BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – Az. X ZB 3/17
Sachverhalt
Das streitige Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf den von der Antragsgegnerin („Ag“) im offenen Verfahren ausgeschriebenen Abschluss von Rahmenverträgen über Postdienstleistungen in zwei Losen (Brief- und Paketpost) für die Dauer von sechs Jahren.
BGH, Beschluss vom 4. April 2017 – Az. X ZB 3/17
Sachverhalt
Das streitige Nachprüfungsverfahren bezieht sich auf den von der Antragsgegnerin („Ag“) im offenen Verfahren ausgeschriebenen Abschluss von Rahmenverträgen über Postdienstleistungen in zwei Losen (Brief- und Paketpost) für die Dauer von sechs Jahren. Der Auftragnehmer soll das komplette Leistungsspektrum von der Abholung der Sendungen bei der Ag über alle erforderlichen Zwischenschritte bis zur Zustellung an die Empfänger erbringen und dabei in der Organisation der Zwischenschritte und des Erfolgs – etwa durch Eigenleistung oder über Nachunternehmer/Dienstleister – in gewisser Weise frei sein; von der Ag vorgegeben sind der Zustand der Sendungen bei Abholung und die Ablieferung innerhalb einer bestimmten Zeit an die Empfänger in einer bestimmten Sendungsform sowie bestimmte Berichtspflichten (Sendungsverfolgung, Meldungen des Sendeaufkommens etc.).
Den Zuschlag soll das wirtschaftlichste Angebot erhalten. Als Zuschlagskriterien sind mit jeweils 50% der Preis und die Qualität der Leistungserbringung angegeben. Für Letztere als zweites Zuschlagskriterium sind in den Vergabeunterlagen drei Unterkriterien mit jeweils zugeordneten Prozentwerten gebildet, und zwar:
Die Bieter sollen mit ihrem Angebot auf zwei bzw. vier Seiten darstellen, wie sie die Schwankungen im Sendungsaufkommen zu bewältigen und die effektive Leistungserbringung sicherzustellen gedenken. Dafür können beim ersten Unterkriterium maximal 15 Punkte und beim zweiten – das in den Vergabeunterlagen nochmals in vier Unterpunkte aufgegliedert ist – bis zu 25 Punkte errungen werden, außerdem bis zu 10 Punkte für die Zustellzeiten. Die Vergabestelle benotet die schriftlichen Darstellungen auf einer Skala von ungenügend (0 Punkte) über mangelhaft (1 Punkt), ausreichend (2 Punkte), befriedigend (3 Punkte) und gut (4 Punkte) bis zu sehr gut (5 Punkte). Die so erlangte Punktzahl wird dann mit dem Faktor 3 beim ersten und dem Faktor 5 beim zweiten Unterkriterium multipliziert.
Bei der Laufzeit erhalten die Bieter zwischen 0 und 10 Punkten je nach dem Anteil der am auf den Einlieferungstag folgenden Tag („E+1“) zugestellten Briefsendungen, was nach näheren Vorgaben nachzuweisen ist. Die Punktewerte aller Unterkriterien werden anschließend für die Wertung mit den beim Preiskriterium erzielten Punktwert addiert.
Der Auftrag wurde am 20. August 2016 im Supplement zum Amtsblatt der EU veröffentlicht; am 30. August 2016 rügte die Antragstellerin („ASt“) gegenüber der Ag unter anderem, dass die Bewertungsmatrix intransparent sei.
Der Vergabesenat hat die sofortige Beschwerde der ASt zurückgewiesen und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidung
Die von der Ag für die Preisbewertung vorgesehene Methode hält nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs – auch unter Berücksichtigung des sich durch die gewählten Zuschlagskriterien insgesamt eröffnenden Wertungs-spielraums – der vergaberechtlichen Nachprüfung stand.
Die vorgesehene Methode der Qualitätsbewertung ist nicht zu beanstanden. Im Streitfall steht es einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) nicht entgegen, dass die von den Bietern vorgelegten Konzepte für die Kompensation von Schwankungen im Sendungsaufkommen/ Auftragsspitzen und zur Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung im Rahmen der Angebotswertung benotet werden und einen der jeweiligen Note zugeordneten Punktwert erhalten, ohne dass die Vergabeunterlagen weitere konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen soll. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs:
Gegenstand des Vergabeverfahrens sind im Streitfall mit der Abholung, Weiterleitung und Zustellung postalischer Sendungen weitgehend standardisierte Dienstleistungen, die im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses in mehr oder minder massenhafter Wiederkehr zu erbringen sind. Die bis zur Aushändigung jeder einzelnen Sendung an den jeweiligen Empfänger zu erbringenden Einzelleistungen von der Abholung und Beförderung von Brief- oder Paketsendungen bis hin zu deren Ablieferung beim Empfänger sind für sich und in ihrer Abfolge in den Vergabeunterlagen konkret und erschöpfend beschrieben.
