BMWK 30.09.2024
„Das Vergabetransformationspaket bringt frischen Wind in die öffentliche Beschaffung: Mit einer stärkeren Digitalisierung, weniger Bürokratie sowie grundsätzlich verpflichtenden sozialen und umweltbezogenen Kriterien sollen Vergabeverfahren nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger werden“ – so oder so ähnlich könnte eine Werbung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für seine aktuelle Reform des Vergaberechts lauten. Sie verspricht eine deutliche Erleichterung für mittelständische Unternehmen und Start-ups, die künftig besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen erhalten sollen.
Doch wie wirken sich die Änderungen in der Praxis aus?
Am 30. September 2024 hat das BMWK seinen Referentenentwurf zur Transformation des Vergaberechts (kurz: „Vergabetransformationspaket“) an die Bundesressorts versandt. Parallel zu deren Befassung findet auch eine Anhörung der Länder und Verbände statt. Der Entwurf sieht tiefgreifende gesetzliche Änderungen im nationalen Vergaberecht vor, um die Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien zu fördern, Vergabeverfahren zu vereinfachen und Digitalisierung sowie Mittelstandsförderung voranzutreiben. U. a. sollen die folgenden Gesetze neu gefasst werden:
Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Eckpunkte des Referentenentwurfs dar und bewerten deren Auswirkungen für die Praxis.
Eine der zentralen Neuerungen ist die grundsätzlich verpflichtende Einbindung sozialer und umweltbezogener Aspekte in den Vergabeprozess. Gemäß § 120a GWB-E sollen Auftraggeber künftig bei jeder Auftragsvergabe mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium berücksichtigen. Bisher stand es den Auftraggebern frei, soziale oder umweltbezogene Kriterien bei Beschaffungsvorhaben zu berücksichtigen. Zukünftig soll eine Berücksichtigung als Regelfall stattfinden; Auftraggeber, die von dieser neuen Vorgabe abweichen wollen, müssen dies dann begründen und dokumentieren. Die neue Norm enthält zudem eine abstrakte Definition sozialer und umweltbezogener Kriterien. Unter „geeignete soziale Kriterien“ fallen dann unter anderem faire Arbeitsbedingungen sowie die Ermöglichung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Benachteiligten oder Menschen mit Behinderung. § 120a Abs. 5 GWB-E erlaubt es der Bundesregierung, durch allgemeine Verwaltungsvorschriften festzulegen, welche Arten von Leistungen besonders geeignet sind, um die Umwelt- und Sozialstandards zu fördern. Macht die Bundesregierung hiervon Gebrauch, entsteht für Auftraggeber eine Verpflichtung, umweltbezogene und nachhaltige Kriterien in Vergabeverfahren anzuwenden. Auf welcher Stufe des Vergabeverfahrens die sozialen oder umweltbezogenen Kriterien berücksichtigt werden, ist den Auftraggebern überlassen. Das BMWK hat im Rahmen des Vergabetransformationspakets sogleich den Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (AVV Sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung) vorgelegt, die § 120a GWB-E ausfüllt.
Reduzierte Nachweispflichten und mehr Eigenerklärungen
Ein Instrument, um Vergabeverfahren zukünftig zu vereinfachen und zum Abbau von Bürokratie beizutragen, sollen nach Vorschlag des BMWK reduzierte Nachweispflichten sein. Die Änderungen in § 122 Abs. 3 GWB-E sowie § 48 Abs. 2 VgV-E heben die Eigenerklärung als Mittel zur Nachweisführung hervor. Eine Erklärung der Bieter bei Einreichung der Angebote, die Anforderungen des Auftraggebers zu erfüllen, soll daher genügen. Darüberhinausgehende Unterlagen sollen nur noch von aussichtsreichen Bietern gefordert werden. Der Auftraggeber muss in der Bekanntmachung besonders hervorheben, welche Unterlagen zu welchem Zeitpunkt einzureichen sind. § 48 Abs. 2 Satz 3 VgV-E ordnet den Ausschluss bei nicht rechtzeitig eingereichten Unterlagen an.
Flexibilisierung des Grundsatzes der Losvergabe
Mit dem Ziel, die Auftragsvergabe zu beschleunigen und für Unternehmen attraktiver zu gestalten, sieht der Entwurf durch Änderung in § 97 Abs. 4 GWB-E eine Flexibilisierung bei der Aufteilung des Auftrags in Fach- oder Teillose vor. Diese Aufteilung bleibt zwar nach wie vor die Regel, eine Gesamtvergabe lässt sich nun jedoch auch aus „zeitlichen Gründen“ rechtfertigen. Zudem werden die Anforderungen an die Begründungstiefe für eine Gesamtvergabe reduziert. Bisher mussten wirtschaftliche und technische Gründe zwingend für eine Gesamtvergabe sprechen; künftig soll es ausreichen, wenn diese Gründe nachvollziehbar dargelegt werden. Erleichterungen in der öffentlich-rechtlichen Zusammenarbeit Die Regelungen in § 108 GWB (Inhouse-Vergabe) sollen zukünftig klarer gefasst werden. Ziel ist es, den öffentlichen Stellen eine interne Zusammenarbeit einfacher und rechtssicherer zu ermöglichen. Dazu zählt auch die Hervorhebung, dass es sich bei diesen Konstellationen nicht um Ausnahmen von der grundsätzlichen Ausschreibungspflicht handelt, die im Reflex immer eng auszulegen sind, sondern um einen eigenständigen Rechtskreis außerhalb des Vergaberechts.
