VK Westfalen
Dass sich viele rechtliche Probleme nicht – wie zunächst erhofft – mit der Einführung der eVergabe erübrigt haben, sondern sich insoweit schlicht der „Schauplatz“ verlagert hat, zeigen die vielen Entscheidungen der Vergabenachprüfungsinstanzen zur form- und fristgerechten Übermittlung von Angeboten über die Vergabeplattform, aber auch zur (Un-)Wirksamkeit von über die Vergabeplattform versandten Nachrichten. Der vorläufige Höhe- bzw. Tiefpunkt – je nach Sichtweise – in der Kategorie „Nachrichtenübermittlung“ wurde mit dem Beschluss der VK Südbayern vom 29.03.2019 (Z3-3-3194-1-07-03/19, abrufbar unter folgendem Link) erreicht, wonach die Bereitstellung der Vorabinformation über die Vergabeplattform nicht den Anforderungen an das Versenden einer Information in Textform im Sinne von § 134 GWB genüge. Nachdem es im Nachgang rund zwei Jahre ruhig an der entsprechenden „Front“ war, geht es nun „Schlag auf Schlag“. Zunächst stellte die VK Saarland mit Beschluss vom 22.03.2021 (1 VK 06/2020, Leitsätze abrufbar unter folgendem Link; wir berichteten bereits ausführlich im Blog-Beitrag vom 19.04.2021) fest, dass eine wirksame Vorabinformation über die Vergabeplattform (doch) möglich sei. Nur gut eine Woche später, genauer gesagt mit Beschluss vom 31.03.2021 (VK 1-09/21, Leitsatz abrufbar unter folgendem Link), musste sich dann die VK Westfalen mit der durchaus verwandten Fragestellung auseinandersetzen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine in das Postfach des Bieters auf der Vergabeplattform eingestellte Nachricht dem Bieter zugeht.
Die Auftraggeberin schrieb die Vergabe von Fassaden- und Fensterarbeiten in einem offenen Verfahren nach der VOB/A-EU europaweit aus. Der Preis war alleiniges Zuschlagskriterium. In der Aufforderung zur Angebotsabgabe bestimmte die Auftraggeberin, dass die Kommunikation ausschließlich elektronisch über die Vergabeplattform „Subreport ELViS“ erfolgen werde.
Mit Ablauf der Angebotsfrist am 09.02.2021 lagen insgesamt sieben Angebote vor, wobei die spätere Antragstellerin das preisgünstigste Angebot abgegeben hatte. Dennoch schloss die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.02.2021 vom Verfahren aus, weil diese auf eine Aufforderung zur Nachreichung von Unterlagen nicht reagiert habe.
Diesbezüglich konnte folgender Sachverhalt ermittelt werden:
Am 17.02.2021 erhielt die Antragstellerin von der Auftraggeberin eine E-Mail mit dem Hinweis, dass ein Anschreiben an sie auf der Vergabeplattform abgerufen werden könne. Aus diesem Anschreiben ergab sich, dass die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen hatte, da geforderte Erklärungen und Nachweise nicht rechtzeitig vorgelegt worden seien.
Auf Nachfrage teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass sie mit Schreiben vom 09.02.2021 über die Vergabeplattform von ihr gemäß § 16a VOB/A-EU etliche Unterlagen nachgefordert habe, die bis zum 15.02.2021 vorzulegen gewesen seien. Da die Antragstellerin diese Frist nicht eingehalten habe, sei der Ausschluss des Angebots zwingend gewesen.
Die Antragstellerin legte noch am 17.02.2021 die nachgeforderten Unterlagen vor und rügte gegenüber der Auftraggeberin die Vergaberechtswidrigkeit des Ausschlusses ihres Angebots vom Verfahren. Zur Begründung führt sie aus, dass das Schreiben der Auftraggeberin vom 09.02.2021 zwar an diesem Tage auf der Vergabeplattform eingestellt worden sei. Allerdings beginne die Frist für die Nachreichung der geforderten Unterlagen erst, nachdem ihr die Bieterinformation zugegangen sei. Der entsprechende Zugang sei aber erst am 17.02.2021 erfolgt, nachdem sie telefonisch von der Auftraggeberin informiert worden sei und die Nachricht geöffnet habe. Auch habe sie am 09.02.2021 eine etwaige automatische Benachrichtigung seitens der Vergabeplattform, dass für sie eine Nachricht auf der Vergabeplattform hinterlegt worden sei, nicht erhalten.
