Beschluss vom 28. Januar 2025 – VK 2-109/24
Wieder einmal scheitert eine Direktvergabe an ein bestimmtes Unternehmen in Form eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb vor der Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 28. Januar 2025 – VK 2-109/24) an den sehr hohen gesetzlichen Hürden. Diesmal hatte der öffentliche Auftraggeber zwar bei der Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts alles richtig gemacht, allerdings die strengen Anforderungen an die erforderliche Markterkundung nicht erfüllt. Diese muss belegen, dass zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung nur ein bestimmtes Unternehmen objektiv in der Lage ist, den Auftrag zu erfüllen. Wichtig dabei ist, nicht nur die aktuellen Marktverhältnisse in den Blick zu nehmen, sondern in einer Prognose auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass alternative Anbieter durch Adaption oder Innovation ihrer bisherigen Produkte ihre Leistungsfähigkeit bis zum Zeitpunkt der eigentlichen Leistungserbringung noch herstellen könnten. Die alternativen Anbieter müssen dafür sogar aktiv konsultiert werden.
Die öffentlichen Auftraggeber (Krankenkassen) beabsichtigten die Direktvergabe eines Auftrags für eine Plattform für dermatologische Telekonsultationen im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV an ein bestimmtes Unternehmen. Über diese Plattform sollen die Versicherten über eine Applikation orts- und zeitunabhängig eine Anfrage an einen Dermatologen stellen können, der innerhalb von 48 Stunden eine fachärztliche Befundung samt Therapieempfehlung und gegebenenfalls eine Verordnung ausstellt.
Vor der Direktvergabe veröffentlichten die Auftraggeber eine EU-weite Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung gemäß § 135 Abs. 3 GWB. Zur Begründung für die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb führten sie an, dass nur das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen den Auftrag aus technischen Gründen erbringen könne und somit kein Wettbewerb bestehe. Ein Wettbewerber wurde durch die Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung auf den Vorgang aufmerksam und stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag, da es sich selbst als potenziellen Bieter für den Auftrag sah. Beide Anbieter betreiben jeweils Applikationen mit ähnlichem Leistungsumfang, jedoch mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen: während das für den Zuschlag vorgesehene Unternehmen seine Applikation bundesweit niedergelassenen Ärzten zur Verfügung stellt, die ihrerseits eine Weiterbehandlung nach der telemedizinischen Begutachtung ermöglichen, arbeitet der Wettbewerber mit einem Team aus 22 festangestellten Fachärzten, die nicht alle kassenärztlich zugelassen sind. Dementsprechend erfolgt dort zunächst eine Online-Beratung über einen der festangestellten Fachärzte, im Bedarfsfall spricht dieser dann eine Empfehlung an einen anderen niedergelassenen Arzt in räumlicher Nähe zum jeweiligen Patienten aus.
Die Vergabekammer des Bundes musste klären, ob die Voraussetzungen für eine Direktvergabe ohne Teilnahmewettbewerb nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV tatsächlich erfüllt waren oder ob die Auftraggeber zu Unrecht von einem fehlenden Wettbewerb ausgegangen waren.
Die Vergabekammer des Bundes gab dem Nachprüfungsantrag statt.
Sie bestätigte zunächst, dass öffentliche Auftraggeber hinsichtlich der Bestimmung des Beschaffungsgegenstandes grundsätzlich frei sind (sog. Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers). Die Leistungsbestimmung muss lediglich willkür- bzw. diskriminierungsfrei erfolgen und aus sachlichen und auftragsbezogenen Gründen gerechtfertigt sein.
Vor diesem Hintergrund hätten die Auftraggeber den Beschaffungsgegenstand hier sachgemäß definiert und die Auftragsparameter nicht künstlich eingeschränkt. Ein Verstoß gegen § 31 Abs. 6 und § 14 Abs. 6 VgV liege daher nicht vor.
