§ 122 Abs. 4 S. 2 GWB stellt den – will man meinen – eindeutigen Rechtsgrundsatz auf, dass Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen sind.
Auch wenn der Gesetzeswortlaut dies ersichtlich nicht hergibt, sind Eignungskriterien nach der Rechtsprechung auch dann wirksam aufgestellt, wenn interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken eines Links zu einem gesonderten Dokument gelangen können, das die Eignungskriterien enthält. Der Vergabesenat beim OLG Dresden erweitert diese Ausnahme um eine weitere Konstellation.
SACHVERHALT
Ein Auftrag über Leistungen im grenzüberschreitenden Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sollte im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Die Auftraggeber machten von der durch § 38 Abs. 4 und 5 VgV eröffneten Möglichkeit Gebrauch, nach einer im EU-Amtsblatt veröffentlichten Vorinformation alle Unternehmen, die auf die Vorinformation ihr Interesse an dem Auftrag bekundet hatten, zur Bestätigung ihres Interesses aufzufordern. Eine Auftragsbekanntmachung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Anstatt mit einer Auftragsbekanntmachung wird ein Teilnahmewettbewerb mit der Aufforderung zur Interessensbestätigung eingeleitet.
In dem vom OLG Dresden entschiedenen Fall versandten die Auftraggeber ein Schreiben an die interessierten Unternehmen, mit dem diese ausdrücklich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen aufgefordert wurden. Dieses Schreiben enthielt den Hinweis, jedoch keinen Link auf ein gesondertes Dokument, das als „Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen“ gekennzeichnet wurde. In diesem Dokument waren die mit dem Teilnahmeantrag einzureichenden Unterlagen aufgeführt. Das an die interessierten Unternehmen gerichtete Schreiben enthielt ferner einen Link auf eine Internetplattform, unter der die Vergabeunterlagen einschließlich des Dokuments „Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen“ nach einer Anmeldung mit zugewiesenen Zugangsdaten heruntergeladen werden konnten. In diesem Dokument wurde auch definiert, dass ein Bewerber als technisch leistungsfähig gelte, wenn anzunehmen sei, dass er über die speziellen Sachkenntnisse verfügt, die zur Durchführung der SPNV-Leistungen in dem Netz, das Gegenstand des zu vergebenden Auftrags war, erforderlich sind. Bewerber mussten zur Prüfung ihrer technischen bzw. fachlichen Leistungsfähigkeit mit dem Teilnahmeantrag entweder Referenzen über die vom Bewerber selbst in den letzten drei Jahren erbrachten Leistungen im SPNV mit Angaben zum Umfang der jeweiligen Leistungen, der Leistungszeit sowie der öffentlichen oder privaten Auftraggeber nachweisen oder alternativ dazu eine Darstellung der Erfahrung des Personals mit der Erbringung von Leistungen im SPNV. Mit einer Antwort auf eine Bewerberfrage erklärten die Auftraggeber, dass sich die als alternativer Nachweis zugelassene Darstellung der Erfahrung des Personals nicht auf das für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Personal beschränken könne.
Vielmehr müsse sie alle relevanten Leistungsbereiche umfassen. Es obliege dem Bewerber, die Darstellung so detailliert zu gestalten, dass die Auftraggeber beurteilen können, ob die erforderlichen speziellen Sachkenntnisse bei ihm vorliegen.
Antragstellerin und Beigeladene qualifizierten sich im Teilnahmewettbewerb und reichten fristgemäße Angebote ein, über die verhandelt wurde. Die Prüfung und Wertung der endgültigen Angebote ergab, dass das Angebot der Beigeladenen für den Zuschlag vorgesehen war. Die Antragstellerin machte mit ihrem gegen die vorab mitgeteilte Zuschlagsentscheidung gerichteten Nachprüfungsantrag u. a. geltend, dass die Beigeladene nicht die erforderliche Eignung zur Erbringung der auftragsgegenständlichen Leistungen aufweise. Tatsächlich hatte die Beigeladene keine Referenzen nachgewiesen, sondern sich auf die Erfahrung ihres Personals berufen. Die positive Eignungsprüfung begründeten die Auftraggeber damit, dass bei der Beigeladenen die erforderlichen speziellen Sachkenntnisse in der Person des Eisenbahnbetriebsleiters vorhanden seien. Die Vergabekammer hielt diese Einschätzung in Anbetracht der Festlegung, dass es bei der Eignungsprüfung nicht nur auf das Leitungspersonal ankomme, sondern auf alle relevanten Leistungsbereiche, für beurteilungsfehlerhaft und gab dem Nachprüfungsantrag statt.