Nachdem die Auftraggeberin auf die entsprechende Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin bei der VK Westfalen einen Nachprüfungsantrag.
Entscheidung der VK Westfalen: Das Angebot der Antragstellerin war vom Verfahren auszuschließen!
Das Angebot der Antragstellerin sei, so die VK Westfalen, gemäß § 16a VOB/A-EU zwingend vom Verfahren auszuschließen gewesen. Gemäß § 16a Abs. 1 VOB/A-EU müsse der Auftraggeber grundsätzlich fehlende Nachweise nachfordern. Die Unterlagen seien dann nach Aufforderung durch den Auftraggeber spätestens binnen einer Frist von sechs Kalendertagen vorzulegen (vgl. § 16a Abs. 4 VOB/A-EU). Würden die nachgeforderten Unterlagen nicht innerhalb der am Tag nach der Absendung der Aufforderung beginnenden Frist vorgelegt, sei das Angebot nach § 16a Abs. 5 VOB/A-EU auszuschließen. Vorliegend habe die Auftraggeberin von der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.02.2021 über den Nachrichtenbereich der Vergabeplattform rechtswirksam etliche Unterlagen nachgefordert, die bis zum 15.02.2021 vorzulegen gewesen seien. Diese Frist habe die Antragstellerin versäumt, weil sie erst am 17.02.2021 Kenntnis von diesem Schreiben erhalten habe.
Ausgehend von §§ 9, 10 und 11 i. V. m. § 2 VgV– die auch im Baubereich gelten – lege der Auftraggeber fest, wie die Kommunikation in einem Vergabeverfahren zu erfolgen habe, wobei er grundsätzlich elektronische Mittel einsetzen müsse. Gemäß § 9 Abs. 3 VgV könne der Auftraggeber von jedem Unternehmen die Angabe einer eindeutigen Unternehmensbezeichnung sowie einer elektronischen Adresse verlangen, die zu einer Registrierung des Unternehmens führe. Das sei vorliegend der Fall gewesen. Die Antragstellerin habe sich, so die VK Westfalen, im Rahmen der Ausschreibung entsprechend auf der Vergabeplattform registriert und dadurch dort ihr eigenes Bieterpostfach erhalten, welches nur für sie zugänglich gewesen sei. Wenn man sich im Rahmen des Vergabeverfahrens entsprechend auf eine bestimmte Verfahrensweise einlasse, müsse man sich aber auch daran festhalten lassen. In diesem Sinne habe die Antragstellerin der Auftraggeberin mit der Registrierung signalisiert, dass sie mit der Einstellung von Nachrichten in ihr Bieterpostfach auf der Vergabeplattform einverstanden sei.
Die Auftraggeberin habe mit der Einstellung ihrer Nachricht vom 09.02.2021 eine Nachricht an die Antragstellerin im Sinne von § 16a VOB/A-EU versandt. Die Nachricht der Antragstellerin könne rechtlich als empfangsbedürftige Willenserklärung im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB eingestuft werden und solche müssten zum einen „abgegeben“ werden und zum zweiten dem Adressaten „zugehen“.
Eine Willenserklärung sei abgegeben, wenn der Erklärende alles getan habe, was für das Wirksamwerden erforderlich sei, d. h., die Willenserklärung müsse in Richtung auf den Empfänger in Verkehr gebracht werden, sodass unter normalen Umständen mit dem Zugang gerechnet werden könne. Das Einstellen einer Nachricht in ein Postfach des Bieters auf einer Vergabeplattform genüge diesen Anforderungen, sodass die Willenserklärung „Aufforderung zur Nachreichung von Unterlagen“ am 09.02.2021 abgegeben worden sei.
