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EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – Az. Rs. C-6/15
Sachverhalt
Die Flämische Region in Belgien schrieb mit Bekanntmachung vom 31. Januar 2012 einen Dienstleistungsauftrag für eine Erhebung über das Wohnungswesen und den Wohnkonsumenten in Flandern aus. In der Aus-schreibung wurden die Zuschlagskriterien „Qualität des Angebots“ und „Preis“ genannt. Den Ausführungen des Auftraggebers war ferner zu entnehmen, dass beide Zuschlagskriterien zu jeweils 50% in die Wertung einfließen sollten.
Im Hinblick auf das Zuschlagskriterium „Qualität des Angebots“ erfolgte die Wertung der eingegangenen Angebote anhand einer dreistufigen Wertungsskala („niedrig“, „ausreichend“ und „hoch“). Vor Ablauf der Angebotsfrist war den Bietern diese Skala nicht bekannt. Nachdem die Bieter Kenntnis von dem konkreten Wertungsvorgehen und der Wertungsskala erlangt hatten, rügte ein Bieter das Wertungsvorgehen des öffentlichen Auftraggebers vor dem zuständigen Spruchkörper der belgischen Vergabenachprüfungsinstanzen (Staatsrat).
Der Staatsrat legte seinerseits dem EuGH die Frage vor, ob ein öffentlicher Auftraggeber angesichts von Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG und den vergaberechtlichen Grundsätzen der Gleichheit und Transparenz dazu verpflichtet ist, die Bewertungsmethode oder die Gewichtungsregeln für die Zuschlags-kriterien, anhand deren die Angebote bewertet werden sollen, stets im Voraus festzulegen und in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen zu benennen.
Entscheidung
Im Hinblick auf die Gewichtungsregeln führt der EuGH aus, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich dazu verpflichtet ist, in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen anzugeben, wie die einzelnen Zuschlagskriterien gewichtet werden. Dementsprechend darf ein öffentlicher Auftraggeber nach Einschätzung des EuGH keine Gewichtungsregeln anwenden, die den Bietern nicht vorher zur Kenntnis gebracht wurden. Hierbei verweist das Gericht auch auf seine frühere Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008 – Az. C-532/06, Rn. 38 und 42).
Bezüglich der Bewertungsmethoden führt der EuGH sodann jedoch aus, dass weder eine Vorschrift aus der Richtlinie 2004/18/EG noch die bisherige Rechtsprechung des EuGH den öffentlichen Auftraggeber dazu verpflichtet, den Bietern die Bewertungsmethode mitzuteilen, mit der die konkrete Angebotswertung hinsichtlich der zuvor festgelegten Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung erfolgt. Ergänzend führt der EuGH aus, dass dem öffentlichen Auftraggeber ein gewisser Freiraum zuzustehen sei. Der öffentliche Auftraggeber müsse in der Lage sein, die Bewertungsmethode, die er zur Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, an die Umstände des Einzelfalls anzupassen. In Einzelfällen sei es sogar zulässig, die Bewertungsmethode erst nach der Angebotsöffnung festzulegen. Allerdings dürfe die nachträgliche Festlegung der Bewertungs-methode durch den öffentlichen Auftraggeber keine Veränderung der Zuschlags-kriterien oder ihrer Gewichtung bewirken.
Rechtliche Würdigung und Praxistipp
Wenngleich die Entscheidung noch auf Grundlage der mittlerweile außer Kraft gesetzten Richtlinie 2004/18/EG ergangen ist, hat sie nicht nur rechtshistorischen Wert. Die für die Entscheidung maßgeblichen Regelungen wurden im Wesentlichen in die nunmehr in Kraft befindlichen Vergaberichtlinien (2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU) übernommen, sodass der EuGH vermutlich auf Grundlage der aktuellen Vergaberichtlinien zu demselben Ergebnis gekommen wäre.
Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass der EuGH dem öffentlichen Auftraggeber im Vergleich zum OLG Düsseldorf deutlich mehr Freiheiten einräumt. Der Vergabesenat des OLG Düsseldorf hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass ein öffentlicher Auftraggeber transparente Wertungsmaßstäbe aufstellen und kommunizieren muss, die den Bietern im Vorhinein (!) die Bestimmung zulassen, wann sie welche Wertung (Punktzahl) erreichen werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – Az. VII-Verg 25/15 und Beschluss vom 19. Oktober 2015 – Az. VII-Verg 28/14).
Man darf gespannt sein, inwiefern das OLG Düsseldorf sowie die anderen deutschen Spruchkörper der Vergabenachprüfungsinstanzen das EuGH-Urteil bei ihren zukünftigen Entscheidungen berücksichtigen werden. Aufgrund der voneinander abweichenden Rechtsprechung ist öffentlichen Auftraggebern zu empfehlen, sich zumindest vorerst auch weiterhin an der „strengeren“ Recht-sprechung des OLG Düsseldorf zu orientieren.
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