Gegen diese Entscheidung erhob die Beigeladene fristgemäß sofortige Beschwerde zum OLG Dresden und machte nunmehr geltend, dass die Eignungskriterien nicht wirksam bekannt gemacht worden seien. Was die materielle Eignungsprüfung und -beurteilung betreffe, habe die Vergabekammer in unzulässiger Weise in den Beurteilungsspielraum der Auftraggeber eingegriffen.
ENTSCHEIDUNG
Der Vergabesenat beim OLG Dresden folgte der Argumentation der Beigeladenen mit ihrem Beschluss vom 15. Februar 2019 (Verg 5/18) nicht. Die Eignungskriterien seien wirksam bekannt gemacht worden. Der Senat bewertete das ursprünglich an die interessierten Unternehmen gerichtete Schreiben als Aufforderung zur Interessensbestätigung, mit dem die Auftraggeber ausdrücklich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen aufforderten. Dieses Schreiben enthielt zwar die Eignungskriterien entgegen § 122 Abs. 4 S. 2 GWB nicht, nach der Rechtsprechung erfülle aber auch eine konkrete Verlinkung auf ein elektronisch ohne Weiteres zugängliches Dokument, aus dem sich die Eignungsanforderungen ergeben, die Anforderungen des § 22 Abs. 4 S. 2 GWB. Der Senat verwies hierbei insbesondere auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 11.07.2018 – Verg 24/18, und Beschluss vom 16.11.2011 – Verg 60/11), wonach es unproblematisch sei, solange am Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken auf ein Formblatt gelangen könnten, aus dem die Eignungsanforderungen hervorgingen. Auch das OLG München habe dies nicht von vornherein ausgeschlossen (Beschluss vom 27.07.2018 – Verg 02/18).
Nicht anders liege der zu entscheidende Fall. Dabei halte es der Senat nicht für entscheidend, ob der Zugang zu dem Dokument mit der Darstellung der Eignungsanforderungen einen Klick oder mehrere erfordere; auch die notwendige Anmeldung des Interessenten auf einer Internetplattform mittels Benutzernamen und Passwort stelle kein vergaberechtlich relevantes Hindernis dar, solange nur der Text gemäß § 122 Abs. 4 S. 2 GWB selbst das elektronische Dokument konkret bezeichne, das die bekannt zu machenden Informationen enthalte. Schließlich seien die Eignungskriterien auch der Beigeladenen nicht unbekannt geblieben.
Die insoweit wirksam bekannt gemachten Eignungskriterien hätten die Auftraggeber beurteilungsfehlerhaft angewendet, weil sie bei der Beurteilung der technischen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen entgegen der Information, die sie auf die entsprechende Bewerberfrage gaben, nur auf drei benannte Mitarbeiter der Beigeladenen abstellten. Notwendig wäre vielmehr eine Darstellung gewesen, aus der sich ergeben hätte, dass die Beigeladene über die Personalressourcen mit den erforderlichen Kenntnissen rechtssicher verfügt, sodass eine reibungslose Leistungserbringung zu erwarten gewesen wäre. Eine solche Erwartung nur auf drei Personen zu stützen, halte der Senat geradezu für „verwegen“.
BEWERTUNG UND PRAXISTIPP
Die Entscheidung des OLG Dresden ist im Ergebnis und in seiner Begründung zweifelhaft.
