OLG Karlsruhe
Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens über die Vergabe der Rahmenvereinbarung für die Bezahlkarte für Schutzsuchende hat sich das OLG Karlsruhe mit der Frage befasst, ob der Bieter im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb Vertrauensschutz dahingehend genießt, dass seine Eignung im späteren Verfahren nicht mehr in Frage gestellt werden darf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. September 2024 – 15 Verg 9/24). Damit greift der Senat ein aktuelles Thema in der Rechtsprechung der Vergabenachprüfungsinstanzen auf. Die herrschende Meinung, ausgehend vom OLG Düsseldorf (Beschluss vom 29. März 2021 – Verg 9/21), nimmt dabei einen Vertrauensschutz des Bieters dergestalt an, dass die positiv durch den Auftraggeber bejahte Eignung eines Bieters im Teilnahmewettbewerb im Rahmen eines zweistufigen Vergabeverfahrens bei gleichbleibender Tatsachengrundlage nicht mehr überprüft werden kann. Dies soll nach dem OLG Düsseldorf auch dann gelten, wenn Wettbewerber erst nach Abschluss der Angebotsphase überhaupt Kenntnis davon erhalten, dass der Auftraggeber die Eignung eines Wettbewerbers – aus seiner Sicht zu Unrecht – angenommen hat. Mit der Vergabekammer Baden-Württemberg (Beschluss vom 20. November 2024 – 1 VK 67/24) setzt sich erstmalig eine Vergabenachprüfungsinstanz mit der rechtsschutzbeschränkenden Wirkung der herrschenden Spruchpraxis kritisch auseinander.
Das OLG Karlsruhe stellt in seiner Entscheidung klar, dass durch die angenommene Eignung eines Bewerbers im vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb und die Zulassung zur nachfolgenden Angebotsphase ein Vertrauenstatbestand begründet werde. Ein Ausschluss des folgenden Angebots des Teilnehmers aufgrund dessen, dass die Eignungsprüfung trotz gleichbleibender Tatsachen nicht positiv hätte ausfallen dürfen, komme dann nicht mehr in Betracht.
Ob und unter welchen Voraussetzungen jedoch Mitbieter einen Vergaberechtsverstoß hinzunehmen haben bzw. ob es mit der Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2007/66/EG zu vereinbaren ist, wenn konkurrierende Bieter im Nachprüfungsverfahren nicht geltend machen können, dass die Eignungsprüfung eines zugelassenen Bieters vergaberechtswidrig erfolgte, lässt der Vergabesenat offen. Die Antragstellerin wurde ebenso wie die Beigeladene zur Angebotsabgabe aufgefordert, sodass dieser kein Schaden entstanden sei. Die Teilnahme der Beigeladenen habe der Antragstellerin die Abgabe eines wettbewerblich interessanten Angebots nicht erschwert.
Mit dieser Entscheidung schließt sich das Gericht der bisherigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf vom 29.3.2021 (Verg 9/21) an. Sowohl das OLG Düsseldorf als auch das OLG Karlsruhe stellen fest, dass die Schaffung dieses Vertrauenstatbestands auf das Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnehmerwettbewerb Anwendung finde. Durch die positive Eignungsprüfung würde im zweistufigen Verfahren ein schutzwürdiges Vertrauen des Bieters geschaffen, anders als im einstufigen offenen Verfahren. Anders als das OLG Düsseldorf hat sich das OLG Karlsruhe jedoch nicht mit der spannenden Frage befasst, ob der Vertrauensschutz auch den Rechtsschutz der Wettbewerber „aushebelt“.
