Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 12. Dezember 2022 – Verg 3/22)
In einer aktuellen Entscheidung hat sich das Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 12. Dezember 2022 – Verg 3/22) mit einem vertraglich vorgesehenen Kündigungsrecht des öffentlichen Auftraggebers bei Erreichen der in einer Rahmenvereinbarung genannten Schätz- oder Höchstmenge bzw. des Schätz- oder Höchstwerts beschäftigt. Im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 17. Juni 2021, Rs. C- 23/20 – „Simonsen & Weel“, wonach der Auftraggeber bei der Vergabe einer Rahmenvereinbarung Höchst- und Gesamtmengen angeben muss und der Rahmenvertrag mit Erreichen der Höchstmenge automatisch endet, sieht das OLG in einem bloßen Kündigungsrecht des Auftraggebers einen Verstoß gegen den Transparenz- und den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Der Auftraggeber veröffentlichte im Jahr 2022 eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung bezüglich Dienstleistungen im offenen Verfahren. In dem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der EU-Bekanntmachung als Teil der Vergabeunterlagen abrufbaren Entwurf einer Rahmenvereinbarung gab der Auftraggeber das maximale Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung an. Der Entwurf der abzuschließenden Rahmenvereinbarung sah zudem folgende Klausel vor:
„2.4 Die Rahmenvereinbarung kann vom Auftraggeber jederzeit vor Ablauf der Vertragslaufzeit mit einer Frist von fünf (5) Tagen in Schriftform gekündigt werden, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers (…) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist.“
Die spätere Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot an der Ausschreibung. Sie wurde von dem Auftraggeber nach § 58 Abs. 1 Nr. 5 VgV von dem Verfahren ausgeschlossen, da in ihrem Angebot fehlerhafte Preise enthalten seien und das Angebot somit nicht die echten, erforderlichen Preisangaben enthalte.
Die Antragstellerin stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag. Sie rügte insbesondere, dass weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen eine Höchstabnahmemenge angegeben sei, ab deren Erreichung die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung ende. Dies stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung dar.
Sie führte zudem aus, dass die Kalkulation ohne die Angabe von Höchstmengen kaum zu bewerkstelligen gewesen sei. Ihr Angebot beruhe darauf, dass sie die Rechtsprechung des EuGH zur Angabe von Schätz- und Höchstmengen nicht gekannt habe und das Angebot dennoch unter Zeitdruck abgegeben habe.
Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag als unzulässig, da die Antragstellerin bereits in Ermangelung eines ihr drohenden Schadens nicht antragsbefugt sei und ihr Ausschluss von dem Verfahren vergaberechtskonform erfolgt sei. Insbesondere genüge die Angabe in den Vergabeunterlagen zum maximalen Auftragsvolumen den Vorgaben des EuGH. Aus der Klausel 2.4 ergäbe sich nichts Gegenteiliges. Nach der Rechtsprechung des EuGH komme es auf ein Kündigungsrecht des Auftraggebers nicht an, mit Erreichen der Höchstmenge verliere die Rahmenvereinbarung vielmehr automatisch ihre Wirkung.
Die Antragstellerin hat hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt.
Das OLG Koblenz befand den Nachprüfungsantrag für in vollem Umfang zulässig und begründet.
Der Antragstellerin drohe ein Schaden durch das vergaberechtswidrige Verfahren, das hier mit nicht-heilbaren Fehlern belastet war. Der Vergaberechtsverstoß sei auch nicht im Sinne des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB erkennbar gewesen, sodass die Rüge der Antragstellerin auch nicht präkludiert war.
Insbesondere liege eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Transparenzgebots vor: Beide Verfahrensmaximen gebieten, dass im Falle der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung in der Auftragsbekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen sowohl der Schätzwert als auch der Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren anzugeben sind und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn dieser Wert erreicht ist. Diese Angabe ist für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da er auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen kann. Wäre dies nicht angegeben, könnten sich öffentliche Auftraggeber über diese Höchstmengen hinwegsetzen. Dann könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die geforderten Mengen nicht leisten könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung/den Vergabeunterlagen überschreiten (so schon die Entscheidung des EuGH vom 17. Juni 2021, Rs. C- 23/20 – „Simonsen & Weel“).
