Europäische Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 13. März 2025 (Rs. C-266/22) erneut zu der praxisrelevanten Frage Stellung genommen, nach welchen Modalitäten ein Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der EU kein Abkommen über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann.
In dem zugrunde liegenden Fall hatte im Jahr 2021 ein Konsortium, bestehend aus dem federführenden chinesischen Unternehmen und einem rumänischen Unternehmen, an einem Vergabeverfahren in Rumänien über die Lieferung von elektrischen Triebwagenzügen und die Erbringung von Wartungs- und Reparaturdienstleistungen teilgenommen. Der Auftraggeber schloss das Konsortium mit der Begründung aus, dass es sich bei dem federführenden Unternehmen um einen Bieter aus einem „Drittstaat“ handle. Er stützte seine Entscheidung auf eine nationale rumänische Vorschrift, die einen Ausschluss von Bietern aus Drittstaaten ohne Abkommen mit der EU vorsah. Das Konsortium erhob Klage gegen diese Entscheidung. Im Rahmen des Verfahrens legte das rumänische Gericht dem EuGH die Frage, ob die einschlägige rumänische Vorschrift mit dem EU-Vergaberecht (Richtlinie 2014/24/EU) vereinbar sei, zur Klärung vor.
Der EuGH stellte zunächst klar, dass die Richtlinie 2014/24/EU dahin zu verstehen ist, dass der Zugang für Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern zu Vergabeverfahren in der EU nicht gewährleistet ist. Unter Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern sind alle Bieter aus Ländern zu subsumieren, die keine internationale Übereinkunft mit der EU geschlossen haben (wie z.B. das Government Procurement Agreement (GPA) der Welthandelsorganisation (WTO)). Auch Bieter aus China fallen darunter, da China bislang keine solche internationale Übereinkunft geschlossen hat.
Wenngleich sich danach Unternehmen aus solchen Drittstaaten im Hinblick auf einen Ausschluss von einem Vergabeverfahren oder die Zulassung zu einem solchen Verfahren nicht auf diese Richtlinie berufen und eine Gleichbehandlung ihres Angebots mit Angeboten aus der EU oder assoziierten Staaten nicht verlangen können, kann eine Regelung der Ausschluss- oder Zugangsmodalitäten von solchen Unternehmen allerdings nur durch die EU selbst erlassen werden. Denn diese Ausschluss- und Zugangsentscheidungen gehören zum Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, der nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV eine ausschließliche Zuständigkeit der EU begründet. Somit darf allein diese den Zugang eines Bieters aus einem Drittstaat durch einen verbindlichen Rechtsakt regeln. Die Mitgliedstaaten wurden von der EU hingegen bisher nicht ermächtigt, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die hier herangezogene rumänische Regelung, die den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, den Bieter auszuschließen, durfte dementsprechend nicht angewandt werden. Der EuGH stellt fest, dass eine solche nationale Rechtsvorschrift immer rechtswidrig sei. Vor dem Hintergrund war es im vorliegenden Fall auch unerheblich, dass die nationale Rechtsvorschrift erst nach der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung in Kraft getreten ist.
Dem einzelnen öffentlichen Auftraggeber steht es hingegen frei, in seinen Vergabeunterlagen Modalitäten aufzunehmen, die den objektiven Unterschied zwischen Unternehmen aus Drittstaaten und Unternehmen aus der EU bzw. assoziierten Staaten widerspiegeln. Zwar zieht der EuGH hier gewisse Mindestanforderungen ein, indem er darauf hinweist, dass es denkbar sei, dass diese Modalitäten bestimmten Anforderungen oder Grundsätzen entsprechen müssen wie der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes. Ein Rechtsbehelf, der auf die Nichtbeachtung solcher Grundsätze abstellt, kann allerdings nur anhand nationalen Rechts geprüft werden.
Mit dieser Entscheidung setzt der EuGH seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 22. Oktober 2024 (Rechtssache C-652/22 „Kolin Inaat Turizm Sanayi ve Ticaret“) fort, die auf Grundlage der EU-Sektorenrichtlinie 2014/25 zum selben Ergebnis gekommen war. Diese Entscheidung erlangte allerdings weniger Aufmerksamkeit, da die Sektorenrichtlinie mit Art. 85 eine ausdrückliche Vorschrift für den Ausschluss von Angeboten enthält, die Erzeugnisse aus Drittländern umfassen. Diese wurde mit 55 SektVO auch in nationales Recht umgesetzt und war seither als Privileg der Sektorenauftraggeber angesehen worden. Vor diesem Hintergrund war auch das OLG Düsseldorf in seiner „Kampfdrohnen-Entscheidung“ vom 31. Mai 2017 (Verg 36/16) von der Prämisse ausgegangen, dass der Zugang zu Vergabeverfahren für Unternehmen aus Drittstaaten als „gegeben“ angesehen wird. Und auch seine Entscheidung vom 1. Dezember 2021, wonach Art. 25 der Richtlinie 2014/25 EU kein Recht zur Ungleichbehandlung von Bietern aus Drittstaaten gewährt, dürfte danach überholt sein.
Fest steht nach der sich nunmehr festigenden Rechtsprechung des EuGH vielmehr, dass der öffentliche Auftraggeber im Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU entscheiden kann, ob er Bieter aus Drittstaaten zu seinem Vergabeverfahren zulässt oder nicht. Nicht explizit geregelt ist jedoch, wie eine solche Entscheidung zu erfolgen hat. Konkret stellt sich die Frage, ob der Zugang zum Vergabeverfahren als Teil der Bekanntmachung oder der Vergabeunterlagen zu regeln ist. Zum jetzigen Zeitpunkt ist auch noch offen, ob die „Behandlungsmodalitäten“ der Drittstaatsangehörigen bestimmte Grundsätze und Anforderungen beachten müssen und an welche Grenzen sich der öffentliche Auftraggeber halten muss. Laut EuGH obliegt diese Beurteilung allein den nationalen Gerichten und dem nationalen Recht. Da es vermehrt zu Entscheidungen zu dem Umgang von Drittstaatsangehörigen kommt, sind auch in nächster Zeit Entscheidungen zu den „Behandlungsmodalitäten“ zu erwarten.
Überraschend ist, dass die Beteiligung eines EU-Unternehmens am „Konsortium“ keine Auswirkungen auf die Entscheidung des EuGH hatte. Offensichtlich verfolgt der Gerichtshof hier – wie zuvor auch schon in anderen Verfahren – eine „Infizierungstheorie“, frei nach dem Motto „mitgehangen – mitgefangen“. Ob und inwieweit es vorliegend darauf ankam, dass der chinesische Konsortialpartner das federführende Unternehmen des Konsortiums war, ergibt sich aus den Urteilsgründen des EuGH nicht.
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