Beschluss vom 10. Juli 2024, VII-Verg 2/24
Mit der voranschreitenden Digitalisierung sehen sich öffentliche Auftraggeber immer häufiger mit komplexen IT-Vergaben konfrontiert, deren technische Besonderheiten öffentliche Auftraggeber regelmäßig vor Herausforderungen stellen. Dabei steht ihnen bei der Einschätzung, ob möglicherweise die Vorgabe von Soft- oder Hardwareprodukten eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt sein könnte, ein Beurteilungsspielraum zu. Welche Anforderungen an die Rechtfertigung einer produktspezifischen Ausschreibung konkret zu stellen sind, hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in einer aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 10. Juli 2024, VII-Verg 2/24) nun konkretisiert.
Die Auftraggeberin schrieb eine Rahmenvereinbarung über die Lieferung und Montage von interaktiven Displays für kommunale Schulen in einem EU-weiten offenen Verfahren aus. Beschafft werden sollten 1.200 Displays, welche vorhandene Tafeln in den Unterrichtsräumen ersetzen sollten, inklusive des hierfür benötigten Zubehörs, der Software und der entsprechenden Dienstleistungen.
Ausweislich der Leistungsbeschreibung war die Lieferung eines spezifischen Displays samt der dazugehörigen Software eines bestimmten Herstellers auftragsgegenständlich. Zusätzlich sollten die Bieter einen Nachweis über einen vorhandenen Partnerstatus bei dem vorgegebenen Hersteller erbringen.
Vorausgegangen war im Jahr 2019 bereits eine produktneutrale Ausschreibung der Auftraggeberin über 666 interaktive Displays, in deren Zuge Produkte des Herstellers, die nunmehr produktspezifisch ausgeschrieben werden sollen, beschafft wurden und die weiter betrieben werden sollen.
Die Auftraggeberin begründete daher die produktspezifische Ausschreibung zum einen mit einer drohenden Gefährdung des störungsfreien Betriebs, insbesondere durch Schwierigkeiten bei Gebrauch und Wartung, fehlender Kompatibilität des vorhandenen MDM (MobileDeviceManagement-System) mit Geräten anderer Hersteller und einem erhöhten Supportaufwand. Zum anderen würden bereits getätigte Infrastrukturmaßnahmen entwertet und ein erheblich erhöhter Umstellungsaufwand für Lehrkräfte bestehen, sollten Produkte eines anderen Herstellers bezuschlagt werden.
Für die auftragsgegenständlichen Produkte besteht ein Distributorenmarkt, das heißt, sie werden nicht allein direkt vom Hersteller vertrieben.
Die Antragstellerin, ein IT-Unternehmen, welches digitale Lernlösungen, wie interaktive Schultafeln oder Lernsoftware für Schulen anbietet, erhob hiergegen Rüge – welcher der Auftraggeber nicht abhalf – und stellte sodann einen Antrag auf Nachprüfung.
Unter anderem rügte die Antragstellerin das Nichtvorhandensein tatsächlich vorliegender nachvollziehbarer objektiver und auftragsbezogener Gründe für die ausschreibungsgegenständlichen Produkte, sodass das Vergabedesign nach Ansicht der Antragstellerin gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung verstoße.
Zur Begründung führte die Antragstellerein an, dass bereits kein etabliertes Bestandssystem vorläge, da die Zahl der bisher beschafften Displays lediglich 27 Prozent der insgesamt zu beschaffenden Displays ausmache. Zudem sei ein Hardware-Mischbetrieb üblich und könne daher regelmäßig ohne Mehraufwände oder Schwierigkeiten vollzogen werden.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein.
Das OLG Düsseldorf wies die sofortige Beschwerde ebenfalls als unbegründet zurück.
Die Auftraggeberin habe nicht gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung aus § 31 Abs. 1 VgV verstoßen und damit nicht den Anspruch der Antragstellerin auf Gleichbehandlung der Bieter nach 97 Abs. 2 GWB verletzt.
Zwar sei die Ausschreibung produktspezifisch, da sie sowohl die Software als auch die Hardwarekomponenten eines bestimmten Herstellers zum Gegenstand habe. Dennoch seien die Produktvorgaben vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Herstellerverweise seien zwar nur dann durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wenn von dem Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden seien und die Bestimmung willkürfrei getroffen worden sei. Die angegebenen Gründe müssten auch tatsächlich vorhanden, mithin festzustellen und notfalls erwiesen sein und die Bestimmung dürfe andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren.