Die Auftraggeber hätten – im Ergebnis zurecht – für die zu beschaffende Applikation vorausgesetzt, dass darüber mehr als 300 frei auswählbare, kassenärztlich zugelassene und niedergelassene Dermatologen in Deutschland für den digitalen Haut-Check und eine mögliche Weiterbehandlung verfügbar sein müssen. Damit sollte die nahtlose und bruchfreie Versorgung der Versicherten und die freie Arztwahl gewährleistet werden. Die Auftraggeber hätten zudem an die vorhandenen Strukturen der niedergelassenen dermatologischen Praxen anknüpfen wollen, anstatt parallele Strukturen aufzubauen, die möglicherweise zu Schließungen von Hautarztpraxen und Mehrkosten für die Krankenkassen führen würden.
Hierin sah die Vergabekammer auftragsbezogene Gründe, die die Entscheidung für eine Applikation mit Anbindung an niedergelassene Ärzte sachlich decken. Dass auch der Alternativanbieter eine kompetente Beratung durchführen könne oder andere Krankenkassen ihren Beschaffungsbedarf anders bestimmt haben, führe nicht dazu, dass sich die öffentlichen Auftraggeber einen Beschaffungsgegenstand – die digitale ärztliche Beratungsleistung durch einen nicht niedergelassenen Arzt – aufdrängen lassen müssten.
Vor diesem Hintergrund sei auch die konkrete Zahl von 300 niedergelassenen Ärzten, die dem Netzwerk des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters entspricht, nicht zu beanstanden, da auch damit an den sachgemäßen Beschaffungsgegenstand angeknüpft werde. Es sei nachvollziehbar, dass eine hinreichende Anzahl an Ärzten erforderlich ist, um eine entsprechende Versorgung zu gewährleisten, so die VK Bund.
Das Leistungsbestimmungsrecht sei daher zwar korrekt ausgeübt worden, allerdings seien die Voraussetzungen für das gewählte Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV nicht gegeben.
Die Norm verlangt für die Zulässigkeit einer Direktvergabe, dass der öffentliche Auftraggeber, der sich darauf berufen will, anhand einer hinreichend dokumentierten Markterkundung nachweisen müsse, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Auftrag objektiv nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann.
Die nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV erforderliche Prognose, dass zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe nur ein Unternehmen die nachgefragte Leistung liefern kann, sei vorliegend aufgrund einer lediglich auf Internetrecherche basierten Markterkundung nicht möglich. Die Internetrecherche vermittele per se keine Erkenntnisse, ob und wie die am Markt tätigen Unternehmen ihr im Internet allgemein offeriertes Portfolio auf einen spezifischen Bedarf hin adaptieren können. Vielmehr werde anderen Marktteilnehmern auf diese Weise die Möglichkeit genommen, eine den Beschaffungsbedarf abdeckende Lösung bis zum avisierten Zeitpunkt des Vertragsbeginns entwickeln und anbieten zu können.
§ 28 Abs. 1 VgV schreibe vielmehr explizit vor, dass eine vor Einleitung eines Vergabeverfahrens durchzuführende Markterkundung nicht nur der Vorbereitung der Auftragsvergabe auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers dient, sondern auch „zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen“ (in Form einer Marktkonsultation) zu erfolgen habe. Dadurch solle der Markt die Möglichkeit erhalten, sich frühzeitig auf den spezifischen Bedarf einzustellen und sich auf ein potenzielles Vergabeverfahren vorzubereiten. Dem seien die Auftraggeber mit der Internetrecherche nicht gerecht geworden. Bei der Durchführung der Marktkonsultation sei zu berücksichtigen, dass der auszuwählende Auftragnehmer die zur Leistungserbringung erforderlichen Mittel in der Regel und sofern der Auftrag es nicht ausnahmsweise anders erfordert, erst zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bzw. des Vertragsbeginns tatsächlich vorweisen müsse. Daher sei zu prüfen, ob und wie die am Markt tätigen Unternehmen ihr im Internet allgemein offeriertes Portfolio auf einen spezifischen Bedarf hin adaptieren könnten. Etwaig am Markt vorhandenes Innovationspotential könne sonst gar nicht identifiziert werden.