Die Einschätzung des Senats, nach der die technische Leistungsfähigkeit der Beigeladenen nicht beurteilungsfehlerfrei allein aufgrund der eingereichten Nachweise für die auftragsgegenständlichen Leistungen festgestellt werden durfte, überzeugt nicht. Es ist jedenfalls anhand des mitgeteilten Sachverhalts nicht eindeutig, dass die Auftraggeber die Grenzen ihres „beträchtlichen“ (OLG Dresden) Beurteilungsspielraums überschritten haben. Indem die Auftraggeber in der Antwort auf eine Bewerberfrage mitteilten, dass die Darstellung der Sachkenntnisse des Personals des Bewerbers alle relevanten Leistungs-bereiche umfassen müsse, wurde keine Festlegung hinsichtlich einer bestimmten Mindestzahl an Mitarbeitern getroffen. Insoweit ließ es die in den Vergabeunterlagen definierte und mit der Antwort auf die Bewerberfrage weiter erläuterte Eignungsanforderung durchaus zu, die Darstellung auch auf eine vergleichsweise geringe Zahl an Mitarbeitern zu begrenzen, solange diese Erfahrungen in „allen relevanten Leistungsbereichen“ nachweisen konnten. Auch war es nicht eindeutig fehlerhaft, die Beigeladene als technisch leistungsfähig anzusehen, obwohl ihre Mitarbeiter offenbar nicht über Erfahrungen im grenz-überschreitenden Verkehr verfügten. Hierzu gab es keine Mindestanforderung in den Vergabeunterlagen.
Am wenigsten vermag der Senat aber zu überzeugen, wenn er versucht zu begründen, dass die Eignungskriterien im entschiedenen Fall wirksam bekannt gemacht worden seien. Zwar zeichnet er die bislang ergangene Rechtsprechung, insbesondere des OLG Düsseldorf zur „Verlinkungsproblematik“ im Ausgangspunkt zutreffend nach, die Übertragung auf den zu entscheidenden Fall misslingt aber. Denn nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf macht es durchaus einen Unterschied, ob der Zugang zu dem Dokument mit der Darstellung der Eignungsanforderungen einen oder mehrere Klicks erfordert und ob eine Anmeldung des Interessenten auf einer Internetplattform mittels Benutzernamen und Passwort notwendig ist. Die Aufforderung zur Interessensbestätigung enthielt gerade kein unmittelbar verlinktes Dokument, in dem die Eignungsanforderungen aufgeführt waren. Die Unternehmen mussten sich vielmehr „durchklicken“, bis sie zu dem relevanten Dokument gelangten. Dieser Aufwand steht der Annahme entgegen, dass die Eignungsanforderungen „ohne Weiteres zugänglich“ sind. Von einem „bloßen Anklicken“ konnte in dem entschiedenen Fall daher kaum gesprochen werden. Der Senat geht insoweit deutlich über die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf hinaus, indem er es genügen lässt, dass das relevante Dokument, in dem die Eignungskriterien aufgeführt sind, in der Aufforderung zur Interessensbestätigung konkret bezeichnet wird. Er wendet damit erkennbar einen abweichenden Rechtssatz an, was eine Divergenzvorlage zum BGH nach § 179 Abs. 2 GWB erfordert hätte (BGH, Beschluss vom 31.01.2017 – X ZB 10/16). Eine Vorlage zum BGH hätte diesem auch die Gelegenheit eröffnet, die ebenfalls nicht unumstrittene Frage einer bundesweiten Klärung zuzuführen, ob ein verlinktes Dokument überhaupt geeignet sein kann, die Anforderungen des § 122 Abs. 4 S. 2 GWB zu erfüllen. Auch das erscheint angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts („Sie sind […] aufzuführen.“) nicht zweifelsfrei.
Auftraggebern bleibt nach wie vor als den sichersten Weg zu empfehlen, dem Gesetzeswortlaut folgend alle Eignungskriterien und Eignungsnachweise in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. Grenzen des Beurteilungsspielraums können rechtssicher durch eindeutig formulierte Mindestanforderungen an die Eignung gezogen werden. Ob und inwieweit derartige Mindestanforderungen aus Wettbewerbsgründen zweckmäßig sind, ist eine andere, einzelfallbezogen zu beantwortende Frage. Bieter und Bewerber machen, wie die Beigeladene, im entschiedenen Fall vieles richtig, wenn sie nicht eindeutig formulierte Eignungskriterien hinterfragen und wenn sie bei Bedarf von den Möglichkeiten einer Eignungsleihe Gebrauch machen, um ihrerseits auf Nummer sicher zu gehen.
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