Soweit die Bieter ihre Konzepte für die Erfüllung der Qualitätsunterkriterien schriftlich darstellen sollen, hat der Wettbewerb partiell das Gepräge eines Vergabeverfahrens mit funktionaler Leistungsbeschreibung. Gegenstand der Wertung sind insoweit die vom einzelnen Bieter zur Bewältigung eines deutlich überdurchschnittlichen Anfalls von Sendungen vorgesehenen Vorkehrungen zur Gewährleistung einer insgesamt gleichwohl zeitnahen Zustellung. Sinngemäß das Gleiche gilt für die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen gemäß den Anforderungen der Vergabeunterlagen zum Unterkriterium der Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung.
Gegenstand der Angebotswertung ist insoweit in einem ersten Schritt die prognostische Beurteilung, ob bzw. inwieweit die aus den Konzepten ersichtlichen Maßnahmen zur Bewältigung von Auftragsspitzen bzw. Sicherstellung einer effektiven Leistungserbringung beitragen können.
Je nachdem, in welchem Maße die Lösungsvorschläge aus Sicht der Ag insoweit Erfolg versprechen, erhält das jeweilige Konzept in einem zweiten Schritt eine entsprechende Benotung und die nach dem Schlüssel in den Vergabeunterlagen zu errechnende Punktzahl.
Die von der Vergabekammer in der ersten Instanz geforderten weiteren Erläuterungen der Ag zu ihren Erwartungen an die Inhalte des einzureichenden Konzepts sind rechtlich nicht geboten. Die Forderung der Vergabekammer nach Unterlegung der erzielbaren Noten bzw. Punkte mit konkretisierenden Informationen zu den von der Ag mit der Erfüllung der Unterkriterien verbundenen Erwartungen würde darauf hinauslaufen, ihr die Durchführung eines partiell anderen Vergabeverfahrens aufzuerlegen, als es ihren eigentlichen Intentionen entspricht, und den Bietern direkt oder mittelbar Lösungskomponenten vorzugeben, die diese zwangsläufig aufgreifen würden, um in der Angebotswertung bestehen zu können. Damit würde die Ag gezwungen, Aufgaben zu übernehmen, deren Lösung sie im Rahmen der funktionalen Ausschreibung in vergaberechtlich unbedenklicher Weise auf die Bieter delegieren wollte.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zu begrüßen, da sie zu einer einheitlicheren Rechtsprechung beitragen dürfe. Das OLG Düsseldorf hatte beispielsweise in der Vergangenheit äußerst hohe Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungsmethoden gestellt (siehe z.B. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – Az. Verg 25/15; Beschluss vom 15. Juni 2016 – Az. Verg 49/15). Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sollte ein Bewertungsmaßstab, der es in Verbindung mit den aufgestellten Unterkriterien nicht zulässt, im Vorhinein zu bestimmen, welchen Erfüllungsgrad (Zielerreichungsgrad) die Angebote aufweisen müssen, um mit den festgelegten Punktwerten bewertet zu werden, intransparent sein. Öffentliche Auftraggeber konnten diese Anforderungen oftmals nicht erfüllen, da sie nicht immer im Vorhinein alle in Betracht kommenden Angebotsausgestaltungen (Lösungs-ansätze) kannten. Dementsprechend konnten sie nicht im Vorhinein für sämtliche Angebotsausgestaltungen einen Zielerreichungsgrad festlegen.
Anderen Vergabenachprüfungsinstanzen stellten hingegen weniger hohe Anforderungen auf (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23. Juni 2016 – Az. 11 Verg 4/16). Das OLG Düsseldorf hat sich dieser Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit zwar angenähert, indem es sich von seinen bisherigen Anforderungen stückweise wieder gelöst hat (siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017 – Az. VII-Verg 39/16 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – Az. Rs. C-6/15 „TNS Dimarso“). Es waren aber weiterhin Unterschiede bei der Rechtsprechung zu Schulnotensystemen und Bewertungsmaßstäben festzustellen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs schafft Klarheit; nicht nur für öffentliche Auftraggeber und Bieter, sondern auch für die Vergabenachprüfungsinstanzen.
Ferner ist es zu befürworten, dass der Bundesgerichtshof den Auftraggebern einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Angebotswertung zugesteht. Die vom OLG Düsseldorf in der Vergangenheit geforderten hohen Transparenzanforderungen sind zwar grundsätzlich zu begrüßen. Sie konnten aber in der Praxis aus vorgenannten Gründen von den Auftraggebern oftmals nicht erfüllt werden.
Öffentliche Auftraggeber sollten nunmehr allerdings nicht den Schluss ziehen, dass sie (vollkommen) freie Wertungsentscheidungen treffen können. Die Vergabenachprüfungsinstanzen können weiterhin überprüfen, ob öffentliche Auftraggeber bei ihren Wertungsentscheidungen ihren Beurteilungsspielraum überschritten haben. Damit eine solche Überprüfung möglich ist, müssen öffentliche Auftraggeber ihre Wertungsentscheidungen umfassend dokumentieren.
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