Vereinfachte Leistungsbeschreibung
Mit der Streichung des Wortes „erschöpfend“ in § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB-E sollen die bisherigen Anforderungen an die Leistungsbeschreibung deutlich reduziert werden. Durch eine möglichst eindeutige Beschreibung muss lediglich sichergestellt sein, dass vergleichbare Angebote erstellt werden können. Nicht mehr erforderlich ist, dass „erschöpfend“ jegliche Unterlagen und Informationen über die Beschreibung des Leistungsgegenstands zur Verfügung gestellt werden müssen. Die Entwurfsbegründung hebt hervor, dass auch vermehrt funktionale Leistungsbeschreibungen genutzt werden sollen.
Standardisierung des vereinfachten Wertungsvorgangs bei offenen Verfahren
Die Änderung in § 42 Abs. 4 VgV-E gestattet es Auftraggebern, in offenen Verfahren die Prüfung der Angebote vor der Prüfung der Eignung vorzunehmen. Dieser vereinfachte Wertungsvorgang wird somit zur neuen Regel, was zu einer Entlastung der Vergabestellen beitragen soll.
Anhebung der Wertgrenzen für Direktaufträge?
Noch in der ressortinternen Diskussion ist für den Unterschwellenbereich eine deutliche Anhebung der Wertgrenzen für Direktaufträge auf EUR 100.000 (ohne Umsatzsteuer) nach dem Vorbild von Baden-Württemberg.
Nachprüfungsverfahren
Mit dem Vergabetransformationspaket soll zudem das Nachprüfungsverfahren weitestmöglich digitalisiert werden. Dies soll durch Änderungen der §§ 158 und 161 GWB erreicht werden, welche die Einreichung der Nachprüfungsanträge per E-Mail ermöglichen. Ferner ist eine Anpassung der §§ 163, 165 und 172 GWB vorgesehen, die die elektronische Aktenübermittlung an die Vergabekammern und die Einsichtnahme in diese im Rahmen der Akteneinsicht ermöglichen. Die Neufassungen von §§ 166, 175 erlauben die virtuelle Durchführung von mündlichen Verhandlungen im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren.
Digitale Markterkundung
Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 VgV-E sollen zukünftig Markterkundungen vornehmlich digital durchgeführt werden. Die Markterkundung soll dabei auch umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte der Nachhaltigkeit umfassen.
Verlinkungen in Vergabeunterlagen
Im Vergabeverfahren selbst soll mehr Digitalisierung dadurch erreicht werden, dass öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit erhalten, auf Vergabeunterlagen und hier auch auf bestimmte Einzeldokumente zu verlinken, beispielsweise in der Auftragsbekanntmachung auf die Eignungskriterien und -anforderungen. Es muss gemäß § 122 GWB-E dann lediglich sichergestellt werden, dass die Bekanntmachung eindeutig erkenntlich macht, an welcher Stelle in den Vergabeunterlagen die Eignungskriterien zu finden sind.
Der Referentenentwurf des BMWK betont weiterhin die Ziele einer Stärkung des Mittelstands, der Förderung von Start-ups sowie der Beschaffung von innovativen Lösungen. Daher soll § 97 GWB zukünftig dahingehend ergänzt werden, dass Auftraggeber auch bei der Erteilung von Unteraufträgen zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen verpflichtet werden. § 42 Abs. 2 VgV-E sieht außerdem vor, bei der Auswahl der Eignungskriterien und Eignungsnachweise die besonderen Umstände von jungen (d. h. nicht älter als acht Jahre) sowie kleinen und mittleren Unternehmen zu berücksichtigen. § 17 Abs. 5 VgV-E verpflichtet zukünftig Auftraggeber dazu, in Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb die Unternehmen, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, abwechselnd auszuwählen. Und um die Bedürfnisse von kleineren und mittleren Unternehmen im Hinblick auf die Zahlungsmodalitäten stärker zu berücksichtigen, sollen mit einer Ergänzung von § 29 VgV neben der Vereinbarung von Vorauszahlungen beispielsweise auch Abschlagszahlungen bei Erreichung von Zwischenzielen festgelegt werden können.
Das Vergabetransformationspaket bietet sicherlich zahlreiche Neuerungen, die teilweise auch das Potenzial haben, die öffentliche Beschaffung zu modernisieren und zu vereinfachen. Der Entwurf verfolgt insofern das zu begrüßende Ziel, Vergabeverfahren schlanker und effizienter zu gestalten und gleichzeitig den Zugang für innovative Unternehmen zu erleichtern. Insbesondere unter dem Stichwort der Vereinfachung des Vergabe- und des Nachprüfungsverfahrens verspricht die Einführung des Pakets positive Impulse und setzt einige entlastende Maßnahmen in Gesetzesrecht um, z. B. das konsequente Setzen auf Eigenerklärungen oder die Flexibilisierung von Begründungsansätzen für eine Gesamtlosvergabe. Die Maßnahmen zur Digitalisierung sind überschaubar, aber in der Praxis hilfreich, beispielsweise die Klarstellung bezüglich der Verlinkung von Eignungskriterien in der Auftragsbekanntmachung.
Verschiedene Zielkonflikte zwischen dem Bedarf zur Entbürokratisierung von Vergabeverfahren einerseits und dem Wunsch zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien und Mittelstandsförderung andererseits bleiben jedoch bestehen oder werden teils sogar verschärft. Insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung von sozialen und umweltbezogenen Kriterien entstehen für öffentliche Auftraggeber mit dem Vergabetransformationspaket auch zahlreiche neue (Begründungs-)Verpflichtungen. Daher bleibt abzuwarten, ob die geplanten Maßnahmen tatsächlich zu der gewünschten Vereinfachung und Beschleunigung von Ausschreibungen führen werden.
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