VK Sachsen, Beschluss vom 10.02.2023 – 1/SVK/031-22
Die Vergabekammer Sachsen hatte sich in vorgenannter Entscheidung mit streiterheblichen Rechtsfragen zum § 60 VgV zu befassen:
Diese Fragen hat die Vergabekammer in ihren Leitsätzen zum Beschluss wie folgt beantwortet:
„1. Die Vergabekammer hat nicht zu bewerten, ob ein Angebot auskömmlich oder unauskömmlich ist, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot als auskömmlich oder unauskömmlich zu bewerten, auf Basis eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar ist. Bei dieser Prognoseentscheidung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, welcher nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Vergabekammer unterliegt.
2. Ein Ausschluss eines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots kommt nicht in Betracht, wenn der Auftraggeber nach der Prüfung gem. § 60Abs. 1 und 2 VgV anhand der vom Bieter vorgelegten Unterlagen die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten zufriedenstellend aufklären kann. Dann ist bereits der Tatbestand des Ausschlussgrunds aus § 60Abs. 3 Satz 1 VgV nicht gegeben.
3. Sofern der Bieter eine seriöse Kalkulation seines ungewöhnlich niedrig erscheinenden Angebots nachweist, indem er die Gründe seiner Angebots- und Preisgestaltung nachvollziehbar und stichhaltig aufschlüsselt, darf sein Angebot nicht ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist dabei, ob der Bieter nachvollziehbar erklären kann, aufgrund sach- und/oder unternehmensbezogener sowie wettbewerbsorientierter Gründe günstiger als das Bieterumfeld kalkuliert zu haben.
4. Ein nachvollziehbarer Grund für eine sehr niedrige Kalkulation kann im Einzelfall z. B. die Erlangung einer neuen Referenz sein, um damit ein – wettbewerblich erwünschtes – Verbleiben im Markt zu gewährleisten.“
Die Antragsgegnerin schrieb im Dezember 2021 Planungsleistungen für die Objektplanung von Verkehrsanlagen und von Ingenieurbauwerken in einem offenen Verfahren aus.
Die Vergabeunterlagen sahen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbewertung mehrere Zuschlagskriterien vor; der Preis sollte hiernach mit einem Gewicht von 60 % Berücksichtigung finden.
Im April 2022 wurde der Antragstellerin mit Vorabinformationsschreiben mitgeteilt, dass der Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll. Dies nahm die Antragstellerin zum Anlass einer Beantragung der Einleitung eines ersten Nachprüfungsverfahrens. In diesem Nachprüfungsverfahren obsiegte sie. Die Vergabekammer fasste im August 2022 einen Beschluss, nach welchem das Vergabeverfahren durch die Antragsgegnerin teilaufgehoben und in den Zeitpunkt vor Angebotswertung zurückversetzt werden musste.
Im November 2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin im Wege eines neuen Vorabinformationsschreibens über die Absicht der Zuschlagserteilung an die Beigeladene. Hierzu teilte die Antragsgegnerin mit, Sie habe im Rahmen der Preisprüfung festgestellt, dass das Angebot der Beigeladenen auskömmlich war.
Die Antragstellerin beantragte hierauf die Einleitung eines zweiten Nachprüfungsverfahrens. Sie war weiterhin der Auffassung, das Angebot der Beigeladenen müsse wegen Unauskömmlichkeit ausgeschlossen werden. Zur Begründung benannte die Antragstellerin Details zu zwischenzeitlichen Anpassungen an der Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin. Aus diesen schloss die Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin infolge des ersten Nachprüfungsverfahrens keine angemessene Preisprüfung vorgenommen habe, sondern stattdessen die eigene Auftragswertschätzung nach unten korrigiert habe, um das Angebot der Beigeladenen zuschlagsfähig erscheinen zu lassen.
Nach Akteneinsicht „diskutierten“ die Antragstellerin und Antragsgegnerin mit wechselnden Stellungnahmen detailliert und umfänglich, in welchen Preispositionen das Anbot der Beigeladenen besonders unauskömmlich sei, bzw. weshalb die betreffenden Positionen des Angebots der Beigeladenen und das Prüfungsvorgehen der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden sei.
Der Nachprüfungsantrag blieb ohne Erfolg!
Die Vergabekammer führt in Ihrer Entscheidungsbegründung vor, wie Nachprüfungsinstanzen die Frage der Unauskömmlichkeit gem. § 60 Abs. 1 und 2 VgV prüfen.
Zunächst befasste sie sich insoweit mit dem Prüfungsmaßstab für die Entscheidung der Vergabekammer und stellte hierzu wie folgt fest:
„Bei der Überprüfung dieser Entscheidung durch die Vergabekammer hat diese nicht zu bewerten, ob das Angebot der Beigeladenen auskömmlich ist, sondern ob die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot der Beigeladenen als auskömmlich zu bewerten, auf Basis
eines zutreffend und hinreichend ermittelten Sachverhaltes und einer gesicherten Erkenntnisgrundlage getroffen wurde und im Ergebnis nachvollziehbar und vertretbar ist. Diese Prognoseentscheidung, bei der der Auftraggeber über einen Beurteilungsspielraum verfügt, unterliegt nur einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Nachprüfungsbehörden und Gerichte (Opitz in: Beck’scher Vergaberechtskommentar, VOB/A EU, § 16d Rn. 36 m. w. N.; VK Sachsen, Beschluss vom 25. Mai 2022 – 1/SVK/005-22 -. Beschluss vom 14. Juni 2022 – 1/SVK/006-22, und Beschluss vom 21. Juli 2022 – 1/SVK/012-22). Im Nachprüfungsverfahren ist dieser Beurteilungsspielraum deshalb nur auf etwaige Beurteilungsfehler hin zu prüfen (VK Bund, Beschluss vom 24. November 2022 – VK 2-94/22). Wenn dem Auftraggeber so viele Anhaltspunkte vorliegen, dass diese in ihrer Gesamtheit stimmig für die Auskömmlichkeit des Angebotes sprechen, bleibt die Entscheidung des Auftraggebers bestehen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 19/18).“
Hieran gemessen sei das Prüfvorgehen der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Beurteilungsfehler seien hier nicht ersichtlich gewesen, weil die Preisprüfung eine nachvollziehbare Begründung für die Kalkulation der Beigeladenen zu Tage gefördert habe.
