EuGH
Die losweise Vergabe und ihre konkrete Ausgestaltung stellt eine wichtige und immer wiederkehrende, aber häufig als unnötig oder lästig empfundene Aufgabe für öffentliche Auftraggeber dar. Vergabestellen können festlegen, wie viele Lose ausgeschrieben werden, und dass Unternehmen Angebote nur für ein Los oder für alle Lose einreichen dürfen. Sie dürfen zudem festlegen, dass Unternehmen nur den Zuschlag für ein Los erhalten können (sog. Zuschlagslimitierung). Der EuGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 13. Juni 2024 – C-737/22 – juris) mit der (neuen) Frage beschäftigt, ob öffentliche Auftraggeber festlegen können, dass dem Bieter mit dem zweitgünstigsten Angebot der Zuschlag für ein Los unter der Bedingung erteilt wird, dass er die Leistungen zu dem gleichen Preis erbringt wie der Bieter mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot, der den Zuschlag für ein anderes Los erhalten soll.
Die zentrale Beschaffungsstelle von Dänemark, die SKI, schrieb im Jahr 2020 ein Vergabeverfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung aus, die die Lieferung und Aufbereitung von Bibliotheksmaterialien umfasste. Das einzige Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. Der Auftrag war in acht Lose unterteilt. Die Lose 1 und 2, um die es in der Entscheidung geht, trugen die Überschriften „Dänische Bücher und Notenblätter (Ost)“ bzw. „Dänische Bücher und Notenblätter (West)“. In den Vergabebedingungen hieß es:
„Die Lose 1 und 2 stehen miteinander in Zusammenhang […], und falls ein Bieter ein Angebot für eines der beiden Lose abgibt, wird damit automatisch ein Angebot für beide Lose abgegeben. (…) SKI geht davon aus, dass sie den Zuschlag pro Los jeweils nur einem Bieter erteilen wird. Ein Bieter kann den Zuschlag für mehrere Lose erhalten. […] Der Bieter, der das wirtschaftlich günstigste Angebot abgibt, wird dem Los 2 […] als Lieferant zugeordnet. Dem Bieter, der das Angebot abgibt, das wirtschaftlich am zweitgünstigsten ist, wird angeboten, Lieferant für das Los 1 Dänische Bücher und Notenblätter (Ost) zu werden. Dieser Bieter muss jedoch akzeptieren, dass der Zuschlag als Lieferant in Ostdänemark voraussetzt, dass er den Kunden in Ostdänemark die Erzeugnisse und Dienstleistungen der Rahmenvereinbarung zu exakt den gleichen Preisen bereitzustellen hat, die der Bieter mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot angeboten hat und in Westdänemark anwenden wird.“
Im Ergebnis erhielt der preisgünstigste Bieter „BibMedia“ den Zuschlag für Los 2 (West). Daraufhin schlug die SKI der zweitplatzierten Bieterin „AVM“ vor, dass ihr das Los 1 (Ost) erteilt werden könne, wenn sie akzeptiere, die in diesem Los vorgesehenen Lieferungen und Leistungen zu dem von BibMedia genannten Preis zu erbringen, über den AVM informiert worden war. AVM erklärte sich damit einverstanden, legte jedoch im Anschluss eine Beschwerde (Pendant zur Rüge nach deutschem Recht) ein und leitete nach Nichtabhilfe ein Gerichtsverfahren ein (Pendant zum Nachprüfungsverfahren nach deutschem Recht). In der zweiten Instanz wurde der Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH hatte sodann darüber zu befinden, ob die Vorgaben der SKI mit der EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU, insbesondere Art. 18 Abs. 1, in Einklang stehen.
Der EuGH entschied, dass diese Vorgehensweise mit Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 und den hierin genannten Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz vereinbar ist. Der EuGH unterstrich die Bedeutung des in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung für die Förderung eines gesunden und effektiven Wettbewerbs. Nach diesem Grundsatz seien Bieter sowohl zum Zeitpunkt, zu dem sie ihre Angebote vorbereiten, als auch zum Zeitpunkt, zu dem diese vom öffentlichen Auftraggeber beurteilt werden, gleich zu behandeln. Der ebenfalls in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie verankerte Grundsatz der Transparenz solle die Gefahr einer Günstlingswirtschaft oder willkürlicher Entscheidungen des Auftraggebers ausschließen. Dementsprechend verlange der Grundsatz, dass die Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens in der Bekanntmachung oder in den Vergabebedingungen klar, genau und eindeutig formuliert sind, damit alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ihre genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können, und der Auftraggeber zugleich imstande ist, tatsächlich zu überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen. Beide Grundsätze stünden jeglicher Verhandlung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieter entgegen, was bedeute, dass ein eingereichtes Angebot grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann, und zwar weder auf Betreiben des öffentlichen Auftraggebers noch auf Betreiben des Bieters. Die Vergabebedingungen enthalten nach dem EuGH auch kein solches Verhandlungselement. Der öffentliche Auftraggeber habe keine Möglichkeit, vom festgelegten Kriterium abzuweichen oder einen Bieter aufzufordern, sein Angebot zu ändern. Er müsse sich an die in den Angeboten genannten Preise und die daraus ergebene Rangfolge halten. Ob der zweitplatzierte Bieter das in Rede stehende Los zum Preis des Bestbieters ausführen möchte, stehe jedoch nicht in der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers. Vielmehr sei diese Entscheidung einerseits durch die Vergabebedingungen geregelt und andererseits liege es allein in der Entscheidung des Bieters, ob er diesen Preis akzeptieren möchte oder nicht. Diese Entscheidung des Bieters stelle keine Angebotsänderung oder unzulässige Verhandlung dar, weil dieser damit weder seine Position in der Rangfolge noch den Bestpreis ändern kann.
Die Entscheidung des EuGH gibt den öffentlichen Auftraggebern eine weitere Möglichkeit der Modifizierung der Losvergabe (und der Loslimitierung) an die Hand. Der kreative Ansatz, den der EuGH bestätigt hat, ermöglicht den Vergabestellen, die Anbieter (weiter) zu diversifizieren und gleichzeitig wenige oder gar keine Abstriche bei der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung hinnehmen zu müssen. Insbesondere bei gleichartigen Losen, die in Regionallose aufgeteilt werden müssen (wie z. B. Postdienstleistungen), eröffnen sich für die Auftraggeber hier interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Gestaltung wie im vorliegenden Fall kann aber nur dann erfolgen, wenn es sich um gleichartige Leistungen handelt, auf die die Preise eines anderen Bieters übertragen werden können. Daneben bietet ein solches Verfahren aber auch unterlegenen Bietern eine weitere Chance auf Teile des Auftrags, wenn sie – nach freier Wahl – den Preis des wirtschaftlichsten Angebots akzeptieren. Dies mag im Einzelfall interessant sein, um zumindest noch „ein Stück vom Kuchen“ zu erhalten.
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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