu bejahen, hätte dies zur Folge, dass die von vielen Auftraggebern ausgeübte „Donnerstagspraxis“, nach der Vorabinformationen vorzugsweise am Donnerstag versandt werden, um den Zuschlag nach Fristablauf am übernächsten Sonntag am darauffolgenden Montag erteilen zu können, nicht mit § 134 GWB in Einklang stünde. Im Folgenden haben wir die überzeugenden dogmatischen Erwägungen der VK Bund in diesem Zusammenhang in gewohnter Manier für Sie aufbereitet…
Die Auftraggeberin schrieb einen Rahmenvertrag europaweit aus.
Mit auf elektronischem Wege übermitteltem Schreiben teilte die Auftraggeberin der späteren Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag nach Ablauf der in § 134 Abs. 2 GWB genannten Frist von zehn Kalendertagen auf das Angebot der Bestbieterin zu erteilen. Dementsprechend werde der Vertragsabschluss frühestens am Montag, den 21.06.2021, erfolgen.
Diese Entscheidung rügte die Antragstellerin erfolglos und legte (erst) am Nachmittag des 21.06.2021 einen Nachprüfungsantrag bei der VK Bund ein, welchen diese anschließend per Fax an die Antragstellerin übermittelte. Daraufhin teilte die Auftraggeberin der VK Bund mit, dass der Zuschlag bereits am Morgen des 21.06.2021 an die Bestbieterin erteilt worden sei. Vor diesem Hintergrund wies die VK Bund die Antragstellerin darauf hin, dass dem Nachprüfungsantrag möglicherweise die Statthaftigkeit fehle, da dieser erst nach erfolgter Zuschlagserteilung gestellt worden sei. Daraufhin führte die Antragstellerin aus, die Auftraggeberin habe den Zuschlag noch nicht am 21.06.2021 erteilen dürfen, weil das Ende der im Vorabinformationsschreiben genannten Frist von zehn Kalendertagen rechnerisch auf Sonntag, den 20.06.2021, gefallen sei und sich das Fristende nach § 193 BGB bzw. Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 1182/71 daher auf den nächstfolgenden Werktag, also Montag, den 21.06.2021, verschoben habe. Somit könne der Zuschlag frühestens am Dienstag, den 22.06.2021, wirksam erteilt werden. Sie beantragte daher festzustellen, dass die Zuschlagserteilung vom 21.06.2021 unwirksam sei.
Entscheidung der VK Bund: Die Zuschlagserteilung am 21.06.2021 war wirksam, da die Stillhaltefrist bereits am Sonntag, den 20.06.2021, abgelaufen ist!
Der Nachprüfungsantrag, so die VK Bund, sei nicht statthaft, weil die Auftraggeberin den Zuschlag wirksam erteilt habe und der wirksam erteilte Zuschlag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht aufgehoben werden könne. Der von der Antragstellerin vorgetragene Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB liege nicht vor, weil die Auftraggeberin den Zuschlag wirksam am 21.06.2021 nach Ablauf der von ihr im Schreiben vom 10.06.2021 ordnungsgemäß gesetzten Frist von zehn Kalendertagen habe erteilt werden dürfen.
Die Auftraggeberin habe durch ihre am 10.06.2021 elektronisch an die Antragstellerin übermittelte Vorabinformation die nach § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB zu beachtende Frist von zehn Kalendertagen, nach deren Ablauf der Zuschlag hier habe erteilt werden dürfen, ab dem 11.06.2021 in Gang gesetzt. Diese Frist sei damit am Sonntag, den 20.06.2021, abgelaufen. Der Zuschlag habe daher ab Montag, den 21.06.2021, erteilt werden dürfen; was auch geschehen sei.