Hierbei müsse die Entscheidung nachvollziehbar begründet und diese Begründung dokumentiert werden. Eine vorherige Markterkundung sei allerdings nicht erforderlich, wenn sich der Wettbewerb durch die Produktvorgabe – wie hier – nicht auf einen Bieter verenge. Die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liege beim öffentlichen Auftraggeber.
Eine Produktvorgabe aus technischen Gründen könne insbesondere dann bejaht werden, wenn im Interesse der Systemsicherheit und der Funktion eine wesentliche Verringerung von tatsächlich bestehenden und abzuwendenden Risikopotentialen, wie das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsproblemen, bewirkt werde. Bei Kompatibilitätsproblemen, die bei der Beschaffung neuer Systemkomponenten – insbesondere von IT-Komponenten – regelmäßig auftreten können, müsse der Auftraggeber jedoch im Besonderen aufzeigen, dass durch den Wechsel des Systems oder die produktneutrale Ergänzung ein unverhältnismäßiger Mehraufwand entstünde oder die Funktionalität auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt würde.
Vorliegend stellen nach Ansicht des Gerichts Auswirkungen eines Softwaremischbetriebs auf die Schüler und den dadurch entstehenden Mehraufwand der Lehrer zweifelsohne objektive und auftragsbezogene Gründe dar. Auch habe die Auftraggeberin konkret darlegen können, dass ein Softwaremischbetrieb nicht möglich sei, da dies zu einem erhöhten Einarbeitungsaufwand in verschiedene herstellerspezifische Softwaresysteme führe.
So würde das Vorliegen eines Softwaremischbetriebs die Arbeitsabläufe im Schulalltag erheblich beeinträchtigen, weil Schüler die Schulräume regelhaft wechselten und sich stets an ein anderes System mit einem anderen Interface und einer anderen Software gewöhnen müssten. Dies würde zu einem erheblichen Zeitverlust für die eigentlichen Lehrinhalte führen. Lehrer ihrerseits müssten alle Dateien und Lehrinhalte in zwei unterschiedlichen Formaten erstellen und bearbeiten, was wertvolle Unterrichtszeit kosten würde.
Die Kompatibilitätsprobleme, welche sich infolge einer heterogenen Umgebung durch erhöhten Supportaufwand, herstellerspezifischer MDM-Software und fehlender Verwaltung von Geräten ergeben, seien zudem im besonderen Kontext des schulischen Umfelds zu bewerten. Diesbezüglich ist zur Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts eine gleichförmige Funktion einer Vielzahl von Endgeräten bei der Nutzung durch unterschiedliche Schülergruppen erforderlich. Die Funktionalität für die Gewährleistung eines reibungslosen Unterrichts sei in nicht hinnehmbarer Weise beeinträchtigt.
Produktspezifische Vergaben im IT-Umfeld können in der Vergabepraxis von der Fachseite insbesondere dann als erforderlich bewertet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber bereits über Bestandssysteme verfügt, die erweitert bzw. proprietär ausgebaut werden sollen. Die Vergabestelle hat in einem solchen Fall unter Rückgriff auf die Expertise der Fachseite zu prüfen, ob die leistungsbezogenen Vorgaben gerechtfertigt sind. Der Beschluss des OLG Düsseldorf verdeutlicht, dass keine übermäßig hohen Anforderungen an die Rechtfertigung und die damit einhergehenden nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe zu stellen sind. Vielmehr dürfen vernünftige und zweckmäßige Erwägungen dem Grunde nach ausreichend sein.
Wesentliche Begründungsansätze können sein:
Diese Gründe sind jeweils mit fachlich konkreten, auftragsbezogenen Gründen vor Veröffentlichung der Vergabe zu dokumentieren.
Zu beachten ist allerdings, dass der Begründungsaufwand wegen 14 Abs. 6 VgV weitaus höher ist, wenn für ein Produkt, auf das sich der öffentliche Auftraggeber festgelegt hat, kein Distributoren- oder Resellermarkt besteht und dies somit faktisch zu einer Wettbewerbsbeschränkung auf ein Unternehmen und somit zu einer Direktvergabe führt. In diesem Fall muss der öffentliche Auftraggeber durch eine EU-weit durchzuführende Markterkundung nachweisen, dass auf dem gesamten Markt keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung angeboten wird und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist. Dies stellt in der Praxis häufig eine kaum zu überwindende Begründungshürde dar.
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