„Maßgeblich ist, ob der Bieter nachvollziehbar erklären kann, aufgrund sach- und/oder unternehmensbezogener, wettbewerbsorientierter Gründe günstiger als das Bieterumfeld kalkuliert zu haben.“
So kämen auch nachvollziehbare Unterkostenangebote für einen Zuschlag in Betracht, wenn besondere Umstände bei dem – wirtschaftlich tätigen und grundsätzlich gewinnorientiert agierenden – Bieterunternehmen hinzuträten
„Versucht der Bieter, durch die Abgabe nicht vollständig kostendeckender Preise beim Auftraggeber „Fuß zu fassen“, unterliegt die Preisbildung keinen vergaberechtlichen Bedenken, sofern der Bieter ausreichend Gewähr für eine ordnungsgemäße Auftragsausführung bietet (VK Thüringen, Beschluss vom 15. Januar 2018 – 250-4003-9213/2017-E-022-EF). Denn für Bieter kann es verschiedenste sach-, unternehmensbezogene oder wettbewerbsorientierte Gründe geben, im Einzelfall ein nicht auskömmliches oder jedenfalls sehr knapp kalkuliertes Angebot abzugeben, z. B. wenn der Bieter auf effizientere Arbeitsmethoden oder Betriebsabläufe, preisgünstigere Bezugsquellen zurückgreifen kann oder lediglich die bloße Erzielung eines Deckungsbeitrags beabsichtigt,
weil er auf einen neuen Markt vorstoßen möchte (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Juli 2022 – 11 Verg 4/22; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Juli 2011 – 15 Verg 8/11) oder weil der Bieter ein besonderes, über den Normalfall hinausgehendes Interesse daran hat, den Auftrag zu erhalten, bspw. um seine anderweitig nicht wie geplant einsetzbaren Kapazitäten überhaupt nutzen zu können (VK Bund, Beschluss vom 22. November 2017 – VK 1-129/17).“
Die Antragsgegnerin habe umfassende Aufklärung bei der Beigeladenen betrieben, welche die aufgeworfenen Fragen umfassend und detailliert beantwortet
habe. Neben Detailangaben zu den Aufklärungsfragen habe die Beigeladene zusätzlich plausibel dargelegt, dass sie bewusst „sehr knapp“ kalkuliert habe. Sie beabsichtigte mit der Beteiligung am Verfahren insbesondere das Erlangen einer Referenz, welche für die künftige Beteiligung an weiteren Vergabefahren benötigt werde.
„Nach Auffassung der Vergabekammer hat die Beigeladene somit plausibel dargelegt, dass sie sich in einer wettbewerblichen Sondersituation befindet und deshalb bewusst den Gemeinkostenfaktor sehr knapp, aber noch auskömmlich kalkuliert hat, um überhaupt im Wettbewerb um vergleichbare Aufträge weiter tätig sein zu können bzw. im Ergebnis den Fortbestand der Firma zu sichern. Damit hat sie glaubhaft dargelegt, eine besonderes – über das der Mitbieter hinausgehendes – Interesse am Erhalt des streitigen Auftrags zu haben. Die Kalkulation ist Sache der Bieter. Es steht der Beigeladenen und jedem anderen Bieter frei, sehr knapp kalkulierte Angebote abzugeben und bspw. von vornherein auf den Ansatz von Gewinn und Wagnis zu verzichten.“
Die Entscheidung ist instruktiv und zutreffend und fügt sich in eine Reihe entsprechender Entscheidungen ein.
Beteiligte am Vergabeverfahren dürfen im Kontext der Preisprüfung gem. § 60 Abs. 1 und 2 VgV nicht nur die Schutzrichtungen der Norm im Blick behalten. Es gilt insoweit auch zu berücksichtigen, dass den Bietern Kalkulationsfreiheit zusteht. Ein Bieter, der bewusst – jedoch nicht aus wettbewerbsfeindlichen Motiven – zu Unterkosten anbietet, ohne dass eine Gefahr der nicht anforderungsgerechten Leistungserbringung entsteht, kann nicht nach § 60 Abs. 3 VgV ausgeschlossen werden.
Im Fall der Preisaufklärung durch öffentliche Auftraggeber ist auf Adressatenseite größte Sorgfalt geboten. Der Bieter, dessen Preise aufgeklärt werden, hat genau einen Versuch, den Auftraggeber davon zu überzeugen, dass die geringe Höhe der angebotenen Preise keine Gefahr einer nicht anforderungsgerechten Leistungserbringung bedingt.
Hierbei sollte der betreffende Bieter nicht nur die konkreten Fragen zu einzelnen Preispositionen detailliert und umfassend beantworten, sondern auch etwaige außervertragliche Gründe für die geringen Preise benennen, um dem Auftraggeber eine hinreichende Prognosegrundlage zu bieten.
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