Damit befasst sich jedoch explizit der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 20.11.2024 (1 VK 67/24), der diesbezüglich ausdrücklich dem OLG Düsseldorf widerspricht. Die Kammer führt aus, dass zwar grundsätzlich ein schutzwürdiges Vertrauen durch die Zulassung zum Verhandlungsverfahren entstehen könne, dies begründe jedoch allenfalls Schadensersatzansprüche des Teilnehmers gegenüber dem Auftraggeber. Eine Fortführung des Verfahrens ohne Rechtsschutz für andere Bieter sei nicht möglich. Der Ausschluss des Rechtsschutzes für andere Bieter, die die Zulassungsentscheidung der Bieter mangels Kenntnis von der Person der Mitbieter nicht einmal rügen könnten, sei nach Art. 1 Abs. 3 und 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 der RL 2007/66/EG und Art. 19 Abs. 4 GG rechtlich nicht haltbar. Dies würde den gesetzlich garantierten Rechtsschutz der Mitbieter ausschließen, obwohl das europäische Recht im Gegenteil sogar eine effektive Umsetzung des Rechts beanspruche. Zur Begründung führt die Vergabekammer weiter aus, dass ein Vertrauensschutz mit Bindungswirkung für das Vergabeverfahren entgegen § 16 b EU Abs. 3 VOB/A mit höherrangigem Recht nach § 122 Abs. 1 GWB und Art. 29 Abs 7 S. 2 RL 2014/24/EU nicht vereinbar sei. Der nicht in einem formellen Gesetz kodifizierte Vertrauensschutz könne insoweit keine zwingenden gesetzlichen Vergabevorschriften leerlaufen lassen. Denn nach § 122 Abs. 1 GWB darf der Zuschlag nur an einen geeigneten Bieter vergeben werden und nach Art. 29 Abs. 7 RL 2014/24/EU hat sich der öffentliche Auftraggeber zu vergewissern, dass die endgültigen Angebote den Mindestanforderungen entsprechen und im Einklang mit Art. 56 Absatz 1 RL 2014/24/EU stehen. Daraus ergebe sich die für den Auftraggeber verbindliche Verpflichtung, vor Zuschlagserteilung erneut in die Eignungsprüfung einzutreten und die vorige Entscheidung zu überprüfen.
Aus der divergierenden Entscheidungspraxis der Nachprüfungsinstanzen folgt eine Rechtsunsicherheit für Auftraggeber und Bieter. Aus Sicht der Auftraggeber stellt sich die Frage, wann sie im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb wieder in die bereits abgeschlossene Eignungsprüfung einsteigen dürfen. Stellen beispielsweise neue – ggf. durch Mitbewerber gewonnene – Informationen zu den erbrachten Leistungen des Zuschlagsprätendenten im Rahmen einer Unternehmensreferenz eine „geänderte Tatsachengrundlage“ dar, bei denen ein Wiedereinstieg möglich, vielleicht gar zwingend, ist? Diese Frage der Reichweite eines – rechtlich nachvollziehbaren – Vertrauensschutzes des Bieters hat die Rechtsprechung bislang noch nicht hinreichend beantwortet. Auch das OLG Karlsruhe lässt diese wichtigen Fragen leider offen. Umso bemerkenswerter, dass sich die VK Baden-Württemberg wiederum sehr kritisch mit den einschneidenden Auswirkungen für den vergaberechtlichen Rechtsschutz auseinandersetzt.
Aus Sicht des Verfassers dürfte es in der Praxis auf die Frage des Vertrauensschutzes in vielen Fällen gar nicht ankommen. Denn eine veränderte Tatsachengrundlage liegt auch dann vor, wenn zwar die vom Bieter vorgelegten Informationen zu seiner Eignung gleichbleiben, der Auftraggeber aber über außerhalb dessen gewonnene Informationen verfügt, welche die Eignung in Frage stellen. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob sich der Auftraggeber diese neuen Informationen selbst beschafft oder er diese von dritter Seite erhält.
Ein Vertrauensschutz besteht zudem auch dann nicht, wenn ein Bieter unvollständige oder falsche Angaben im Rahmen seines Teilnahmeantrags gemacht hat. Selbst wenn der Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb fehlerhaft die Eignung bejaht, darf ein Zuschlag auf einen ungeeigneten Bieter nicht erfolgen. Aus Art. 56 RL 2014/24/EU folgt auch hier die Pflicht, erneut in die Eignungsprüfung einzusteigen. Für die Anwendung des Vertrauensschutzes bleiben dann lediglich Fallgestaltungen, bei denen dem Auftraggeber ein Beurteilungsermessen bezüglich der Eignung (z. B. bei der Frage der „Vergleichbarkeit“ von Referenzen) zukommt. Hat er dort eine Entscheidung zugunsten des Bieters getroffen, darf er diese bei einem zweistufigen Vergabeverfahren im Rahmen der Angebotsphase nicht mehr – bei gleichbleibender Tatsachengrundlage – ändern.
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