OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2017 – Az. I-27 U 25/17
Sachverhalt
Eine Auftraggeberin („Ag“) beabsichtigt, einem Verein eine in ihrem Eigentum stehende Teilfläche des ehemaligen Freibadgeländes von etwa 10.500 m² zu überlassen.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2017 – Az. I-27 U 25/17
Eine Auftraggeberin („Ag“) beabsichtigt, einem Verein eine in ihrem Eigentum stehende Teilfläche des ehemaligen Freibadgeländes von etwa 10.500 m² zu überlassen. Der Verein soll die auf dem Gelände vorhandenen Freizeitanlagen ausbauen und unterhalten und der Öffentlichkeit im Wesentlichen unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Hiergegen geht die Antragstellerin („ASt“) vor. Sie ist der Auffassung, die Ag müsse vor Abschluss eines derartigen Überlassungsvertrags mit dem Verein ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren durchführen. Sie beantragt deshalb, der Ag im Wege einer einstweiligen Verfügung zu untersagen, ohne vorherige Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens Verträge über die Vermietung, Verpachtung oder unentgeltliche Nutzungsüberlassung von Teilflächen des Geländes des ehemaligen Freibades zum Betrieb von verschiedenen Freizeitaktivitäten abzuschließen.
Das Landgericht weist den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Hiergegen richtet sich die Berufung der ASt, über die das OLG Düsseldorf zu entscheiden hat.
Die Berufung der ASt hat keinen Erfolg. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist – so das OLG Düsseldorf – unzulässig, da das Rechtsschutzinteresse fehlt. Die ASt habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, ein eigenes Interesse am Vertragsschluss zu haben.
Allerdings hätte es nach Auffassung des OLG Düsseldorf der Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens bedurft. Bei der Überlassung des Grundstücks handele es sich um eine Dienstleistungskonzession, da die Ag als öffentliche Auftraggeberin Dienstleistungen in Form von Freizeitmöglichkeiten für ihre Bürger und Besucher beschafft, wobei die Verwaltung und Instandhaltung der Anlage durch den Betreiber erfolgt, der in erheblichem Umfang das Betriebsrisiko trägt. Auch unterhalb der Schwellenwerte und unterhalb einer Binnenmarkrelevanz erfordere der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG, derartige Verträge in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren zu vergeben.
Bei Verstößen hiergegen stehe dem betroffenen Bieter oder Bewerber der Zivilrechtsweg offen, um im Wege einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ein Zuschlagsverbot zu erwirken. Ist, wie im Streitfall, der Zuschlag bereits erteilt, fehle es allerdings regelmäßig an einem Verfügungsgrund, da Primärrechtsschutz nicht mehr erreicht werden könne. Anderes gelte nur dann, wenn der geschlossene Vertrag unwirksam oder nichtig ist.
Eine Vertragsnichtigkeit könnte allerdings daraus resultieren, dass die Ag die ASt weder über den beabsichtigten Vertragsschluss informiert noch im Anschluss hieran eine angemessene Wartefrist eingehalten hat. Es sprechen – so das OLG Düsseldorf – gewichtige Gründe dafür, auch im Unterschwellenbereich die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht durch den öffentlichen Auftraggeber zu verlangen. Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union fordern die gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedsstaaten und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers. Dieser vollständige Rechtsschutz verlange, sämtliche Bieter vor Abschluss eines Vertrages von der Zuschlagsentscheidung zu unterrichten. Ein vollständiger Rechtsschutz verlange auch, dass zwischen der Unterrichtung abgelehnter Bieter und der Unterzeichnung des Vertrags eine angemessene Frist liegt, innerhalb der für den Bieter ein vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn er für die volle Wirksamkeit der Entscheidung in der Sache erforderlich sei. Im nationalen Recht sei dies ebenfalls in einigen Rechtsgebieten anerkannt. So habe schon vor Einführung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Beamten- und Richterbeförderungen die Informations- und Wartepflicht beachtet werden müssen. Zur Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen habe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zudem entschieden, dass effektiver Primärrechtsschutz es gebietet, mindestens zwei Wochen nach Information der Bewerber über den Ausgang des Auswahlverfahrens abzuwarten, bevor mit dem ausgewählten Bewerber der Vertrag geschlossen wird.
Führe man diese Grundsätze nach Auffassung des OLG Düsseldorf konsequent fort, müsste ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden. Nur so könne ein effektiver Rechtsschutz sichergestellt werden.
Das obiter dictum des OLG Düsseldorf hinsichtlich der Informations- und Wartepflicht überzeugt nicht. Für den Oberschwellenbereich ergibt sich die Informations- und Wartepflicht aus dem GWB. Für den Unterschwellenbereich existiert eine solche Bestimmung schlichtweg nicht. Das OLG Düsseldorf setzt sich darüber hinweg und verweist auf einen „Verstoß gegen ein ungeschriebenes Gesetz“. In der Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, dass ein „ungeschriebenes Gesetz“ kein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB sein kann (Wendtland, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, 45. Edition 2017, § 134 BGB Rn. 7).
Zudem muss die Existenz des vorgeblichen „ungeschriebenen Gesetzes“ bezweifelt werden. Für einen effektiven Rechtsschutz ist eine Informations- und Wartepflicht vor Vertragsschluss jedenfalls nicht zwingend erforderlich, da der Vertragsschluss im Wege des Sekundärrechtsschutzes gerichtlich überprüft werden kann. Insofern überzeugt auch der Verweis des OLG Düsseldorf auf die Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union nicht.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung aufgrund des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist. Das OLG Düsseldorf kann deshalb nicht ohne weiteres auf ein „ungeschriebenes Gesetz“ verweisen.
Im Ergebnis erscheint es zweifelhaft, dass sich die Auffassung des OLG Düsseldorf in der Rechtsprechung durchsetzen wird.
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