Im Ergebnis untersagte die Vergabekammer den Zuschlag, stellte jedoch fest, dass die Auftraggeber bei fortbestehender Beschaffungsabsicht an ihrem vergaberechtsgemäß definierten Beschaffungsgegenstand festhalten könnten – dann jedoch ein unionsweites wettbewerbliches Vergabeverfahren bekannt zu machen hätten.
„Verzichten Sie im Zweifel auf eine Direktvergabe wegen technischer Ausschließlichkeit“ – so könnte man die mittlerweile vorliegende Rechtsprechungspraxis prägnant zusammenfassen.
Mittlerweile gibt es kaum noch eine denkbare Fallkonstellation, in der eine Direktvergabe wegen technischer Ausschließlichkeit im Oberschwellenbereich als zulässig erachtet werden könnte. Die Rechtsprechung hat derartige Direktvergaben jedenfalls reihenweise gekippt. Zuletzt wurde die Voraussetzung aus § 14 Abs. 6 VgV in der Rechtsprechung schon so weit konkretisiert, dass die Prüfung auf fehlende „vernünftige Alternativen oder Ersatzlösungen“ ein „Suchen nach entsprechenden potenziellen Anbietern“ auf dem Markt, also eine aktive Marktkonsultation, erfordert (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 6. April 2024, 1 Verg 1/23). Der Versuch der hiesigen Auftraggeber, diese Voraussetzungen mit einer „internen“ Internetrecherche nachzuweisen, war also bereits zum Scheitern verurteilt: Sie ist nach Ansicht der VK Bund in dem aktuellen Nachprüfungsverfahren sogar „per se“ untauglich, weil sie keine Erkenntnisse vermittele, ob und wie die am Markt tätigen Unternehmen ihr im Internet allgemein offeriertes Portfolio auf einen spezifischen Bedarf hin adaptieren könnten. Die VK Südbayern war in ihrem Beschluss vom 5. Juni 2023 – 3194.Z3-3_01-22-54 noch nicht so weit gegangen.
Die jetzige Entscheidung der VK Bund flankiert dies nun auch auf der Zeitachse. Im Lichte des Wettbewerbsgrundsatzes nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB sei nämlich auch der – eigentlich zur Frage der unternehmerischen Eignung ergangene – Grundsatz zu beachten, dass die Leistungsfähigkeit eines anderen Anbieters grundsätzlich erst zum Vertragsbeginn bzw. dem Zeitpunkt der Leistungserbringung hergestellt sein müsse. Die Auftraggeber dürfen daher nicht nur die aktuellen Marktverhältnisse in den Blick nehmen, sondern müssen in einer Prognose auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass alternative Anbieter durch Adaption oder Innovation ihrer bisherigen Produkte ihre Leistungsfähigkeit bis zum Zeitpunkt der eigentlichen Leistungserbringung noch herstellen könnten. Zu dieser Feststellung bedarf es nach der VK Bund der Durchführung einer aktiven Marktkonsultation, um die Marktsituation im Hinblick auf den Beschaffungsbedarf sachgerecht und zuverlässig einschätzen zu können.
Um eine Direktvergabe wegen technischer Ausschließlichkeit begründen zu können, müssen sich die Auftraggeber demnach künftig auch mit den Anbietern auf angrenzenden bzw. vor- oder nachgelagerten Märkten beschäftigen und diese ggf. in einem Marktdialog nach ihrer Fähigkeit und Bereitschaft konsultieren, um das gewünschte Produkt oder die Leistung innerhalb des Zeitraums bis zum Vertrags- bzw. Leistungsbeginn entwickeln oder herbeiführen zu können. Die rechtssicherste (künftig vielleicht einzige?) Lösung dürfte dabei sein, die erforderliche Markterkundung selbst mit einer EU-weiten Bekanntmachung zu veröffentlichen. Die Vermeidung einer europaweiten Ausschreibung mittels Direktvergabe erzeugt also die Notwendigkeit einer europaweiten Marktkonsultation. Die Zeit, die man bei einer Direktvergabe vielleicht einzusparen gedenkt, würde spätestens hierfür wieder benötigt.
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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