VK Südbayern
Die VK Südbayern hat sich in ihrem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 03.05.2021 (3194.Z3-3_01-21-26, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link) mit der praxisrelevanten Fragestellung auseinandergesetzt, inwieweit für die Vergabenachprüfungsinstanzen eine Rechtsgrundlage existiert, um die weitere Durchführung eines (möglicherweise) unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens geschlossenen Vertrages (einstweilen) zu untersagen. Wir wollen Sie im Folgenden an den Erwägungen der VK Südbayern teilhaben lassen.
Die Auftraggeberin erteilte der späteren Antragstellerin nach Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens am 17.11.2020 den Zuschlag für Tiefbauarbeiten hinsichtlich des Bauvorhabens A.
Mit Schreiben vom 01.03.2021 kündigte die Auftraggeberin der Antragstellerin jedoch den Auftrag und begründete dies damit, dass mit einer vollständigen Leistungserbringung bis zum vertraglichen Fertigstellungstermin nicht zu rechnen sei und die Antragstellerin trotz Aufforderung mit Fristsetzung und Kündigungsandrohung ihre Kapazitäten nicht erhöht habe.
Mit Schreiben vom 29.03.2021 beauftragte die Auftraggeberin die spätere Beigeladene mit den Resttiefbauarbeiten des Bauvorhabens A. Die Beigeladene hatte zuvor von der Auftraggeberin nach Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens den Auftrag über die Ausführung von Tiefbauarbeiten bezüglich des Bauvorhabens B erhalten. Die Auftraggeberin beauftragte die Tiefbauarbeiten zum Bauvorhaben A als Nachtrag zu dem ursprünglichen Auftrag der Beigeladenen mit den Tiefbauarbeiten bezüglich des Bauvorhabens B.
Am 22.04.2021 rügte die Antragstellerin die Vergabe der streitgegenständlichen Leistungen an die Beigeladene zunächst erfolglos gegenüber der Auftraggeberin und stellte am 26.04.2021 einen Nachprüfungsantrag bei der VK Südbayern. Darin beantragte sie – neben der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens hinsichtlich der Vergabe der restlichen Tiefbauarbeiten im Bauvorhaben A –, der Auftraggeberin zu untersagen, den Vertrag mit der Beigeladenen über die Tiefbauarbeiten im Rahmen des Bauvorhabens A bis zu einer Entscheidung über den Nachprüfungsantrag weiter zu vollziehen. Zur Begründung führte die Antragstellerin insbesondere aus, dass der Vertrag zwischen der Auftraggeberin und der anderen Firma über die Tiefbauleistungen hinsichtlich des Bauvorhabens A eine unzulässige Direktvergabe darstelle.
Entscheidung der VK Südbayern: Dem Antrag, die Vertragsdurchführung vorläufig zu untersagen, kann nicht stattgegeben werden!
Zunächst sei bereits unklar, so die VK Südbayern, ob der konkrete, von der Antragstellerin gestellte Antrag nach § 169 Abs. 3 GWB, die Vertragsdurchführung vorläufig zu untersagen, überhaupt statthaft sei. Denn der Wortlaut des § 169 Abs. 3 GWB gestatte einen Eingriff mit vorläufigen Maßnahmen nur in ein Vergabeverfahren, nicht aber in die Vertragsdurchführung.
Nach § 169 Abs. 3 GWB könne die Vergabekammer auf besonderen Antrag mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen, wenn Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 6 GWB im Vergabeverfahren auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet seien. Die Vorschrift gelte damit nach ihrem klaren Wortlaut nur in einem Vergabeverfahren und erlaube entsprechend nur Einwirkungen auf ein Vergabeverfahren. Im vorliegenden Fall laufe aber gerade kein Vergabeverfahren, sondern die Auftraggeberin habe die Beigeladene, die auf der Baustelle des Bauvorhabens B der Auftraggeberin Tiefbauarbeiten durchführe bzw. durchgeführt habe, über einen entsprechenden Nachtrag mit den Leistungen hinsichtlich des Bauvorhabens A beauftragt. Diese Leistungen würden derzeit ausgeführt.