Ein Zugang wiederum könne angenommen werden, wenn eine Nachricht bzw. Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Umständen Kenntnis davon nehmen könne. Dies werde angenommen, wenn die Nachricht in einen Briefkasten vor der Haustür oder den Geschäftsräumen eingeworfen werde. Eine Nachricht gelange aber ebenso dann in den Machtbereich eines Empfängers, wenn er diese Nachricht in sein E-Mail-Postfach übersandt bekomme. Und auch der Eingang der Nachricht in einem Postfach des Bieters auf der Vergabeplattform, so die VK Westfalen weiter, bedeute, dass ihm die Nachricht zugegangen sei. Denn das individuell für den Bieter eingerichtete Postfach gehöre zu seinem Machtbereich, weil er diese Sphäre beherrschen könne. Sofern ein Bieter sich einen Account auf einer Vergabeplattform durch Registrierung anlege, bestimme er damit auch, dass dieses Postfach für den Empfang von Erklärungen an ihn genutzt werden könne. Daher sei auch die Erklärung nach § 16a VOB/A-EU der Antragstellerin zugegangen, indem diese Nachricht durch die Auftraggeberin in ihr Postfach auf der Vergabeplattform eingestellt worden sei.
Einer darüber hinausgehenden zusätzlichen Information habe es nicht bedurft. Insoweit sei es unerheblich, ob die Antragstellerin eine von der Vergabeplattform zusätzlich generierte E-Mail-Benachrichtigung erhalten habe oder nicht. Denn diese diene im Interesse eines Bieters, der eine Plattform möglicherweise unregelmäßig nutze, nur dazu, diesen auf bereits zugegangene Informationen aufmerksam zu machen.
Soweit der EuGH in seinem Urteil vom 25.01.2017 (Rs. C-375/15, abrufbar unter folgendem Link), angemerkt habe, dass es Bankkunden nicht zumutbar sei, regelmäßig alle elektronischen Kommunikationssysteme abzufragen, handele es sich ersichtlich um Fragen eines zusätzlichen Verbraucherschutzes für Privatpersonen. Denn von diesen könne nicht erwartet werden, dass sie regelmäßig alle Kommunikationssysteme abfragten, bei denen sie registriert seien, sodass an diese zusätzlich auch noch eine E-Mail an die hinterlegte E-Mail-Adresse abgesetzt werde müsse. Demgegenüber müssten Unternehmen in ihren Betrieben regelmäßig ihre „Postfächer“ kontrollieren. Denn dies gehöre schlichtweg zum Verantwortungsbereich eines Gewerbetreibenden und sei vergleichbar mit der regelmäßigen Kontrolle eingehender Briefe oder Faxe.
Die Rechtsfolge sei, dass die Antragstellerin die Nachricht der Auftraggeberin ohne Weiteres hätte abrufen und beantworten können. Da dies nicht innerhalb der gesetzten Frist erfolgt sei, habe das Angebot der Antragstellerin zwingend ausgeschlossen werden müssen.
Wen die Entscheidung bis hierhin erfreut hat, der sei gewarnt. Einen besonderen „Knüller“ hält die Entscheidung nämlich am Ende noch bereit: Denn etwas anderes ergebe sich, so die VK Westfalen abschließend, auch nicht aus dem Beschluss der VK Südbayern vom 29.03.2019 (Z3-3-3194-1-07-03/19, abrufbar unter folgendem Link). Inhaltlich sei es in dieser Entscheidung nämlich um die Versendung einer Vorabinformation gemäß § 134 Abs. 1 GWB gegangen, wobei § 134 Abs. 1 GWB im Unterschied zu § 16a VOB/A-EU die „Textform“ erfordere. Insoweit verlange§ 126b BGB ganz bestimmte Formerfordernisse, wie beispielsweise einen Brief oder eine E-Mail, wobei es auch auf den Inhalt ankomme. Insofern sei das „Freischalten“ oder die Einstellung einer Nachricht in ein Postfach des Bieters auf einer Vergabeplattform nicht ausreichend.
Aus der Entscheidung der VK Westfalen folgt gleich mehrerlei:
Veranstaltungen zum Vergaberecht
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