OLG Bamberg, Beschluss vom 27.04.2022 – 1 U 302/21
Das OLG Bamberg hatte sich in vorgenannter Entscheidung mit der Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung der geltend gemachten Restwerk-lohnforderung eines Bauunternehmers zu befassen. Die Berufung wurde zurückgewiesen.
Mit umfassenden Hinweisbeschluss vom 23.02.2022 unter demselben Aktenzeichen hatte der entscheidende Senat bereits die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung angekündigt und begründet. Das Vorgehen wurde auf das offensichtliche Fehlen von Erfolgsaussichten im Sinne des § 522 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO gestützt.
In den Leitsätzen entschied das OLG Bamberg wie folgt:
„1. Kommt es in einem VOB/B-Einheitspreisvertrag in einer oder mehreren LV-Position(en) zu Mengenmehrungen von über 10 Prozent und können sich die Vertragsparteien nicht über die Höhe des neuen Einheitspreises einigen, sind für die Bemessung des neuen Einheitspreises die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich (im Anschluss an BGH, IBR 2019, 535, 536).
2. Allein durch die Anforderung der Urkalkulation wird kein neuer Einheitspreis zwischen den Parteien (konkludent) vereinbart.“
Die Klägerin des Rechtsstreits war Nachunternehmerin des Beklagten, welcher sich erfolgreich als Bieter an einem Vergabeverfahren eines öffentlichen Auftraggebers beteiligte. Der öffentliche Auftraggeber trat dem Rechtsstreit als Streithelfer auf Seiten des Beklagten bei.
Im Rahmen des Vergabeverfahrens forderte der Auftraggeber von dem Beklagten eine Preisaufklärung unter Offenlegung der Urkalkulation. Dieser Forderung kam der Beklagte – nach entsprechender Anforderung bei der Klägerin – umfassend im Hinblick auf alle EP-Positionen nach.
Erstinstanzlich stützte die Klägerin ihren Anspruch unter anderem darauf, dass aufgrund der vor Vertragsschluss erfolgten Offenlegung der Urkalkulation davon auszugehen sei, dass die Parteien für anfallende Mehrmengen jedenfalls konkludent die vorkalkulatorische Preisfortschreibung vereinbart hätten. Diese Rechtsauffassung verfolgte die Klägerin mit ihrer Berufung weiter.
Ohne Erfolg!
Die Klägerin verkannte nach Auffassung des OLG Bamberg die zu Mengenmehrungen ergangene – inzwischen ständige – höchstrichterliche Rechtsprechung, welche eine Abkehr von zuvor angewandten vorkalkulatorischen Preisfortschreibung bedeutete:
„Hinsichtlich der geltend gemachten Mengenmehrungen hat das Landgericht die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend wiedergegeben und angewendet. Demnach ergibt die im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nach Treu und Glauben, dass, wenn nichts anderes vereinbart ist, für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten der über 10 v.H. hinausgehenden Leistungs-bestandteile zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sind (vgl. BGH, Urteil vom 08. August 2019 – VII ZR 34/18, Rn. 29).“
Auch eine abweichende Vereinbarung, welche entsprechende Wirkung zeige, sei von der Klägerin nicht hinreichend vorgetragen worden. Der schlichten Offenlegung der Urkalkulation im Rahmen einer Angebotsaufklärung kann insoweit keine konkludente Vereinbarung entnommen werden:
„Den Einwänden in der Berufungsbegründung (dort S. 23 ff.) hiergegen folgt der Senat nicht. Ein neuer Einheitspreis wurde zwischen den Parteien nicht vereinbart, insbesondere auch nicht vorab (konkludent) durch die Anforderung der Urkalkulation. Auch in der von der Klägerin zitierten E-Mail des [Auftraggebers] vom 22.03.2018 wurde klargestellt, dass der Mehraufwand nachgewiesen werden müsse, aufgeteilt nach Lohn und Material (vgl. Berufungserwiderung vom 10.01.2022, S. 7). Ein Rechtsbindungswille des Beklagten, sich hinsichtlich einer Mehrmengen-abrechnung mit einer kalkulatorischen Preisfortschreibung des Vertrags-preises abzufinden, wurde damit weiterhin nicht ausreichend dargelegt. Gleiches gilt für die tatsächlichen Kosten der über 110 % hinausgehenden Mengenüberschreitung, was auch im Rahmen der Berufungsbegründung nicht erfolgte. Ob dies daran liegt, dass der bereits zugesprochene und abgerechnete Einheitspreis überhöht war, wie der Beklagte behauptet (vgl. Berufungserwiderung vom 10.01.2022, S. 8), muss vom Senat nicht abschließend entschieden werden.“
Die Entscheidung der des OLG Bamberg ist zutreffend und ergeht im Einklang mit der diesbezüglichen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung im Kontext des § 2 Abs. 3 VOB/B hat der BGH – zu Recht – einen Riegel vorgeschoben, da diese häufig zur Folge hatte, dass sich das Äquivalenzverhältnis des Vertrags wesentlich verschob.
Preisvorteile zugunsten des Unternehmers bei der Beschaffung von erheblich größeren Materialmengen blieben hierbei ebenso unberücksichtigt, wie Preisnachteile, bei rabattierter Kalkulation betreffender Leistungspositionen. Die Ergebnisse der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung führten regelmäßig zu einem erheblichen Ungleichgewicht.
Konsequent ist insoweit, dass das OLG Bamberg dem Vortrag der Klägerin, die Offenlegung der Urkalkulation sei als konkludente vertragliche Vereinbarung zur Preisbestimmung bei Mengenänderungen zur werten, nicht folgt, auch wenn abweichende Vereinbarungen grundsätzlich zulässig und denkbar wären.
Die Vereinbarung einer von der Bestimmung des § 2 Abs. 3 VOB/B abweichenden Einheitspreisermittlung bei Mengenänderungen, kann nicht schon in der Preisaufklärung gem. §§ 16d EU Abs. 1 Nr. 2 oder 16d Abs 1 Nr. 2 VOB/A mit Aufforderung zur Offenlegung der Urkalkulation erkannt werden. Zielrichtung der Preisaufklärung ist die Prüfung der Angemessenheit der Einheitspreise unter Zugrundelegung der benannten Vordersätze. Für Fälle der Mengenänderung hat dies keinerlei Belang.
Entsprechende Anfragen / Aufforderungen an Bieter kann demnach auch kein konkludenter Wille des Auftraggebers entnommen werden, im Fall von Mengenänderungen eine vorkalkulatorische Preisfortschreibung vorzunehmen.
Bereits vor dieser Entscheidung musste den Parteien eines VOB/B-Bauvertrags klar sein, dass die Einheitspreise im Fall einer Mengenänderung nicht mehr im Wege der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung, sondern anhand der tatsächlichen Kosten unter Berücksichtigung angemessener Aufschläge zu ermitteln sind.
Das OLG Bamberg macht hier – in Ergänzung zu den Grundsätzen vorstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung – in begrüßenswerter Klarheit deutlich, dass die Offenlegung der Urkalkulation eines Unternehmers / Bieters nicht zur (konkludenten) Vereinbarung einer Abweichung von § 2 Abs. 3 VOB/B führt.
Die Preisaufklärung im Rahmen von Vergabeverfahren kann demnach weiterhin auch ohne einen expliziten Hinweis vorgenommen werden, dass die Urkalkulation nicht zur vorkalkulatorischen Preisfortschreibung eingesetzt werden wird.
Veranstaltungen im Vergaberecht
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