Im vorliegenden Fall ergäbe die Auslegung der Vergabeunterlagen jedoch nicht, dass eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen nach der Rahmenvereinbarung zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen sollte. Vielmehr werde dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, sich über die Höchstmenge der Dienstleistungen hinwegzusetzen. Ziffer 2.4 des Entwurfs einer Rahmenvereinbarung sei dahin auszulegen, dass der Auftraggeber ein Kündigungsrecht intendiere, wenn das genehmigte Budget aufgrund erteilter Aufträge ausgeschöpft sei. Dieses Budget entspreche zwar dem in den Vergabeunterlagen genannten maximalen Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung. Die zusätzliche Regelung hätte aber keinen Sinn, wenn eine Überschreitung des Höchstwerts automatisch zu einem Erlöschen der Leistungspflicht führen sollte. Etwas anderes ergebe sich auch nicht vor dem Hintergrund, dass Erklärungen des Auftraggebers in der Regel so zu verstehen seien, dass sie im Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen stehen. Dies sei nur dann der Fall, wenn das Ergebnis der Auslegung der Vertragsunterlagen nicht eindeutig sei, was im vorliegenden Fall abzulehnen sei.
Schließlich sei ein Kündigungsrecht auch nicht erforderlich gewesen, um ggf. vor der automatischen Beendigung des Rahmenvertrags eine Auftragsänderung nach § 132 GWB vornehmen zu können. Dies sei auch ohne ein Kündigungsrecht möglich.
Als Konsequenz des nicht heilbaren Fehlers und der damit verbundenen subjektiven Rechtsverletzung der Antragstellerin setzte das OLG Koblenz das Vergabeverfahren in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurück und eröffnete damit der Antragstellerin die Chance, an dem neuen Verfahren teilzunehmen.
Die Entscheidung des OLG zeigt zunächst plastisch, dass bei der Umsetzung der EuGH-Entscheidung „Simonsen & Weel“ noch Unsicherheiten in der vergaberechtskonformen Ausgestaltung einer Rahmenvereinbarung bestehen. Dies gilt auch für die vom EuGH hervorgehobene automatische Beendigung der Rahmenvereinbarung, wenn der Auftraggeber diese mengenmäßig ausgeschöpft hat. Hier zeigt sich das Spannungsverhältnis zu § 132 GWB, der nach Auffassung des EuGH – und des OLG Koblenz – weiterhin anwendbar bleibt. Eine Auftragsänderung nach § 132 GWB ist aber nur dann möglich, wenn der Auftrag noch besteht, also nicht durch Leistungserfüllung, Kündigung oder durch sonstige Gründe beendet ist. Eine Auftragsänderung nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ist somit keine Änderung eines bestehenden Auftrags, sondern eine neue Auftragsvergabe. Gerade bei Rahmenvereinbarungen bleibt öffentlichen Auftraggebern somit – um rechtzeitig von § 132 GWB Gebrauch machen zu können – keine Wahl, als das Volumen, welches bereits ausgeschöpft wurde, konkret nachzuhalten. Dies ist – gerade bei mehreren abrufberechtigten Stellen – keine einfache Aufgabe.
Ein Kündigungsrecht für den Auftraggeber bei Ausschöpfen der Rahmenvereinbarung ist nach dem OLG Koblenz jedenfalls keine Option, das o. g. Problem zu beseitigen. Das OLG geht vielmehr davon aus, dass dieses Kündigungsrecht die „Gefahr“ begründet, dass der Auftraggeber auch nach Ausschöpfen der Höchstmenge das Kündigungsrecht nicht ausübt und noch weitere Leistungen abruft. Dieser Rückschluss ist zwar nicht zwingend, wenn man die vom EuGH postulierte automatische Beendigung ernst nimmt. Dann könnte sich nämlich ein Auftragnehmer einem Leistungsverlangen des Auftraggebers zulässigerweise mit dem Argument verweigern, dass die Rahmenvereinbarung bereits ausgeschöpft und beendet ist. Die vom OLG Koblenz bemühten Gefahren einer Umgehung bestünden damit gar nicht. Im Übrigen ist auch bei einer automatischen Beendigung der Rahmenvereinbarung nicht ausgeschlossen, dass ein Auftraggeber – unter Umständen in der irrigen Annahme, die Rahmenvereinbarung sei noch nicht ausgeschöpft – versehentlich noch Leistungen abruft und der Auftragnehmer diese – weil er hierdurch gerade nicht „überfordert“ ist – gerne annimmt.
Im Ergebnis sollten öffentliche Auftraggeber aber im Lichte der Entscheidung des OLG Koblenz vorsichtshalber von vertraglichen Klauseln in Rahmenvereinbarungen absehen, welche als Umgehung der automatischen Beendigung der Rahmenvereinbarung aufgefasst werden könnten.
Veranstaltungen im Vergaberecht
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