§ 169 Abs. 3 GWB biete, so die VK Südbayern weiter, keine Rechtsgrundlage, um die Durchführung eines geschlossenen Vertrags, der möglicherweise unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens geschlossen worden sei, zu untersagen. Da das GWB auch in den weiteren Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren keinen Rechtsschutz vor der Vergabekammer gegen den faktischen Vollzug vergaberechtswidrig abgeschlossener Verträge vorsehe, müsse die Antragstellerin eine einstweilige Verfügung vor den ordentlichen Gerichten beantragen. Deren Erfolgsaussichten würden dann unter anderem von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens vor der Vergabekammer abhängen.
Allerdings spreche, so die VK Südbayern, viel dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der derzeitigen Fassung des § 169 Abs. 3 GWB bzw. der fehlenden Möglichkeit, überhaupt vor den Nachprüfungsinstanzen gegen einen faktischen Vollzug eines öffentlichen Auftrags mit vorläufigen Maßnahmen vorzugehen, Art. 2 Abs. 1 Ziffer a) der Rechtsmittelrichtlinie (2007/66/EG) unzureichend umgesetzt habe. Art. 2 Abs. 1 Ziffer a) der Richtlinie 2007/66/EG verpflichte die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass für Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse vorgesehen würden, um den behaupteten Verstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern. Dazu gehörten auch Maßnahmen, um das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags oder die Durchführung jeder sonstigen Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen. Da diese Vorgaben auch für Nachprüfungsverfahren nach Art. 2d der Richtlinie 2007/66/EG gelten, müssten die deutschen Nachprüfungsinstanzen, so die VK Südbayern, die Befugnis haben, die Durchführung von sonstigen Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers, wie z. B. eine Bedarfsdeckung durch faktischen Vollzug eines unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahrens geschlossenen Vertrags, vorläufig bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens zu untersagen. Es laufe dem Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes zuwider, wenn ein öffentlicher Auftraggeber, der einen Vertrag unter Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines EU-weiten Vergabeverfahren geschlossen habe, diesen während des laufenden Nachprüfungsverfahrens vollständig ausführen könne, ohne dass die Nachprüfungsinstanzen dies im Einzelfall untersagen könnten. Sei der Beschaffungsbedarf einmal vollständig gedeckt, laufe die Sanktion der Nichtigkeitsfeststellung des Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 GWB ins Leere. Zudem sei in einem solchen Fall auch Schadensersatz für den Antragsteller kaum zu erlangen, wenn er kein Angebot habe abgeben dürfen. Der Vergaberechtsschutz laufe damit letztlich komplett leer.
Allerdings wende sich Art. 2 Abs. 1 Ziffer a) der Richtlinie 2007/66/EG ausschließlich an die Mitgliedstaaten, so dass es eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV bedürfe, um zu klären, ob § 169 Abs. 3 GWB gegen seinen Wortlaut richtlinienkonform so ausgelegt werden könne bzw. müsse, dass mit der Gefährdung von Rechten im Vergabeverfahren in § 169 Abs. 3 GWB nicht allein gemeint sei, dass Rechte der Antragstellerin in einem noch laufenden Vergabeverfahren gefährdet sein müssten, sondern dass diese Rechte auch durch ein unzulässigerweise durch Zuschlag beendetes Vergabeverfahren, d. h. durch die Durchführung eines Vertrags, gefährdet werden könnten.
Die VK Südbayern konnte auf eine Vorlage dieser Frage an den EuGH allerdings verzichten, da der Antrag nach § 169 Abs. 3 GWB unbegründet war und es daher auf die Klärung dieser Frage nicht ankam.
Aus der Entscheidung der VK Südbayern folgt, dass ein Eingriff mit vorläufigen Maßnahmen nach § 169 Abs. 3 GWB nur in ein Vergabeverfahren, nicht aber in die Vertragsdurchführung zulässig ist und auch keine sonstige Rechtsgrundlage für ein entsprechendes Einschreiten besteht. Auch wenn mit der VK Südbayern gute Gründe dafür sprechen, dass diese zu Lasten des Wettbewerbs bestehenden Rechtsschutzlücke in richtlinienkonformer Auslegung von § 169 Abs. 3 GWB geschlossen werden kann und muss, konnte die VK Südbayern vorliegend – mangels Entscheidungserheblichkeit – auf die Vorlage der Frage an den EuGH verzichten. Insoweit bleibt abzuwarten, wann die entsprechende Frage dem EuGH vorgelegt werden und wie er sich dann in dieser Frage positionieren wird.
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