Das Ende dieser Frist von zehn Kalendertagen, so die VK Bund weiter, verschiebe sich, anders als die Antragstellerin meine, nichtnach § 193 BGB auf den Ablauf des auf den Sonntag, 20.06.2021, folgenden Werktags in Gestalt von Montag, den 22.06.2021. § 193 BGB finde keine Anwendung, da es sich bei der Frist nach § 134 Abs. 2 GWB um eine reine nach Kalendertagen bemessende Wartefrist („Stillhaltefrist“ gemäß Art. 2a der Richtlinie 2007/66/EG) für den öffentlichen Auftraggeber handele, nicht aber um eine Frist, binnen der eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken sei. Dies folge aus dem unmissverständlichen Wortlaut des § 134 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GWB, wonach ein Vertrag erst zehn Kalendertage „nach Absendung der Information nach Absatz 1 geschlossen werden“dürfe. Dies ergebe sich ferner aus Art. 2a Abs. 2 RL 2007/66/EG, dessen Umsetzung § 134 Abs. 2 GWB diene. Dort werde ausdrücklich bestimmt, dass „der Vertragsabschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung […]nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen erfolgen“dürfe. Der öffentliche Auftraggeber müsse also den Ablauf dieser nach Kalendertagen zu bemessenden Frist abwarten und dürfe den Zuschlag vor deren Ablauf nicht erteilen. Soweit die Antragstellerin sich auf die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs zu dem im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 neu gefassten § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB berufe, folge daraus nichts anderes. Der Gesetzgeber habe dort lediglich darauf hingewiesen, dass ein Bieter für eine etwaige Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB eine entsprechende Mindestüberlegungsfrist habe, die nach dieser Norm zehn Kalendertage ab Erkennen eines möglichen Vergaberechtsverstoßes betrage. Diese „Mindestüberlegungsfrist“ werde durch § 134 Abs. 2 GWB gewährt. § 134 Abs. 2 GWB erfahre dadurch aber nach wie vor nicht die von der Antragstellerin geltend gemachte Bedeutung, die ausdrücklich nach Kalendertagen zu bemessende Stillhaltefrist über den im Hinblick auf Art. 2a RL 2007/66/EG bzw. § 134 Abs. 2 GWB gebotenen Zeitraum bei Fristende an Samstagen, Sonntagen oder Feiertagen auszudehnen. Denn nach deren Maßgaben komme es allein auf die relevante Rechtswirkung des Wegfalls des gesetzlichen Verbots zur Zuschlagserteilung an, der den Ablauf der Stillhaltefrist voraussetze.
Soweit die Antragstellerin meine, das Ende der Frist nach § 134 Abs. 2 GWB verschiebe sich hier auch aufgrund des Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 1182/71 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine, treffe dies ebenfalls nichtzu. Die Regelungen dieser Verordnung seien zwar nach deren Art. 1 grundsätzlich auch im Rahmen des EU-Vergaberechts zu beachten. Soweit der von der Antragstellerin in Bezug genommene Art. 3 Abs. 4 Satz 1 VO Nr. 1182/71 bestimme, dass die Frist mit Ablauf des auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag folgenden Arbeitstages ende, wenn der letzte Tag einer nicht nach Stunden zu bemessenden Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag falle, sei diese Regelung hier jedoch nicht anzuwenden. Denn aus der Regelung des Art. 3 Abs. 4 Satz 2 VO Nr. 1182/71 folge ausdrücklich, dass eine Verschiebung eines entsprechenden Fristendes auf den nächstfolgenden Arbeitstag nicht für Fristen gelte, die von einem bestimmten Datum oder einem bestimmten Ereignis an rückwirkend berechnet würden. So liege der Fall aber hier. Denn es komme für die entscheidende Voraussetzung des Zeitpunktes, an dem das Zuschlagsverbot wegfalle und ab dem der Zuschlag erteilt werden könne, gerade darauf an, dass die vorausliegende Frist gemäß § 134 Abs. 2 GWB abgelaufen sei. Damit handele es sich hier ausweislich der maßgebenden Vorschrift des Art. 2a Abs. 2 RL 2007/66/EG, deren Umsetzung § 134 Abs. 2 GWB diene, um eine rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Wegfalls des Zuschlagsverbots zu berechnende Frist. Denn Art. 2a Abs. 2 RL 2007/66/EG bestimme ausdrücklich, dass der Vertragsabschluss im Anschluss an die Zuschlagsentscheidung „nicht vor Ablauf“einer Frist von zehn Kalendertagen erfolgen dürfe.
Aus der Entscheidung der VK Bund folgt, dass sich eine rechnerisch an einem Samstag-, Sonntag oder Feiertag ablaufende Stillhaltefrist im Sinne von § 134 Abs. 2 GWB weder nach § 193 BGB noch gemäß Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 1182/71 auf den nächstfolgenden Werktag verschiebt.
Damit steht insbesondere der geübten Vergabepraxis, dass Auftraggeber das Vorabinformationsschreiben donnerstags per E-Mail oder Fax auf den Weg bringen, um so zwei Wochenenden „mitzunehmen“ und am übernächsten Montag den Vertrag „in trockene Tücher“ zu bringen, auch weiterhin nichts im Wege. Ein Zuwarten mit der Zuschlagserteilung bis zum (übernächsten) Dienstag ist auf Grundlage der Entscheidung der VK Bund nicht erforderlich.
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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