OLG Naumburg vom 16.12.2022 (Az. 7 U 40/22)
Nicht selten beauftragen öffentliche Auftraggeber Architektur- bzw. Ingenieurbüros mit der Vorbereitung von und der Mitwirkung an Bauvergaben. Dass derartige Aufträge jedoch für die Planungsbüros erhebliche Haftungsrisiken bergen, wenn Fehler bei der Vergabe passieren, verdeutlicht ein aktuelles Urteil des OLG Naumburg vom 16.12.2022 (Az. 7 U 40/22).
Eine kleine Stadt in Sachsen-Anhalt mit ca. 3.000 Einwohnern (und zum damaligen Zeitpunkt keiner eigenen Vergabestelle) beabsichtigte die Erneuerung des Dachs des Dorfgemeinschaftshauses unter Inanspruchnahme von Fördermitteln aus dem EU-Programm Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Der gewährte Förderanteil lag bei immerhin 75 % bzw. knapp 36.000 EUR. Die Bauleistungen des Bauvorhabens waren in drei Lose aufgeteilt: Gerüstbauarbeiten (Los 1), Dachdeckung und -entwässerung (Los 2) sowie Dachdeckendämmung (Los 3).
Bei der Maßnahme ließ sich die Stadt durch ein Ingenieurbüro unterstützen. Konkret wurde das Büro mit den Grundleistungen der LPh 1 bis 3 und 5 bis 9 des Leistungsbildes „Objektplanung für Gebäude“ gemäß § 35 HOAI 2013 beauftragt. Das Ingenieurbüro erstellte insoweit die Leistungsverzeichnisse sowie die übrigen Vergabeunterlagen, bereitete die Veröffentlichung über eine Vergabeplattform vor, prüfte die eingegangenen Angebote und erstellte schließlich einen „Wertungsbericht“, in dem es auf der Grundlage einer von ihm vorgenommenen förmlichen, rechnerischen und inhaltlichen Prüfung der Angebote eine Vergabeempfehlung aussprach. Entsprechend dieser Vergabeempfehlung erteilte die Stadt jeweils losweise den Zuschlag.
Nach einer erfolgten Mittelverwendungsprüfung widerrief der Zuwendungsgeber den zu Gunsten der Stadt erteilten Zuwendungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit vollständig. Der Widerruf wurde auf verschiedene festgestellte Vergabeverstöße (u.a. unzureichend bereitgestellte Formblätter, Verstoß gegen das Nachverhandlungsverbot, unzureichende Dokumentation von Nachforderungen und das Ignorieren einer unzulässigen Abänderung der Vergabeunterlagen) bei der Vergabe aller drei Lose gestützt. Die Stadt forderte daraufhin das Ingenieurbüro zur Zahlung von 75 % der zurückgeforderten Zuwendungssumme (ca. 27.000 Euro) als Schadensersatz auf. Nachdem das Ingenieurbüro dieser Aufforderung nicht nachkam, machte die Stadt die 27.000,00 Euro nebst Prozesszinsen klageweise geltend.
Die Entscheidung des Gerichts
Nach Auffassung des in zweiter Instanz zuständigen OLG Naumburg gehören die Zusammenstellung der Vergabeunterlagen, das Prüfen und Werten der Angebote, das Führen von Bietergesprächen, das Erstellen der Vergabevorschläge sowie die Dokumentation des Vergabeverfahrens zu den Aufgaben eines mit den LPh 6 und 7 des Leistungsbilds Gebäude und Innenräume beauftragten Planers. Dies gelte sowohl nach der „alten“ HOAI 2013 als auch nach der neuen HOAI 2021. Das hier entsprechend beauftragte Planungsbüro habe daher für Vergabefehler im Rahmen einer von ihm betreuten Ausschreibung einzustehen. Dies gelte erst recht dann, wenn der Auftraggeber – wie hier die klagende Stadt – nicht über eine eigene Vergabestelle mit Erfahrungen bei der Durchführung von Bauvergaben verfüge und auch keine externe Rechtsberatung beauftragt habe, so dass das Planungsbüro erkennbar gerade deshalb eingeschaltet worden sei, um die Defizite des Auftraggebers in den eigenen Kapazitäten auszugleichen.
Dabei betont das OLG, dass der Umstand, dass die Stadt sowohl als öffentliche Auftraggeberin im Außenverhältnis zu den Teilnehmern des jeweiligen Vergabeverfahrens als auch als Zuwendungsempfängerin im Verhältnis zu ihrem Zuwendungsgeber für die Vorbereitung und Durchführung des Vergabeverfahrens verantwortlich zeichne, nichts an der Haftung des Planers im Innenverhältnis ändere. Für einen Ausschluss einer solchen Haftung sei im vorliegenden Sachverhalt – anders als z.B. in einem vom OLG München 2001 entschiedenen Fall (vgl. OLG München, Urt. v. 30.01.2001, 13 U 4744100), den das beklagte Planungsbüro zu seiner Verteidigung angeführt hatte – nichts ersichtlich. Insbesondere könne sich das Ingenieurbüro in Abwesenheit eines entsprechenden Leistungs- bzw. Haftungsausschlusses für rechtsberatende Leistungen auch nicht nachträglich darauf berufen, nach den Vorgaben des Rechtsdienstleistungsgesetzes („RDG“) gar nicht berechtigt zu sein, Rechtsberatungsleistungen zu erbringen.
Die Frage, inwieweit Architekt:innen und Ingenieur:innen überhaupt berechtigt sind, im Rahmen von Vergabeverfahren Rechtsberatungsleistungen zu erbringen, bildet immer wieder Anlass zu Streitigkeiten. Denn zulässig sind für Angehörige dieser Berufsgruppen lediglich „rechtsberatende Nebenleistungen“. „Echte“ Rechtsberatung dürfen dagegen nur solche Personen erbringen, die über eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verfügen. Und die Grenzen zwischen „rechtsberatender Nebenleistung“ und „echter Rechtsberatung“ sind fließend.
Ungeachtet dieses allgemeinen Streitpunkts zeigt die vorliegende Entscheidung des OLG Naumburg jedoch deutlich, wie wichtig es für Planer:innen, die Vergabeverfahren begleiten, ist, ihre eigenen Fähigkeiten und Kapazitäten im Bereich des zunehmend komplexen Vergaberechts realistisch einzuschätzen. Bestehen Zweifel darüber, ob das Vergaberecht in all seinen Ausprägungen und Auswirkungen vollumfassend beherrscht wird, müssen im Planervertrag unbedingt klare Regelungen zur Reichweite und zu den Grenzen der vom Planer übernommenen Rechtsdienstleistungen und Verantwortlichkeiten getroffen werden. Außerdem sollte das Planungsbüro unbedingt deutlich auf etwaige Kompetenzgrenzen im Bereich des Vergaberechts hinweisen, u.U. Bedenken anmelden oder auch auf die Inanspruchnahme zusätzlicher (interner oder externer) Rechtsberatung hinwirken. Andernfalls droht den Planungsbüros eine Haftung für finanzielle Schäden, die der Auftraggeber durch etwaige Vergabefehler erleidet. Dies kann nicht nur Schäden durch Rückforderungen von Fördermitteln betreffen, sondern z. B. auch Schäden durch Verzögerungen bei der Auftragserteilung.
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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