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Schon vor der Vergaberechtsreform war es für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags grundsätzlich erforderlich, dass ein geltend gemachter Vergaberechtsverstoß rechtzeitig vom Antragsteller gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden war. Durch die Rügeobliegenheit, die in § 107 Abs. 3 GWB (a.F.) geregelt war, sollte nach der Intention des Gesetzgebers die Einleitung unnötiger Nachprüfungsverfahren und die taktische Spekulation mit Vergabefehlern zur Verzögerung von Auftragserteilungen verhindert werden. Auch nach der Vergaberechtsreform besteht eine solche Rügeobliegenheit. In § 160 Abs. 3 GWB heißt es nunmehr wörtlich:
„Der Antrag ist unzulässig, soweit
Satz 1 gilt nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Absatz 1 Nummer 2. § 134 Absatz 1 Satz 2 bleibt unberührt.“
Die Regelung entspricht weitestgehend der bisherigen Regelung in § 107 Abs. 3 GWB (a.F.). Die nachstehenden Ausführungen verdeutlichen jedoch, dass die Norm auch einige erhebliche Neuerungen mit sich bringt.
Insbesondere in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB findet sich eine wesentliche Neuerung. Dort wird mit „zehn Kalendertagen“ eine konkrete Frist vorgegeben, innerhalb derer der Antragsteller nach Erkennen den im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Verstoß im Vergabeverfahren gerügt haben muss. An einer solchen eindeutigen Frist hatte es vor der Vergaberechtsreform gefehlt. Stattdessen musste nach der alten Regelung „unverzüglich“ nach Kenntnis des (vorgeblichen) Vergaberechtsverstoßes gerügt werden. Hierbei war unter den Nachprüfungsinstanzen höchst umstritten, innerhalb welcher Zeitspanne eine Rüge noch „unverzüglich“ war. Die unterschiedlichen Auffassungen reichten von einem Kalendertag ab Kenntnis bis hin zu zwei Wochen. Richtigerweise hat deshalb auch der Europäische Gerichtshof eine ähnliche Regelung im britischen Recht heftig kritisiert und klargestellt, dass die Länge einer Ausschlussfrist für die Betroffenen nicht vorhersehbar ist, wenn sie in das Ermessen der zuständigen Nachprüfungsinstanz gestellt wird (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2010, Rs. C-406/08, Rn. 75). Mit der neuen Frist von „zehn Kalendertagen“ wird diese Rechtsunsicherheit beseitigt.
Leider ist die Formulierung in § 160 Abs. 3 GWB an anderer Stelle weniger eindeutig. Das betrifft insbesondere das Verhältnis der Fristenregelung in § 160 Abs. 3 GWB zu der Fristenregelung in § 134 GWB.
Nach § 134 GWB (vormals § 101a GWB) hat der öffentliche Auftraggeber die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. Dabei ist in § 134 Abs. 2 GWB geregelt, dass erst 15 Kalendertage nach Absendung der vorgenannten Information (bzw. zehn Kalendertage bei Versendung auf elektronischem Weg oder per Fax) ein Vertrag mit dem vorgesehenen Bieter geschlossen werden darf.
In § 160 Abs. 3 GWB ist nunmehr lediglich klargestellt, dass die Frist nach § 134 Abs. 2 GWB der Frist aus § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB vorgeht. Denn in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB heißt es ausdrücklich:
„der Ablauf der Frist nach § 134 Absatz 2 bleibt unberührt“.
Wenn also beispielsweise ein öffentlicher Auftraggeber eine Vorabinformation im Sinne von § 134 Abs. 1 GWB per Fax an einen Bieter versendet und dieser Bieter infolge dieser Vorabinformation vier Tage später Kenntnis von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften erlangt, dann verbleiben dem Bieter ab dieser Kenntnis keine zehn Kalendertage mehr zur rechtzeitigen Rüge des Verstoßes. Denn der Auftraggeber darf bereits zehn Kalendertagen nach Absendung (!) der Vorabinformation den Zuschlag erteilen. Der Bieter muss also rechtzeitig vor der möglichen Zuschlagserteilung den erkannten Vergaberechtsverstoß rügen. Denn wenn er dies nicht tut, läuft seine spätere Rüge ins Leere, da ein wirksam erteilter Zuschlag nach § 168 Abs. 2 S. 1 GWB dazu führt, dass ein Nachprüfungsantrag nicht mehr statthaft ist.
An einer solchen Klarstellung fehlt es leider in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB. In der Literatur wird deshalb teilweise die Schlussfolgerung gezogen, dass ein öffentlicher Auftraggeber zwingend die Frist aus § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB abwarten muss, bevor er den Zuschlag erteilen darf, selbst wenn die Frist nach § 134 Abs. 2 GWB bereits abgelaufen ist (Krist, VergabeR 2016, 396). Es darf bezweifelt werden, ob dies tatsächlich die Intention des Gesetzgebers war. In der Tat kann man sich aber fragen, warum der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die klarstellende Formulierung in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB bezüglich des Verhältnisses zu § 134 Abs. 2 GWB auch in § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 GWB zu übernehmen.
Im Ergebnis ist zu vermuten, dass in Kürze vor den Vergabenach-prüfungsinstanzen über das Verhältnis dieser Normen zueinander gestritten wird.
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